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Er trat hinter Sholnick, stand über ihm, dann stieß Loman dem Regressiven die Mündung in den Rücken, etwa an der Stelle, wo er das Herz vermutete, und drückte ab. Sholnick stieß einen schrillen Schrei aus, als er spürte, wie ihn die Mündung berührte, aber er war zu schwach, sich herumzudrehen und Loman das Gewehr zu entreißen. Der Schuß machte dem Schrei für immer ein Ende.

Das Blut dampfte in dem Zimmer. Der komplexe Geruch war so süß und anziehend, daß er an die Stelle von Peysers verführerischem Gesang trat und Loman zur Regression treiben wollte.

Er lehnte sich an den Schrank, machte die Augen zu und versuchte, sich zusammenzunehmen. Er klammerte sich mit beiden Händen an der Schrotflinte fest, und zwar nicht wegen ihres Wertes für die Verteidigung - sie enthielt keine Munition mehr -, sondern weil es eine kunstvoll gefertigte Waffe war, was bedeutete, sie war ein Gegenstand der Zivilisation, eine Erinnerung daran, daß er ein Mensch war, der Gipfel der Evolution, und daß er der Versuchung nicht erliegen durfte, seine Werkzeuge und sein Wissen wegzuwerfen und gegen die niederen Vergnügungen und Befriedigungen eines Tieres einzutauschen.

Aber der Blutgeruch war so stark und verlockend...

Er versuchte verzweifelt, sich mit allem zu beeindrucken, was er verlieren würde, wenn er sich ergab, und er dachte an Grace, seine Frau, und erinnerte sich, wie sehr er sie einst geliebt hatte. Aber jetzt konnte er nicht mehr lieben, wie alle Neuen Menschen. Gedanken an Grace konnten ihn nicht retten. Tatsächlich sah er Bilder ihrer letzten animalischen Paarung vor sich, und sie war nicht mehr Grace für ihn; sie war einfach weiblich, und die Erinnerung an ihr wildes Kopulieren erregte ihn und zog ihn noch näher an den Strudel der Regression.

Der übermächtige Wunsch zu degenerieren weckte das Gefühl in ihm, als wäre er in einem Wirbel und würde nach unten gesogen werden, nach unten gesogen, nach unten, und er vermutete, daß sich so der Werwolf fühlen mußte, wenn er zum Nachthimmel aufsah und am Horizont den Vollmond aufgehen sah. Der Konflikt tobte in ihm:

...Blut...

...Freiheit...

-    nein. Verstand, Wissen -

...Jagen...

...Töten...

-    nein. Forschen, Lernen -

...Essen...

...Laufen...

...Jagen...

...Ficken...

...Töten...

-    nein, nein! Musik, Kunst, Sprache -

Das Chaos in ihm wuchs.

Er versuchte, dem Sirenengesang der Wildheit mit Vernunft entgegenzutreten, aber das schien nicht zu funktionieren, daher dachte er an Denny, seinen Sohn. Er mußte an seiner Menschlichkeit festhalten, und sei es nur Dennys wegen. Er versuchte, die Liebe zu beschwören, die er einst für seinen Sohn empfunden hatte, versuchte diese Liebe neu in sich erstehen zu lassen, bis er sie hinausschreien könnte, aber er vernahm nur ein Flüstern vergangener Gefühle tief in der Dunkelheit seines Verstandes. Seine Fähigkeit zu lieben war auf dieselbe Weise von ihm gewichen, wie Materie nach dem Urknall, der das Universum erschaffen hatte, vom Zentrum der Existenz fortgestrebt war; die Liebe zu Denny war jetzt so fern und vergangen, daß sie wie ein Stern am anderen Ende des Universums war, dessen Licht man nur schwach sehen konnte und das wenig Energie zu leuchten und gar keine Energie, Wärme zu spenden, mehr hatte. Doch selbst der Hauch eines Gefühls war etwas, um das er das Bild von sich selbst als menschlich aufbauen konnte, menschlich, in erster Linie Mensch, kein Ding, das auf allen Vieren lief, oder mit am Boden schleifenden Knöcheln, sondern ein Mensch, ein Mensch.

Sein fliegender Atem wurde etwas langsamer. Sein Herzschlag verlangsamte sich von einem unmöglich schnellen dubdubdubdubdubdubdubdubdub zu schätzungsweise hundert oder hundertzwanzig Schlägen pro Minute, immer noch schnell, als liefe er, aber besser. Auch sein Kopf wurde klarer, aber nicht völlig klar, weil der Geruch des Blutes ein unausweichliches Parfüm war.

Er stieß sich vom Schrank ab und stolperte zu Pennyworth.

Der Deputy hatte sich immer noch in der engsten Embryo-nalhalrung zusammengerollt, die ein erwachsener Mann einnehmen konnte. Spuren der Bestie waren an seinen Händen und im Gesicht zu erkennen, aber er war deutlich menschlicher geworden. Daß er den Namen seiner Mutter sang, schien ebensogut zu wirken, wie die dünne Lebenslinie der Liebe für Loman gewirkt hatte.

Loman nahm seine verkrampfte Hand von der Schrotflinte, streckte sie Pennyworth entgegen und nahm ihn am Arm. »Kommen Sie, verschwinden wir von hier, Junge, weg von dem Geruch.«

Pennyworth begriff und erhob sich umständlich. Er beugte sich zu Loman und ließ sich aus dem Zimmer führen, weg von den beiden toten Regressiven, den Flur entlang ins Wohnzimmer.

Hier erstickte der Uringestank sämtliche Spuren des Blutgeruchs, die aus dem Schlafzimmer hierher gezogen sein konnten. Das war besser. Es war kein übler Geruch mehr, wie vorhin, sondern ätzend und säubernd.

Loman ließ Pennyworth in einen Sessel sinken, das einzi-ge gepolsterte Möbelstück im Zimmer, das nicht in Fetzen gerissen worden war.

»Alles in Ordnung?«

Pennyworth sah zu ihm auf, zögerte, dann nickte er. Sämtliche Spuren der Bestie waren von Gesicht und Händen verschwunden, aber sein Fleisch war seltsam schwammig und immer noch im Stadium der Veränderung begriffen. Sein Gesicht schien von einem heftigen Anfall von Nesselausschlag geschwollen zu sein, große Beulen zogen sich von der Stirn zum Kinn und von einem Ohr zum anderen, und er hatte auch lange diagonale Wülste, die auf der Haut wütend rot leuchteten. Doch diese Phänomene verschwanden, noch während Loman hinsah, und Neil Pennyworth hatte seine Menschlichkeit wieder vollkommen zurückgewonnen. Jedenfalls seine leibliche Menschlichkeit.

»Sicher?« fragte Loman.

»Ja.«

»Bleiben Sie hier.«

»Ja.«

Loman ging in die Diele und machte die Eingangstür auf. Der Deputy, der draußen stand, war aufgrund der Schüsse und Schreie im Haus so nervös, daß er beinahe auf seinen Vorgesetzten geschossen hätte, bis ihm klar wurde, wen er vor sich hatte.

»Was, zum Teufel, geht da vor?« sagte der Deputy.

»Nehmen Sie per Computer Verbindung zu Shaddack auf«, sagte Loman. »Er muß sofort hierher kommen. Auf der Stelle. Ich muß ihn sofort sprechen.«

55

Sam zog die schweren blauen Vorhänge zu, und Harry schaltete das Nachttischlämpchen an. So schwach es war, zu düster, um mehr als die Hälfte der Schatten zu verscheuchen, es tat Tessa dennoch in den Augen weh, die bereits müde und blutunterlaufen waren.

Sie sah das Zimmer zum erstenmal richtig. Es war spartanisch möbliert: der Stuhl; der hohe Tisch neben dem Stuhl; das Teleskop; eine lange, schwarze Kommode im modernen orientalischen Stil; zwei passende Nachttischchen; in einer Ecke ein kleiner Kühlschrank; ein verstellbares Krankenhausbett, übergroß, ohne Decke, aber mit vielen Kissen und bunten Laken mit einem Muster roter, orangefarbener, purpurner, grüner, gelber, blauer und schwarzer Kleckse und Linien, wie eine gigantische Leinwand, die von einem wahnsinnigen und farbenblinden abstrakten Künstler bemalt worden war.

Harry sah ihre und Sams Reaktion auf die Laken, und sagte: »Das ist eine Geschichte für sich, aber Sie müssen zuerst die Vorgeschichte erfahren. Meine Haushälterin, Mrs. Huns-bok, kommt einmal die Woche vorbei, sie erledigt den größten Teil meiner Einkäufe für mich. Aber ich schicke auch Moose jeden Tag auf einen Botengang, und wenn es nur ist, um die Zeitung zu holen. Er hat diese... nun, eine Art Satteltaschen umgeschnallt, auf jeder Seite eine, ich lege einen Zettel und etwas Geld in eine Tasche, und er geht zum hiesigen Kaufhaus - wenn er die Taschen umgeschnallt hat und ich nicht bei ihm bin, geht er nur dorthin. Der Junge dort in der Lebensmittelabteilung, Jimmy Ramis, kennt mich ziemlich gut. Jimmy liest den Zettel, legt einen Beutel Milch oder ein paar Schokoriegel oder was ich auch immer haben möchte, in die Satteltasche, legt auch das Wechselgeld hinein, und Moose bringt mir alles. Er ist ein guter, zuverlässiger Hund, der beste. Sie bilden sie bei Canine Companions for Independence wirklich sehr gut aus. Wenn Moose meine Zeitung oder einen Beutel Milch in der Tasche hat, verfolgt er nie eine Katze.«