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Es tat ihm leid, daß Chrissie das miterleben mußte, aber dann sah er, daß sie nicht nur nicht betroffen war, sondern sogar kicherte. Ihm wurde klar, daß alle wütenden und schlimmen Wörter der Welt ihr nichts anhaben konnten, nicht nach allem, was sie durchgemacht hatte. Nach allem, was sie in Moonlight Cove gesehen hatte, war Scotts Teenager-Nihilismus tatsächlich komisch und sogar irgendwie unschuldig, auf jeden Fall durch und durch lächerlich.

Sam stand neben dem Bett und fing an, die Poster von den Wänden zu reißen, und Scott schrie ihn an, jetzt mit voller Lautstärke, ein echter Anfall. Sam riß die Poster ab, die er nur vom Bett aus erreichen konnte, stieg herunter und wandte sich denen an der nächsten Wand zu.

Scott packte ihn.

Sam stieß den Jungen sanft weg und riß weitere Poster herunter.

Scott schlug ihn.

Sam steckte den Schlag weg und sah ihn an.

Scotts Gesicht war leuchtend rot, die Nasenlöcher gebläht, die Augen vor Haß aufgequollen.

Sam umarmte ihn lächelnd wie ein Bär.

Zuerst verstand Scott eindeutig nicht, was vor sich ging. Er dachte, sein Vater wollte ihn nur packen und bestrafen, daher wollte er zurückweichen. Aber plötzlich dämmerte es ihm - Sam konnte sehen, wie es ihm dämmerte -, daß er nur umarmt wurde, um Gottes willen, sein alter Herr umarmte ihn, und das vor Leuten, vor Fremden. Als ihm diese Erkenntnis kam, fing der Junge wirklich an, sich zu wehren, wand sich und schlug um sich, stieß heftiger gegen Sam, wollte verzweifelt entkommen, weil das nicht in seine Vorstellung von einer Welt ohne Liebe paßte, besonders wenn er anfing, darauf einzugehen.

Das war es, ja, verdammt, jetzt verstand Sam. Das war der Grund für Scotts Entfremdung. Die Angst, daß er auf Liebe reagieren und zurückgewiesen werden würde... oder die Verantwortung einer hingebungsvollen Liebe zu groß für ihn war.

Tatsächlich begegnete der Junge der Liebe seines Vaters einen Augenblick mit seiner eigenen Liebe und umarmte ihn fest. Es war, als hätte der wahre Scott, der Junge, der unter den Schichten von Altklugheit und Zynismus verborgen war, hindurchgesehen und gelächelt. Es war noch etwas Gutes in ihm, etwas Gutes und Reines, das gerettet werden konnte.

Aber dann fing der Junge an, Sam mit deutlicheren und kräftigeren Ausdrücken als bisher zu verfluchen. Sam um-armte ihn nur noch fester, fester, und dann fing Sam an, ihm zu sagen, daß er ihn liebte, verzweifelt liebte, nicht auf die Weise, wie er es ihm am Telefon gesagt hatte, als er am Montagabend aus Moonlight Cove angerufen hatte, nicht mit der aus seiner eigenen Hoffnungslosigkeit geborenen Reserviertheit, weil er keine Hoffnungslosigkeit mehr emp -fand. Als er Scott diesesmal sagte, daß er ihn liebte, sprach er mit einer Stimme, die vor Emotionen brach, sagte es ihm wieder und immer wieder und verlangte, daß seine Liebe Gehör bekam.

Jetzt weinte Scott und Sam stellte wenig überrascht fest, daß er auch weinte, aber er glaubte nicht, daß sie aus denselben Gründen weinten, denn der Junge versuchte immer noch zu entkommen, seine Energie hatte nachgelassen, aber er kämpfte immer noch. Daher hielt Sam ihn fest und redete mit ihm: »Hör zu, mein Junge, früher oder später wird dir auf die eine oder andere Weise etwas an mir liegen. O ja. Du wirst wissen, daß ich dich liebe, und dann wirst du mich auch lieben, und damit wird es noch lange nicht aufhören, weil du herausfinden wirst, daß du eine Menge Leute lieben kannst, daß es schön ist zu lieben. Du wirst die Frau lieben, die dort vor der Tür steht, und du wirst das kleine Mädchen lieben, du wirst sie lieben, wie du eine Schwester lieben würdest, du wirst es lernen, du wirst die verdammte Maschine aus dir herausholen und lernen, geliebt zu werden und zu lieben. Ein Mann wird uns besuchen kommen, ein Mann, der nur eine gute Hand und keine Beine mehr hat, die er gebrauchen kann, und der glaubt, daß das Leben lebenswert ist. Vielleicht wird er eine Weile bleiben, herausfinden, wie es ihm gefällt, wie er darüber denkt, und vielleicht kann er dir zeigen, was ich dir nicht rechtzeitig zeigen konnte - daß es schön ist, das Leben ist schön. Und dieser Mann hat einen Hund, was für einen Hund, du wirst den Hund lieben, den Hund wahrscheinlich als ersten!« Sam lachte und hielt Scott fest. »Zu einem Hund kannst du nicht sagen >Geh mir aus den Augen< und damit rechnen, daß er dir zuhört und gehorcht, er wird dir nicht aus den Augen gehen, daher wirst du ihn als ersten lieben müssen. Und dann wirst du mich lieben müssen, denn ich werde genau das sein - ein Hund, ein lächelnder alter Hund, der hier herumtrottet, herumhängt, sich nicht beleidigen läßt, ein alter Hund.«

Scott hatte aufgehört sich zu wehren. Wahrscheinlich war er nur erschöpft. Sam war sicher, daß es ihm nicht gelungen war, durch die Wut des Jungen hindurchzudringen. Er hatte bestenfalls an der Oberfläche gekratzt. Sam hatte das Böse in ihr Leben gelassen, das Böse eigendünklerischer Verzweiflung, das er auf den Jungen übertragen hatte, und jetzt würde es schwer sein, das wieder auszumerzen. Sie hatten noch viel vor sich, monatelanges Bemühen, vielleicht jahrelanges, viel Umarmen, viel Festhalten und nicht mehr loslassen.

Als er über Scotts Schulter blickte sah er, daß Tessa und Chrissie ins Zimmer gekommen waren. Sie weinten auch. Er sah in ihren Augen eine Erkenntnis, die seiner gleichkam, die Erkenntnis, daß der Kampf um Scott gerade erst angefangen hatte.

Aber er hatte angefangen. Das war das Wunderbare. Er hatte angefangen.