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»Was, was ist, was?«

»Toter Waschbär, verwest, Maden, Maden«, sagte die erste. Chrissie verspürte die makabre Angst, sie könnte den Abdruck eines Turnschuhs in der verwesenden Masse des toten Waschbärs hinterlassen haben.

»Chrissie?« sagte der zweite, während er in den Tunnel trat.

Tuckers Stimme. Ihr Vater suchte offenbar jenseits der Wiese im angrenzenden Waldstück nach ihr.

Die beiden Jäger zappelten unablässig. Chrissie konnte hören, wie ihre - Krallen? - auf dem Betonboden der Röhre streiften. Auch hörten sich beide wie in Panik an. Nein, nicht unbedingt wie in Panik, denn Angst konnte man in ihren Stimmen nicht hören. Hektisch. Unbeherrscht. Es war, als würde ein Motor in ihrem Inneren schneller und schneller laufen, fast außer Kontrolle.

»Chrissie da, sie da, sie?« fragte Tucker.

Das Mutter-Ding sah von dem toten Waschbären auf und blickte Chrissie durch den dunklen Tunnel direkt an.

Du kannst mich nicht sehen, dachte-betete Chrissie. Ich bin unsichtbar.

Das Leuchten der Augen des Jägers war zu zwei Pünktchen matten Silbers verblaßt.

Chrissie hielt den Atem an.

Tucker sagte: »Muß essen, essen, will essen.«

Das Geschöpf, das ihre Mutter gewesen war, sagte: »Mädchen finden, Mädchen, sie zuerst finden, dann essen, dann.«

Sie hörten sich an, als wären sie wilde Tiere, denen durch Zauberei rudimentäre Sprechfähigkeit verliehen worden war.

»Jetzt, jetzt, verbrennen, jetzt essen, jetzt verbrennen«, sagte Tucker drängend und beharrlich.

Chrissie zitterte so heftig, daß sie beinahe fürchtete, sie könnten ihr Schlottern hören.

Tucker sagte: »Verbrennen, kleine Tiere auf Wiese, höre sie, rieche sie, aufspüren, essen, essen, jetzt.«

Chrissie hielt den Atem an.

»Nichts hier«, sagte das Mutter-Ding. »Nur Maden, Gestank, gehen, essen, dann sie finden, essen, essen, dann sie finden, gehen.«

Die beiden Jäger wichen aus dem Rohr zurück und verschwanden.

Chrissie wagte wieder zu atmen.

Nachdem sie eine Minute gewartet hatte, um sicher zu sein, daß sie tatsächlich gegangen waren, drehte sie sich um und ging nach Troll-art tiefer in das aufwärts laufende Rohr, wobei sie sich blind an den Wänden entlangtastete und nach einer Abzweigung suchte. Sie mußte zweihundert Meter gegangen sein, bis sie eine fand: ein Zuflußrohr, dessen Durch-messer halb so dick wie der des Hauptabflusses war. Sie schlüpfte - Füße voraus und auf dem Rücken - hinein, dann drehte sie sich auf den Bauch und sah in den breiteren Tunnel hinaus. Hier würde sie die Nacht verbringen. Wenn sie in das Rohr zurückkehrten, um ihre Witterung in der reineren Luft hinter dem toten Waschbären aufzunehmen, würde sie außerhalb des Luftzuges sein, der im Haupttunnel wehte, und sie würden sie vielleicht nicht riechen können.

Sie war zuversichtlich, denn die Tatsache, daß sie nicht tiefer in den Tunnel vorgedrungen waren, bewies eindeutig, daß sie nicht über übernatürliche Fähigkeiten verfügten und weder allsehend noch allwissend waren. Sie waren unnatürlich schnell und stark, seltsam und furchteinflößend, aber sie konnten auch Fehler machen. Sie kam zur Überzeugung, daß sie, wenn es Tag geworden war, eine Chance von fünfzig zu fünfzig haben würde, aus dem Wald herauszukommen und Hilfe zu finden, bevor sie erwischt würde.

14

Sam Booker sah im Licht außerhalb des Perez Family-Re-staurants auf die Uhr. Erst neunzehn Uhr zehn.

Er ging auf der Ocean Avenue spazieren und nahm den Mut zusammen, Scott in Los Angeles anzurufen. Die Aussicht auf die Unterhaltung mit seinem Sohn beschäftigte ihn zunehmend und verdrängte alle Gedanken an die rüden, gierigen Essensgäste aus seinem Denken.

Um neunzehn Uhr dreißig blieb er vor einer Telefonzelle in der Nähe der Shell-Tankstelle Ecke Juniper Lane und Oce-an Avenue stehen. Er rief mit seiner Kreditkarte per Ferngespräch in seinem Haus in Sherman Oaks an.

Scott hielt sich mit seinen sechzehn Jahren für alt genug, alleine zu Hause zu bleiben, wenn sein Vater in einem Auftrag unterwegs war. Sam stimmte dem nur teilweise zu und hätte es vorgezogen, wenn der Junge bei seiner Tante Edna geblieben wäre. Aber Scott behielt die Oberhand, indem er das Leben für Edna zur Hölle machte, daher wollte Sam sie dieser Prüfung nur ungern aussetzen.

Er hatte dem Jungen wiederholt Sicherheitsprozeduren eingebleut - alle Türen und Fenster verschlossen halten; wissen, wo die Feuerlöscher waren; wissen, wie man bei einem Erdbeben oder einem anderen Notfall von jedem Zimmer aus dem Haus gelangen konnte - und er hatte ihm beigebracht, wie man mit einer Handfeuerwaffe schoß. Sams Meinung nach war Scott noch lange nicht reif genug, über Tage hinweg allein im Haus zu bleiben; aber wenigstens war der Junge hinreichend auf alle Eventualitäten vorbereitet.

Das Telefon klingelte neunmal. Sam verspürte schuldbewußte Erleichterung darüber, daß er nicht durchkam, und wollte schon wieder auflegen, als Scott schließlich abnahm. »Hallo.«

»Ich bin es, Scott. Dad.«

»Ja?«

Im Hintergrund spielte lautstark Heavy Metal Rock. Er war wahrscheinlich in seinem Zimmer und hatte die Stereoanlage so aufgedreht, daß die Fensterscheiben bebten.

Sam sagte: »Könntest du die Musik leiser stellen?«

»Ich kann dich gut hören«, murmelte Scott.

»Vielleicht, aber ich habe Mühe, dich zu hören.«

»Ich habe sowieso nichts zu sagen.«

»Bitte, mach leiser«, sagte Sam mit Betonung auf dem >bitte<.

Scott legte den Hörer weg, der auf seinem Nachttisch polterte. Der Laut tat Sam im Ohr weg. Der Junge machte die Lautstärke der Anlage nur unmerklich leiser. Er nahm das Telefon wieder und sagte: »Ja?«

»Wie geht es dir?«

»Ganz gut.«

»Alles in Ordnung?«

»Warum nicht?«

»Ich hab' ja nur gefragt.«

Plötzlich: »Wenn du angerufen hast, ob ich eine Party mache, keine Bange. Ich mache keine.«

Sam zählte bis drei, um die Stimme wieder unter Kontrolle zu bekommen. Nebelschwaden wehten an den Glasscheiben der Telefonzelle vorbei. »Wie war es heute in der Schule?«

»Glaubst du, ich war nicht dort?«

»Ich weiß, daß du dort warst.«

»Du vertraust mir nicht.«

»Ich vertraue dir«, log Sam.

»Du denkst, ich wäre nicht dort gewesen.«

»Warst du dort?«

»Ja.«

»Und wie war es?«

»Lächerlich. Immer dieselbe alte Scheiße.«

»Scott, bitte, du weißt, ich habe dich gebeten, solche Ausdrücke nicht zu gebrauchen, wenn du mit mir sprichst.« Sam merkte, daß er gegen seinen Willen in einen Streit gezogen wurde.

»Tut mir leid. Dieselben alten Fäkalien«, sagte Scott in einem Tonfall, daß er ebensogut den Tag in der Schule wie Sam hätte meinen können.

»Hier ist es ziemlich schön«, sagte Sam.

Der Junge antwortete nicht.

»Bewaldete Hänge direkt bis zum Meer.«

»Und?«

Sam folgte dem Rat des Familienberaters, den er und Scott gemeinsam und jeder für sich besucht hatten, biß die Zähne zusammen, zählte wieder bis drei und versuchte es auf andere Art. »Hast du schon gegessen?«

»Ja.«

»Hast du Hausaufgaben?«

»Keine.«

Sam zögerte, entschied dann aber, es dabei zu belassen. Der Berater, Dr. Adamski, wäre stolz auf soviel Toleranz und kühle Selbstbeherrschung gewesen.

Die Lichter der Shell-Tankstelle hinter der Telefonzelle bekamen vielfache Heiligenscheine, während die Stadt im zunehmend dichter werdenden Nebel versank.