Einen Sekundenbruchteil später hörte Sam über Wind und Regen hinweg die Geräusche verstohlener Bewegungen auf der anderen Seite der Mauer, an der er kauerte. Ein leises Wuseln. Kratzen.
Er hielt den 38er in der rechten Hand und machte sich bereit, falls das Ding kühn genug sein sollte, durch das Fenster einzudringen.
Ein paar Sekunden verstrichen still. Dann weitere.
Sam ließ die linke Hand auf Mooses Rücken. Er konnte den Hund zittern spüren.
Tick-tick-tick.
Nach den langen Sekunden der Stille erschreckte das plötzliche Ticken Sam, denn er war gerade zu dem Ergebnis gekommen, daß die Kreaturen weitergezogen sein mußten.
Tick-tick-tick-tick.
Es klopfte gegen das Glas, als wollte es dessen Festigkeit erproben oder den Mann rufen, den es dort stehen gesehen hatte.
Tick-tick. Pause. Tick-tick-tick.
5
Tucker führte seine Meute aus Schlamm und Regen auf die windschiefe Veranda des Hauses. Die Dielen ächzten unter ihrem Gewicht. Ein loser Laden klapperte im Wind; alle anderen waren schon längst verfault und heruntergefallen.
Er bemühte sich, ihnen seine Absichten mitzuteilen, mußte aber feststellen, daß es ihm sehr schwerfiel, sich an die notwendigen Worte zu erinnern oder sie hervorzubringen. Zwischen Knurren und Fauchen und leisem Paarungsmurmeln gelang es ihm nur hervorzustoßen: »...hier ...verstecken ...hier ...sicher...«
Das andere Männchen schien die Fähigkeit zu sprechen vollkommen verloren zu haben, denn es brachte überhaupt keine Worte mehr zustande.
Das Weibchen sagte mit sichtlichen Schwierigkeiten: »...sicher ...hier ...zuHause ...«
Tucker studierte seine beiden Gefährten einen Augenblick und stellte fest, daß sie sich während ihres nächtlichen Abenteuers verändert hatten. Bisher hatte das Weibchen etwas Katzenhaftes gehabt - schlank, geschmeidig, mit Katzenohren und spitzen Zähnen, die sie entblößte, wenn sie vor Angst, Wut oder sexuellem Verlangen fauchte. Zwar hatte sie immer noch etwas von einer Katze an sich, aber sie war mehr wie Tucker geworden, wölfisch, mit einem großen Kopf und einer Schnauze, die mehr hundeartig als katzenhaft war. Sie hatte auch wolfsgleiche Beine und Füße, die von einer Kreuzung zwischen Mensch und Wolf zu stammen schienen, keine Pfoten, aber auch keine Hände, mit Klauen versehen, die länger und mörderischer als die eines Wolfs waren. Das andere Männchen, einst eine einmalige Erscheinung, die ein paar insektenhafte Züge mit dem allgemeinen Erscheinungsbild einer Hyäne vereint hatte, hatte sich inzwischen ebenfalls weitgehend Tuckers Äußerem angeglichen.
Tucker war durch eine stumme Übereinkunft zum Anführer der Meute geworden. Nachdem sie sich seiner Herrschaft unterworfen hatten, hatten seine Anhänger offensichtlich seine Gestalt als Modell für ihre eigene benützt. Ihm wurde klar, daß dies eine wichtige Wendung der Ereignisse war, vielleicht sogar eine ominöse.
Er wußte nicht, warum ihn das beunruhigen sollte, und er besaß nicht mehr die geistige Klarheit, sich so lange zu konzentrieren, bis er es begriff. Das drängendere Problem einer Zuflucht beanspruchte seine Aufmerksamkeit.
...hier... sicher... hier...«
Er führte sie durch die aufgebrochene, halb offene Tür in die Diele des verfallenen Hauses. Der Verputz war rissig und abgebröckelt, an manchen Stellen fehlte er völlig, dort waren Gitter zu sehen, die an die Gebeine eines halb verwesten Leichnams erinnerten. In dem leeren Wohnzimmer hingen lange Streifen Tapete herunter, als würde das Haus im Prozeß einer Verwandlung seine Haut abstreifen, die so dramatisch war wie die, die Tucker und seine Meute durchgemacht hatten.
Er folgte Gerüchen durch das Haus, und das war interessant, nicht erregend, aber eindeutig interessant. Seine Gefährten folgten ihm, während er Flecken von Schimmel untersuchte, Pilze, die in einer dunklen Ecke des Eßzimmers wuchsen, Kolonien schwach leuchtender Pilze im Zimmer auf der anderen Seite des Flurs, mehrere Häufchen Rattenkot, die mumifizierten Überreste eines Vogels, der durch eine der zerbrochenen Scheiben hereingeflogen war und sich an der Wand einen Flügel gebrochen hatte, und den noch erhaltenen Kadaver eines kranken Koyoten, der in die Küche gekrochen war, um zu sterben.
Im Verlauf dieser Untersuchung stellte Tucker fest, daß das Haus keinen idealen Unterschlupf bot. Die Zimmer wa-ren zu groß und zugig, besonders dort, wo die Fenster herausgebrochen waren. Es hing zwar kein Geruch von Menschen in der Luft, aber er spürte, daß immer noch welche hierher kamen, nicht regelmäßig, aber dennoch häufig genug, daß sie ein Ärgernis werden konnten.
Aber in der Küche fand er den Eingang zum Keller, und diese unterirdische Zuflucht nahm er aufgeregt zur Kenntnis. Er führte die anderen die quietschende Treppe hinunter in diese finstere Dunkelheit, wo keine kalten Winde sie erreichen konnten, wo Boden und Wände trocken waren, und wo die Luft einen sauberen, zitronenähnlichen Geruch hatte, der aus den Wänden kam.
Er ging davon aus, daß Eindringlinge selten in den Keller gingen. Und wenn doch... würden sie in ein Gehege kommen, aus dem sie nicht mehr entkommen könnten.
Es war eine vollkommene, fensterlose Heimstatt. Tucker ging die Wände des Raumes ab, seine Krallen klickten und schabten über den Boden. Er schnupperte in Ecken und untersuchte den verrosteten Ofen. Er war überzeugt, daß sie in Sicherheit waren. Sie konnten sich in der sicheren Gewißheit zusammenrollen, daß man sie nicht finden würde, und falls man sie durch Zufall doch fände, könnten sie den einzigen Fluchtweg abschneiden und den Eindringling rasch aus dem Weg schaffen.
An diesem tiefen, dunklen und geheimen Ort konnten sie werden, was sie wollten, und niemand würde sie sehen.
Dieser letzte Gedanke verblüffte Tucker. Alles werden, was sie wollten?
Er war nicht sicher, woher dieser Gedanke kam oder was er bedeutete. Plötzlich wurde ihm klar, daß er mit seiner Regression einen Prozeß eingeleitet hatte, der sich inzwischen seiner bewußten Kontrolle entzog, daß ein primitiver Teil seines Verstandes jetzt auf Dauer die Oberhoheit hatte. Panik ergriff ihn. Er war füher häufig in diesen veränderten Zustand übergewechselt und hatte immer wieder zurück gekonnt. Aber jetzt... Seine Angst war nur einen Augenblick klar, weil er sich nicht auf das Problem konzentrieren konnte, sich nicht einmal erinnerte, was er mit >Regression< mein-te, und weil er wenig später von dem Weibchen abgelenkt wurde, das sich mit ihm paaren wollte.
Bald darauf waren die drei ineinander verschlungen, krallten nacheinander, stießen und schlugen um sich. Ihre schrillen, erregten Schreie schallten durch das Haus, gleich Geisterstimmen in einem Spukhaus.
6
Tick-tick-tick.
Sam war versucht, sich zu erheben, durch das Fenster zu sehen und die Kreaturen von Angesicht zu Angesicht zu konfrontieren, denn er brannte darauf herauszufinden, wie sie aus der Nähe aussahen.
Aber da diese Kreaturen eindeutig gewalttätig waren, hätte ein solche Konfrontation sicher zu einem Angriff und einer Schießerei geführt, was die Aufmerksamkeit der Nachbarn und damit der Polizei erregt haben würde. Er durfte sein derzeitiges Versteck nicht aufs Spiel setzen, denn er konnte nirgendwo anders hingehen.
Er umklammerte den Revolver mit einer Hand, ließ die andere auf Moose und blieb unter dem Fenstersims und lauschte. Er hörte Stimmen, aber entweder sprachen sie keine Worte oder waren so gedämpft, daß die Worte nicht durch das Glas über seinem Kopf drangen. Das zweite Geschöpf hatte sich zu dem ersten an der Seitenmauer des Hauses gesellt. Sein Knurren hörte sich wie ein unterdrückter Streit an.