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»Was hat sie denn?« wollte George wissen.

Nella gab zwischen zusammengebissenen Zähnen und verzerrten Lippen hervor ein seltsames, leises Stöhnen von sich. Sie krümmte den Rücken, bis nur noch Schultern und Fersen Kontakt mit dem Bett hatten. Sie schien voll gewaltsamer Energie zu sein, wie ein Boiler, der unter zu hohem Dampfdruck steht, und einen Augenblick schien es, als würde sie explodieren. Dann sank sie wieder auf die Matratze und zitterte heftiger denn je, während ihr kalter Schweiß ausbrach.

George sah von Worthy zu Loman. Ihm war eindeutig klargeworden, daß etwas nicht stimmte, aber er begriff nicht einmal ansatzweise, was das war.

»Halt.« Loman zog den Revolver, als George in Richtung Flur zurückwich. »Komm hierher, George, und leg dich neben Nella aufs Bett.«

George Valdoski erstarrte unter der Tür und betrachtete den Revolver ungläubig und mißbilligend.

»Wenn du zu fliehen versuchst«, sagte Loman, »muß ich dich erschießen, und das würde ich wirklich nicht gerne tun.«

»Das würdest du nicht fertigbringen«, sagte George, der darauf baute, daß ihre jahrzehntelange Freundschaft ihn schützte.

»Doch, das würde ich«, sagte Loman kalt. »Ich würde dich umbringen, wenn es sein muß, und wir würden uns als Tarnung eine Geschichte ausdenken, die dir ganz und gar nicht gefallen würde. Wir würden sagen, wir hätten dich einer Falschaussage überführt, wir hätten Beweise gefunden, daß du Eddie getötet hast, daß du deinen eigenen Jungen umgebracht hast, eine krankhafte Sex-Sache, und als wir dich mit den Beweisen konfrontierten, hast du meinen Revolver aus dem Halfter gezogen. Es kam zum Handgemenge. Du bist erschossen worden. Fall abgeschlossen.«

Lomans Drohung war, da sie von einem Mann kam, der angeblich ein enger und geschätzter Freund war, so monströs, daß George zuerst sprachlos war. Als er dann wieder ins Zimmer trat, sagte er: »Du würdest jeden denken lassen, daß ich... Eddie so etwas Schreckliches antun würde? Warum? Was machst du da, Loman? Was, zum Teufel, machst du da? Wen... wen beschützt du?« »Leg dich aufs Bett«, sagte Loman.

Dr. Worthy bereitete eine Spritze für George vor.

Nella auf dem Bett schlotterte unablässig, zuckte, warf sich hin und her. Schweiß rann ihr übers Gesicht; ihr Haar war feucht und verfilzt. Sie hatte die Augen offen, schien aber nicht zu bemerken, daß noch jemand im Zimmer war. Vielleicht wußte sie nicht einmal, wo sie sich befand. Sie sah einen Ort jenseits des Zimmers oder sah in sich selbst hinein; Loman wußte nicht, was von beidem, und er konnte sich nicht mehr an seine eigene Verwandlung erinnern, davon abgesehen, daß die Schmerzen unerträglich gewesen waren. George Valdoski näherte sich zögernd dem Bett und sagte: »Was ist los, Loman? Herrgott, was soll das? Was geht hier vor?«

»Es wird alles gut werden«, versicherte Loman ihm. »Es ist am besten so. Wirklich am besten.«

»Was ist am besten? Was, in Gottes Namen...«

»Leg dich hin, George. Alles wird gut.«

»Was geschieht mit Nella?«

»Leg dich hin, George. Es ist am besten so.«

»Am besten«, stimmte Dr. Worthy zu, während er die Spritze aus einer neuen Flasche voll goldener Flüssigkeit füllte.

»Es ist wirklich am besten so«, sagte Loman. »Vertraue mir.« Er winkte George mit dem Revolver zum Bett und lächelte beruhigend.

18

Harry Talbots vom Bauhaus inspiriertes Haus war aus Rotholz erbaut und hatte viele Fenster. Es lag drei Blocks südlich vom Herzen von Moonlight Cove an der Ostseite der Conquistador Avenue, einer Straße, die nach der Tatsache benannt worden war, daß vor Jahrhunderten spanische Conquistadoren hier ihr Lager aufgeschlagen hatten, als sie katholische Geistliche entlang der Küste Kaliforniens beglei-teten, um Missionen zu errichten. Ab und zu träumte Harry einmal, daß er zu diesen uralten Soldaten gehörte und nach Norden in unerforschtes Land marschierte, und es war immer ein schöner Traum, weil er in diesem Abenteuer der Fantasie nie an den Rollstuhl gefesselt war.

Der größte Teil von Moonlight Cove war auf den bewaldeten Hügeln am Meer erbaut worden, und Harrys Grundstück verlief bis zur Conquistador hinab, was den idealen Ausblick für einen Mann bot, dessen Hauptbeschäftigung im Leben es war, seine Mitmenschen zu beobachten. Er konnte von seinem Schlafzimmer im dritten Stock an der Nordwestseite des Hauses zumindest bestimmte Abschnitte sämtlicher Straßen zwischen der Conquistador und der Bucht sehen - Juniper Lane, Serra Street, Roshmore Way und Cypress Lane -, ebenso die Seitenstraßen, die in ostwestlicher Richtung verliefen. Im Norden konnte er bis auf Teile der Ocean Avenue und sogar noch weiter sehen. Weite und Tiefe seines Beobachtungsfeldes wären selbstverständlich drastisch eingeschränkt gewesen, hätte sein Haus nicht einen Stock mehr gehabt als die meisten angrenzenden Häuser, und wäre er nicht mit einem 60-mm-f /8-Spiegelteleskop und einem guten Fernglas ausgerüstet gewesen.

Am 13. Oktober, einem Montagabend, saß Harry um halb zehn auf seinem spezialangefertigten Stuhl zwischen den großen Nord- und Westfenstern und war über die Linse des Teleskops gebeugt. Der hohe Stuhl hatte Armlehnen und eine Rückenlehne, wie ein normaler Stuhl, vier schräge, starke Beine für optimales Gleichgewicht und einen beschwerten Sockel, damit er nicht so leicht kippte, wenn Harry sich aus dem Rollstuhl hob und darauf setzte. Zudem hatte der Stuhl einen Sicherheitsfurt, ähnlich wie im Auto, der es Harry ermöglichte, sich zum Teleskop vorzubeugen, ohne vom Stuhl zu rutschen und auf den Boden zu fallen.

Weil er das linke Bein und den linken Arm nicht gebrauchen konnte, weil sein rechtes Bein so schwach war, daß er sich nicht darauf stützen konnte, weil er sich nur auf den rechten Arm verlassen konnte - den die Vietkong zum Glück verschont hatten -, war es schon ein qualvolles Unterfangen, aus dem batteriebetriebenen Rollstuhl auf den Stuhl zu klettern. Aber die Anstrengung lohnte sich, denn Harry Talbot lebte jedes Jahr mehr durch das Fernglas als das Jahr vorher. Wenn er auf seiner Stuhl-Spezialanfertigung saß, vergaß er manchmal sogar fast seine Behinderung, denn er hatte auf seine Weise Anteil am Leben.

Sein Lieblingsfilm war Das Fenster zum Hof mit Jimmy Stewart. Er hatte ihn wahrscheinlich schon hundertmal gesehen.

Augenblicklich war das Teleskop in den Hinterhof von Callans Bestattungsinstitut gerichtet, dem einzigen Bestattungsunternehmen von Moonlight Cove an der Ostseite der Juniper Lane, die parallel zur Conquistador verlief, aber einen Block näher am Meer lag. Er konnte dorthin schauen, indem er zwischen zwei Häusern auf der anderen Seite seiner eigenen Straße hindurchsah, am dicken Stamm einer großen Big Cone-Pinie vorbei und über den Verbindungsweg zwischen Juniper und Conquistador hinweg. Der Hinterhof grenzte an diesen Weg an, und Harry konnte auch eine Ecke der Garage sehen, in der der Leichenwagen parkte, den Hintereingang des Hauses selbst und den Eingang zum neuen Flügel, wo die Leichen einbalsamiert und zum letzten Abschied vorbereitet oder eingeäschert wurden.

Harry hatte im Verlauf der letzten zwei Monate einige seltsame Vorkommnisse bei Callan gesehen. Heute jedoch belebte nichts Ungewöhnliches Harrys geduldige Wache über den Hof.

»Moose?«

Der Hund erhob sich von seinem Ruheplatz in der Ecke und trottete durch das dunkle Schlafzimmer zu Harry. Es war ein ausgewachsener schwarzer Labrador, der in der Dunkelheit so gut wie nicht zu sehen war. Er strich an Harrys Bein entlang, dem rechten, in dem Harry noch etwas Gefühl hatte.

Harry ließ die Hand sinken und tätschelte Moose. »Hol mir ein Bier, alter Kumpel.«