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»Aber wer?«

»Zum Beispiel dein Vater.«

»Der nicht.«

»Der ganz besonders«, flüsterte Runningdeer. »Er ist ein mächtiger Mann. Es gefällt ihm, Macht über andere zu haben, einzuschüchtern, zu drohen, um seinen Willen durchzusetzen. Du hast gesehen, wie sich die Menschen vor ihm verbeugen und kriechen.«

Tommy hatte tatsächlich bemerkt, wie respektvoll alle mit seinem Vater sprachen - besonders seine zahlreichen Freunde in der Politik -, und ein paarmal hatte er auch die beunruhigenden und wahrscheinlich aufrichtigeren Blicke gesehen, die sie hinter dem Rücken des Richters miteinander wechselten. Von Angesicht zu Angesicht schienen sie ihn zu bewundern, sogar zu verehren, aber wenn er nicht hinsah, schienen sie ihn nicht nur zu fürchten, sondern sogar zu verabscheuen.

»Er ist nur zufrieden, wenn er alle Macht besitzt, und die wird er nicht so ohne weiteres aus der Hand geben, für keinen, nicht einmal für seinen Sohn. Wenn er herausfindet, daß es dein Schicksal ist, größer und mächtiger zu werden, als er es ist... dann kann dir niemand mehr helfen. Nicht einmal ich.«

Wäre ihr Familienleben mehr von Liebe beherrscht gewesen, hätte Tommy die Warnung des Indianers vielleicht kaum akzeptieren können. Aber sein Vater unterhielt sich selten mehr als beiläufig mit ihm, berührte ihn noch seltener

- und niemals gab es eine Umarmung oder einen Kuß.

Manchmal brachte Runningdeer dem Jungen selbstgemachte Plätzchen mit. »Kaktusplätzchen«, nannte er sie, und es gab immer nur eines für jeden, die sie gemeinsam aßen, wenn sie entweder auf der Veranda saßen und der Indianer seine Vesperpause machte, oder wenn Tommy seinem Mentor bei verschiedenen Aufgaben über das achtzig Ar große Grundstück folgte. Kurz nachdem er das Kaktusplätzchen gegessen hatte, war der Junge in einer seltsamen Stimmung. Er fühlte sich euphorisch. Wenn er sich bewegte, schien er zu schweben. Die Farben waren leuchtender, schöner. Das eindrucksvollste aber war Runningdeer: sein Haar war unglaublich schwarz, die Haut wunderschön bronzefarben, die Zähne strahlten weiß, die Augen so dunkel wie das Ende des Universums. Jedes Geräusch - sogar das metallische schnip-schnip-schnip der Heckenschere, das Dröhnen eines Flugzeugs, das auf dem Weg zum Flughafen von Phoenix über ihnen hinwegzog, das insektenhafte Summen der PoolPumpe - wurde Musik; die Welt war voller Musik, aber das musikalischste von allem war Runningdeers Stimme. Auch Gerüche wurden deutlicher: Blumen, gemähtes Gras, das Öl, mit dem der Indianer die Werkzeuge einölte. Sogar der Schweißgeruch wurde angenehm. Runningdeer roch wie frischgebackenes Brot und Heu und Kupferpennys.

Tommy konnte sich selten daran erinnern, was Running-deer gesagt hatte, nachdem sie ihre Kaktusplätzchen gegessen hatten, aber er erinnerte sich, daß der Indianer mit besonderer Eindringlichkeit zu ihm sprach. Vieles hatte mit dem Zeichen des Mondfalken zu tun. »Wenn die großen Geister das Zeichen des Mondfalken schicken, dann weiß man, man wird unermeßliche Macht bekommen und unverwundbar sein. Unverwundbar! Aber wenn du den Mondfalken siehst, dann bedeutet das, daß die großen Geister eine Gegenleistung von dir erwarten, eine Tat, die wirklich beweist, daß du würdig bist.« Daran erinnerte sich Tommy, aber sonst an fast nichts. Normalerweise wurde er nach einer Stunde müde und ging auf sein Zimmer, um zu schlafen; dann waren seine Träume besonders lebhaft und wirkten echter als das wirkliche Leben, und immer kam der Indianer darin vor. Es waren furchteinflößende und zugleich tröstliche Träume.

An einem regnerischen Samstag im November, als Tommy zehn Jahre alt war, saß er auf einem Hocker neben der Werkbank am Ende der Garage, die vier Autos Platz bot und sah zu, wie Runningdeer ein elektrisches Messer reparierte, das der Richter immer dazu benützte, am Erntedankfest und an Weihnachten den Truthahn zu schneiden. Die Luft war angenehm kühl und für Phoenix ungewöhnlich feucht. Runningdeer und Tommy sprachen vom Regen, den bevorstehenden Ferien und jüngsten Ereignissen in der Schule. Sie unterhielten sich nicht immer über Zeichen oder das Schicksal, sonst hätte Tommy den Indianer wohl kaum so gut leiden mögen; Runningdeer war ein großartiger Zuhörer.

Als der Indianer das elektrische Messer repariert hatte, schaltete er es ein. Die Klingen sausten so schnell hin und her, daß die Schnittkante verschwamm.

Tommy applaudierte.

»Siehst du das?« fragte Runningdeer, hielt das Messer hoch und blinzelte ins Licht der Glühbirnen an der Decke.

Grelle Funken stoben von den rasenden Klingen, als wären sie emsig damit beschäftigt, das Licht selbst zu schneiden.

»Was?« fragte Tommy.

»Dieses Messer, kleiner Häuptling. Es ist eine Maschine. Eine unnütze Maschine, keine wirklich wichtige Maschine wie ein Auto, ein Flugzeug oder ein elektrischer Rollstuhl. Mein Bruder ist... verkrüppelt... und muß mit einem elektrischen Rollstuhl fahren. Hast du das gewußt, Kleiner Häuptling?«

»Nein.«

»Einer meiner Brüder ist tot, der andere verkrüppelt.«

»Das tut mir leid.«

»Eigentlich sind es nur meine Halbbrüder, aber andere habe ich nicht.«

»Wie ist das passiert? Warum?«

Runningdeer ging nicht auf die Frage ein. »Auch wenn der Zweck dieses Messers nur darin besteht, einen Truthahn zu zerlegen, den man ebenso gut mit der Hand zerlegen könnte, ist es trotzdem effizient und klug. Die meisten Maschinen sind viel effizienter und klüger als Menschen.«

Der Indianer senkte das Schneidegerät etwas und sah Tommy direkt an. Er hielt das summende Messer zwischen sie und sah über die rasende Klinge hinweg in Tommys Augen.

Der Junge geriet in einen ähnlichen Bann wie nach dem Verzehr der Kaktusplätzchen, obwohl sie keine gegessen hatten.

»Der weiße Mann setzt viel Vertrauen in Maschinen«, sagte Runningdeer. »Er denkt, Maschinen seien immer viel zuverlässiger und klüger als Menschen. Wenn du in der Welt des weißen Mannes wahrhaft groß werden willst, Kleiner Häuptling, mußt du versuchen, so gut du kannst, zur Maschine zu werden. Du mußt effizient sein. Du mußt unablässig arbeiten, wie eine Maschine. Du mußt entschlossen dein Ziel verfolgen und darfst dich nicht von Begierden oder Emotionen ablenken lassen.«

Er bewegte die summende Klinge langsam auf Tommys Gesicht zu, bis der Junge bei dem Versuch, sie weiter anzusehen, zu schielen anfing.

»Damit könnte ich dir die Nase abschneiden, die Lippen wegreißen, die Wangen aushöhlen und Ohren abtrennen... «

Tommy wollte vom Hocker herunter und weglaufen.

Aber er konnte sich nicht bewegen.

Er merkte, daß der Indianer ihn an einem Handgelenk festhielt.

Aber selbst wenn er ihn nicht festgehalten hätte, hätte er nicht weglaufen können. Er war wie gelähmt. Aber nicht nur vor Angst. Der Augenblick hatte etwas Verführerisches an sich; das Potential der Gewalt war auf eine seltsame Weise... aufregend.

»...könnte die Rundung deines Kinns abschneiden, dich skalpieren, die Knochen freilegen, und du würdest verbluten oder an einer anderen Ursache sterben, aber... «

Die Klinge war nur noch fünf Zentimeter von seinem Ge -sicht entfernt.

»...aber die Maschine würde weitermachen...«

Zwei Zentimeter.

»...das Messer würde immer noch summen und schneiden, summen und schneiden... «

Ein Zentimeter.

»...weil Maschinen nicht sterben...«

Tommy konnte den sanften Hauch spüren, den die beiden unablässig summenden Klingen erzeugten.

»...Maschinen sind effizient und zuverlässig. Wenn du es in der Welt des Weißen Mannes zu etwas bringen willst, Kleiner Häuptling, mußt du wie eine Maschine werden.«

Runningdeer schaltete das Messer ab. Er legte es weg.

Er ließ Tommy nicht los.

Er beugte sich dicht zu ihm und sagte: »Wenn du groß werden möchtest, wenn du die großen Geister zufriedenstellen möchtest, wenn sie dir das Zeichen des Mondfalken schicken, dann mußt du entschlossen sein, tüchtig, kalt, verbissen und darfst nicht an die Konsequenzen denken, genau wie eine Maschine.«