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»Ja, Mom, ich weiß. Ich wollte damit nur sagen, das Cove Lodge ist nicht toll, aber besser, als im Schlamm zu schlafen.«

»Zu zelten.«

»Besser als zelten«, sagte Tessa.

Beide schwiegen einen Augenblick. Dann sagte Marion: »Verdammt, ich sollte bei dir sein.«

»Mom, du hast ein gebrochenes Bein.«

»Ich hätte, schon als ich hörte, daß sie die arme Janice gefunden haben, nach Moonlight Cove gehen sollen. Wenn ich dort gewesen wäre, hätten sie die Leiche nicht verbrannt. Bei Gott, das hätten sie nicht! Ich hätte es verhindert und eine andere Autopsie bei vertrauenswürdigen Behörden verlangt, dann wäre es jetzt nicht nötig, daß du dich darum kümmerst. Ich bin so böse auf mich selbst.«

Tessa ließ sich in die Kissen sinken und seufzte. »Mom, laß das sein. Du hast dir drei Tage, bevor Janices Leichnam gefunden wurde, das Bein gebrochen. Du kannst jetzt nicht reisen, und du konntest damals nicht reisen. Es ist nicht deine Schuld.«

»Früher hätte mich ein gebrochenes Bein nicht aufhalten können.«

»Du bist nicht mehr zwanzig, Mom.«

»Ja, ich weiß, ich bin alt«, sagte Marion kläglich. »Manchmal denke ich darüber nach, wie alt ich bin, und das macht mir Angst.«

»Du bist erst vierundsechzig, du siehst keinen Tag älter als fünfzig aus, und du hast dir das Bein beim Fallschirmspringen gebrochen, um Gottes willen, daher hast du von mir kein Mitleid zu erwarten.«

»Trost und Mitleid erwartet eine ältere Mutter von ihrer guten Tochter.«

»Wenn du mich dabei erwischen würdest, wie ich dich älter nenne oder dich mitleidig behandle, würdest du mich per Arschtritt bis nach China befördern.«

»Die Möglichkeit, ihrer Tochter dann und wann einmal in den Arsch zu treten, gehört zu den Freuden des Alters einer Mutter, Teejay. Verdammt, wo ist überhaupt dieser Baum hergekommen? Ich mache jetzt seit dreißig Jahren Fallschirmspringen, und ich bin noch nie in einem Baum gelandet; und ich schwöre, er war nicht da, als ich bei der Landung nach unten gesehen habe, um mir die Landestelle anzusehen.«

Ein großer Teil des unerschütterlichen Optimismusses und der heiteren Einstellung zum Leben kam in der Familie Lockland von Bernard, Tessas verstorbenen Vater, aber etwas - und jede Menge Unbeugsamkeit dazu - stammte auch aus Marions Genen.

Tessa sagte: »Nachdem ich angekommen war, ging ich heute abend zum Strand hinunter, wo sie sie gefunden haben.«

»Es muß schrecklich für dich sein, Teejay.«

»Ich werde damit fertig.«

Als Janice gestorben war, hatte Tessa ländliche Regionen von Afghanistan bereist, um die Auswirkungen des völkermörderischen Krieges auf das afghanische Volk und dessen Kultur zu studieren, weil sie das Buch für einen Dokumentarfilm zu diesem Thema schreiben wollte. Ihre Mutter hatte sie erst zwei Wochen, nachdem der Leichnam in Moonlight Cove ans Ufer gespült worden war, von Janices Tod in Kenntnis setzen können.

Sie hatte Afghanistan vor fünf Tagen, am achten Oktober, mit dem Gefühl, als hätte sie ihre Schwester irgendwie im Stich gelassen, per Flugzeug verlassen. Ihre Schuldgefühle wogen mindestens ebenso schwer wie die ihrer Mutter, aber es stimmte, was sie sagte: Sie wurde damit fertig.

»Du hattest recht, Mom. Die offizielle Version stinkt zum Himmel.«

»Was hast du herausgefunden?«

»Noch nichts. Aber ich stand genau an der Stelle im Sand, wo sie angeblich die Valium genommen hat, wo sie zum letzten Mal schwimmen ging, wo sie sie zwei Tage später gefunden haben, und ich wußte, ihre ganze Geschichte ist Müll. Das habe ich in meinem Innersten gespürt, Mom. Und ich werde so oder so herausfinden, was tatsächlich geschehen is t.«

»Du mußt vorsichtig sein, Liebes.«

»Das werde ich.«

»Wenn Janice... ermordet... worden ist...«

»Ich passe auf.«

»Und wenn man der Polizei dort nicht trauen kann, wie wir vermuten... «

»Mom, ich bin einen Meter siebzig groß, blond, blauäugig, keck und sehe schätzungsweise so gefährlich aus wie ein Backenhörnchen von Walt Disney. Ich mußte mein Leben lang gegen mein Aussehen arbeiten, um ernst genommen zu werden. Frauen wollen mich alle bemuttern oder meine große Schwester sein, und Männer wollen entweder mein Vater sein oder mich in die Horizontale bringen, aber verdammt wenige durchschauen mein Äußeres und erkennen, daß ich ein Gehirn habe, das, wie ich fest überzeugt bin, größer als das einer Maus ist; normalerweise müssen sie mich erst eine Weile kennen, bis ihnen das klar wird. Daher werde ich mein Aussehen einfach verkaufen, anstatt dagegen zu arbeiten. Hier wird mich niemand als Bedrohung ansehen.« »Meldest du dich wieder?«

»Selbstverständlich.«

»Wenn du denkst, daß du in Gefahr bist, dann geh einfach weg, und zwar schnell.«

»Ich passe auf.«

»Versprich mir, daß du nicht bleibst, wenn es gefährlich wird«, beharrte Marion.

»Ich verspreche es. Aber du mußt mir versprechen, daß du in nächster Zeit nicht mehr aus Flugzeugen springen wirst.« »Dafür bin ich zu alt, Liebes. Ich bin jetzt älter. Uralt. Ich werde Hobbys finden müssen, die meinem Alter angemes -sen sind. Ich wollte zum Beispiel immer Wasserskifahren lernen, und in dem Dokumentarfilm über Sandbahnrennen, den du gedreht hast, schien man mit diesen kleinen Motorrädern einen Heidenspaß haben zu können.«

»Ich liebe dich so sehr, Mom.«

»Ich dich auch, Teejay. Mehr als das Leben selbst.«

»Ich werde dafür sorgen, daß sie für Janice bezahlen müssen.«

»Wenn es jemanden gibt, der bezahlen muß. Vergiß nicht, Teejay, daß unsere Janice nicht mehr ist, aber du bist noch da, und deine oberste Verpflichtung sollte niemals die gegenüber den Toten sein.«

17

George Valdoski saß am Küchentisch mit der Kunststoffplatte. Seine von harter Arbeit gezeichneten Hände waren fest um ein Glas Whiskey geklammert, aber das konnte nicht verhindern, daß sie zitterten; die Oberfläche des bernsteinfarbenen Bourbon bebte unablässig.

Als Loman Watkins eintrat und die Tür hinter sich zumachte, sah George nicht einmal auf Eddie war sein einziges Kind gewesen.

George war groß, mit breiter Brust und breiten Schultern. Aufgrund tiefliegender, dicht beieinanderstehender Augen, einem Mund mit schmalen Lippen und scharfgeschnittenen Gesichtszügen, hatte er trotz seiner sonstigen Schönheit ein verkniffenes, hartes Aussehen. Sein bedrohliches Äußeres trog jedoch, denn er war ein feinsinniger, sanfter und freundlicher Mensch.

»Wie geht es dir?« fragte Loman.

Diesesmal nickte George nicht einmal.

Als Loman die grell erleuchtete Küche durchquerte, quietschten seine Gummisohlen auf dem Linoleum. Unter der Tür zu dem kleinen Eßzimmer blieb er stehen und sah seinen Freund an. »Wir werden den Dreckskerl finden, George. Das schwöre ich.«

Jetzt sah George endlich von seinem Whiskey auf. Tränen schimmerten in seinen Augen, aber er ließ sie nicht fließen. Er war ein stolzer, hartherziger Pole, der entschlossen war, stark zu sein. Er sagte: »Eddie spielte bei Dämmerung hinten im Garten, hier hinten im Garten, wo man ihn sehen konnte, wenn man zum Fenster hinaussah, in seinem eigenen Garten. Als es dunkel war, rief Nella ihn zum Abendessen, und da er keine Antwort gab, vermuteten wir, daß er zu einem Nachbarn gegangen war, um mit anderen Kindern zu spielen, ohne zu fragen, wie er es hätte tun sollen.« Er hatte das alles schon mehr als einmal erzählt, aber er schien es nochmals durchgehen zu müssen, als würde die Wiederholung die häßliche Wirklichkeit abnutzen und dadurch verändern, so wie man auf einer Kassette nur noch weißes Rauschen hören konnte, und keine Musik mehr, wenn man sie zehntausendmal abgespielt hatte. »Wir haben nach ihm gesucht, konnten ihn nicht finden, machten uns aber anfangs noch keine Sorgen; wir waren sogar etwas wütend auf ihn; aber dann machten wir uns Sorgen, und dann bekamen wir Angst, ich wollte dich gerade anrufen und um Hilfe bitten, als wir ihn dort im Graben gefunden haben, gütiger Herrgott, völlig zerfetzt im Graben.« Er atmete tief durch, dann noch einmal und die zurückgehaltenen Tränen glitzerten hell in seinen Augen. »Was für ein Monster kann einem Kind so etwas antun, es verschleppen und das mit ihm machen und dann noch grausam genug sein, ihn wieder zurückzubringen und hinzuwerfen, wo wir ihn finden mußten? Muß so gewesen sein, denn wenn nicht hätten wir die... die Schreie hören müssen, wenn der Mistkerl ihm das hier in der Nähe angetan hätte. Muß ihn weggeschleppt, ihm das angetan und ihn dann hierher zurückgebracht haben, damit wir ihn finden. Was für ein Mensch, Loman? Um Gottes willen, was für ein Mensch?«