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Schließlich sah sie einen geeigneten Baum - bemerkte aber im nächsten Augenblick ein Tor an der Südwestecke der Mauer. Sie hatte es bisher nicht gesehen, weil es von ein paar Büschen, an denen sie gerade vorbeigelaufen war, vor ihren Blicken verborgen worden war.

Sie rang keuchend nach Luft, senkte den Kopf, preßte die Arme an die Seiten und lief zu dem Tor. Sie schlug mit der Hand auf den Riegel und hieb ihn aus dem Schlitz, in dem er steckte; dann platzte sie auf die Straße hinaus. Sie bog nach links ab, weg von der Ocean Avenue in Richtung Jaco-bi Street, und lief durch tiefe Pfützen fast bis zum Ende des Blocks, bevor sie einen Blick zurück riskierte.

Nichts war ihr durch das Tor der Pfarrei gefolgt.

Sie war zweimal in den Händen der Außerirdischen gewesen, und sie war ihnen zweimal entkommen. Sie wußte, wenn sie ein drittes Mal gefangen würde, würde sie nicht mehr so viel Glück haben.

10

Kurz nach neun Uhr, nach alles in allem weniger als vier Stunden Schlaf, erwachte Sam Booker durch das leise Klirren und Scheppern von jemandem, der in der Küche arbeitete. Er setzte sich auf dem Sofa im Wohnzimmer auf, rieb sich die müden Augen, zog Schuhe und Schulterhalfter an und ging den Flur entlang.

Tessa Lockland summte leise, während sie Pfannen, Schüsseln und Lebensmittel auf der rollstuhlgerechten Arbeitsplatte beim Herd aufreihte und das Frühstück vorbereitete.

»Guten Morgen«, sagte sie strahlend, als Sam die Küche betrat.

»Was soll daran gut sein?« fragte er.

»Hören Sie doch nur, der Regen«, sagte sie. »Bei Regen fühle ich mich immer sauber und frisch.«

»Mich deprimiert er immer.«

»Und es ist schön, in einer warmen, trockenen Küche zu sein, wo man dem Sturm gemütlich zuhören kann.«

Er kratzte über die Bartstoppeln seiner unrasierten Wangen. »Mir kommt es hier drinnen etwas überladen vor.«

»Wie dem auch sei, wir sind noch am Leben, und das ist gut.«

»Schätze schon.«

»Gott im Himmel!« Sie hämmerte eine leere Bratpfanne auf den Herd und sah ihn böse an. »Sind alle FBI-Agenten wie Sie?«

»In welcher Hinsicht?«

»Sind alle Sauertöpfe?«

»Ich bin kein Sauertopf.«

»Sie sind der klassische Trübsalbläser.«

»Nun, das Leben ist kein Jahrmarkt.«

»Nicht?«

»Das Leben ist hart und bitter.«

»Vielleicht. Aber ist es nicht auch ein Jahrmarkt?«

»Sind alle Domkumentarfilmerinnen wie Sie?«

»In welcher Hinsicht?«

»Blauäugig.«

»Das ist lächerlich. Ich bin nicht blauäugig.«

»Ach nein?«

»Nein.«

»Wir sind hier in einer Stadt gefangen, in der die Wirklichkeit vorübergehend aufgehoben zu sein scheint, in der Menschen von unbekannten Lebewesen zerrissen werden, in der nachts Schreckgespenster durch die Straßen ziehen, ein verrücktes Computergenie die menschliche Biologie auf den Kopf gestellt zu haben schein, wir alle höchstwahrscheinlich heute vor Mitternacht getötet oder >verwandelt< werden, und als ich hier hereinkomme, grinsen Sie und sind ausgelassen und summen ein Stück der Beatles.«

»Nicht der Beatles.«

»Hm?«

»Rolling Stones.«

»Und das ist ein Unterschied?«

Sie seufzte. »Hören Sie, wenn Sie mithelfen wollen, dieses Frühstück zu essen, dann werden Sie auch mithelfen, es zuzubereiten, also stehen Sie nicht nur hier herum und quengeln.«

»Schon gut, schon gut, was soll ich machen?«

»Gehen Sie zuerst dort zur Sprechanlage und rufen Sie Harry, ob er schon wach ist. Sagen Sie ihm, Frühstück in... hmmmmmm... vierzig Minuten. Pfannkuchen und Eier und gebratener Speck.«

Sam drückte auf den Knopf der Sprechanlage und sagte: »Hallo, Harry«, und Harry, der bereits wach war, antwortete auf der Stelle. Er sagte, er würde in einer halben Stunde unten sein.

»Was jetzt?« wandte sich Sam an Tessa.

»Holen Sie Eier und Milch aus dem Kühlschrank - aber sehen Sie um Gottes willen nicht in die Kartons.«

»Warum nicht?«

Sie grinste. »Weil sonst die Eier schlecht und die Milch sauer werden.«

»Sehr witzig.«

»Dachte ich mir.«

Während sie den Pfannkuchenteig zubereitete und sechs Eier in eine Glasschüssel schlug und würzte, damit sie sie rasch in die Pfanne kippen konnte, wenn sie sie brauchte, Sam Anweisungen gab, den Tisch zu decken und ihr bei anderen Kleinigkeiten zu helfen, Zwiebeln zu hacken und Speck in Streifen zu schneiden, summte oder sang Tessa abwechselnd Songs von Patti La Belle und den Pointer Sisters. Sam wußte, wessen Musik es war, weil sie es ihm sagte, sie sagte jeden Song an, als wäre sie ein Diskjockey oder als würde sie hoffen, sie könnte ihn bilden oder aufmuntern. Während sie arbeitete und sang, tanzte sie auf der Stelle, wackelte mit dem Hinterteil, rollte mit den Hüften, drehte die Schultern, schnippte manchmal mit den Fingern und ging richtig mit.

Es machte ihr wirklich Spaß, aber er wußte, sie zog ihn auch etwas auf, was ihr ebenfalls Freude bereitete. Er bemühte sich, seine mürrische Stimmung zu erhalten, und wenn sie ihn anlächelte, lächelte er nicht zurück, aber verdammt, sie war so niedlich. Ihr Haar war zerzaust, und sie trug überhaupt kein Make-up, und ihre Kleidung war zerknittert, weil sie darin geschlafen hatte, aber das etwas zerknautschte Aussehen machte sie nur um so liebenswerter.

Manchmal ließ sie ihr leises Singen und Summen sein, um ihm eine Frage zu stellen, aber sie sang und tanzte weiter auf der Stelle, während er antwortete. »Haben Sie sich schon überlegt, was wir tun können, um aus der Klemme zu kommen, in der wir uns befinden?«

»Ich habe eine Idee.«

»Patti La Belle, >New Attitüde««, sagte sie und meinte den Song, den sie sang. »Ist diese Idee ein finsteres, tiefes Geheimnis?«

»Nein. Aber ich brauche ein paar Informationen und muß mit Harry reden, daher werde ich es beim Frühstück erzählen.«

Er beugte sich, ihren Anweisungen folgend, über die niedrige Arbeitsplatte und schnitt dünne Scheiben von einem Stück Cheddar ab, als sie lange genug zu singen aufhörte, um ihn zu fragen: »Warum haben Sie gesagt, das Leben sei hart und bitter?«

»Weil es so ist.«

»Aber es ist auch voller Spaß...«

»Nein.«

»... und Schönheit...«

»Nein.«

»... und Hoffnung...«

»Unsinn.«

»Ist es.«

»Ist es nicht.«

»Doch, ist es.«

»Ist es nicht.«

»Warum sind Sie so negativ?«

»Weil ich es sein will.«

»Aber warum wollen Sie es sein?«

»Herrgott, Sie geben wohl nie Ruhe.«

»Pointer Sisters, >Neutron Dance<.« Sie sang ein Stück und tanzte auf der Stelle, während sie Eierschalen und andere Abfälle in den Mülleimer warf. Dann unterbrach sie die Melodie und sagte: »Was ist Ihnen zugestoßen, daß Sie sagen, das Leben sei nur hart und bitter?«

»Das interessiert Sie doch gar nicht.«

»Doch, sicher.«

Er war fertig mit dem Käse und legte das Messer weg. »Wollen Sie es wirklich wissen?«

»Wirklich.«

»Meine Mutter wurde bei einem Verkehrsunfall getötet, als ich sieben war. Ich war bei ihr im Auto, wäre beinahe selbst gestorben, war länger als eine Stunde mit ihr in dem Wrack eingeschlossen, von Angesicht zu Angesicht, und sah in ihre leere Augenhöhle und ihr eingedrücktes Ge -sicht. Danach mußte ich bei meinem Vater leben, von dem sie geschieden war, und er war ein böser Hurensohn, Alkoholiker, und ich kann Ihnen nicht sagen, wie oft er mich verprügelt hat, oder gedroht, mich zu verprügeln, oder mich auf einen Stuhl in der Küche gefesselt, wo er mich dann stundenlang alleine ließ, bis ich nicht mehr konnte und mir in die Hosen machte, und wenn er kam und mich losband und sah, was ich getan hatte, verprügelte er mich deswegen.«