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»Denny?«

Keine Antwort.

Der Junge war vollkommen stumm geworden. Er gab nicht einmal mehr elektronische Geräusche von sich.

Die Metallkabel, in die die Finger des Jungen übergingen, vibrierten unablässig und pulsierten manchmal, als würde dickflüssiges, unmenschliches Blut durch sie fließen und zwischen den organischen und anorganischen Komponenten des Mechanismus wechseln.

Lomans Herz schlug so schnell, wie er gelaufen wäre, hätte er fliehen können. Aber das Gewicht seiner Angst hielt ihn fest. Schweiß war ihm ausgebrochen. Er bemühte sich, die gewaltige Mahlzeit nicht zu erbrechen, die er gerade zu sich genommen hatte.

Er überlegte sich verzweifelt, was er tun sollte, und sein erster Gedanke war, Shaddack anzurufen und um Hilfe zu bitten. Shaddack würde sicher verstehen, was sich hier abspielte, er würde wissen, wie man diese teuflische Metamorphose umkehren und Denny seine menschliche Gestalt wiedergeben könnte.

Aber das war Wunschdenken. Das Projekt Moonhawk war außer Kontrolle und folgte dunklen Wegen zu mitternächtlichen Schrecken, die Tom Shaddack nicht vorhergesehen hatte und nicht abwenden konnte.

Außerdem würde es Shaddack keine Angst machen, was Denny zustieß. Er würde entzückt sein, überschwenglich. Shaddack würde den Zustand des Jungen als höhere veränderte Daseinsform betrachten, ebenso erstrebenswert, wie die niedere Stufe der Regressiven verabscheuungswürdig und widerlich war. Hier war das, was Shaddack wirklich suchte, die erzwungene Verwandlung von Mensch in Maschine.

In der Erinnerung konnte Loman Shaddack noch jetzt in Peysers blutbespritztem Badezimmer sagen hören:»...ich kann nur nicht verstehen, warum die Regressiven sich allesamt für einen submenschlichen Zustand entschieden haben. Sie haben doch sicher die Kraft in sich, eine Evolution durchzumachen, keine Devolution, sich über das menschliche Dasein hinaus zu etwas Höherem, Sauberem, Reinerem zu erheben...«

Loman war sicher, daß Dennys sabbernde, silberäugige Inkarnation keine höhere Form der gewöhnlichen menschlichen Existenz war, weder sauberer noch reiner. Sie war auf ihre Weise ebenso eine Regression wie Mike Peysers Degeneration in seine wolfsähnliche Gestalt oder Coombs' Abstieg in affenartige Primitivität. Denny hatte, genau wie Pey-ser, seine intellektuelle Individualität aufgegeben, um dem Wissen um das emotionslose Leben eines Neuen Menschen zu entfliehen; anstatt zum Mitglied einer Meute submenschlicher Bestien zu werden, war er zu einer von vielen Datenverarbeitungseinheiten in einem komplexen Computernetz geworden. Er hatte den letzten Rest des Menschlichen in sich - seinen Verstand - abgestreift und war zu etwas Einfacherem als einem überlegenen und komplexen Menschen geworden.

Ein Speichelfaden troff von Dennys Kinn und erzeugte einen nassen Fleck auf dem Jeansstoff seiner Hose.

Empfindest du noch Angst? überlegte Loman. Du kannst nicht lieben. Nicht mehr als ich. Aber hast du jetzt noch Angst vor etwas?

Sicher nicht. Maschinen kannten keine Angst.

Loman konnte nach seiner Verwandlung kein anderes Gefühl als Angst mehr empfinden, und seine Tage und Nächte waren zu einer einzigen langen Prüfung der Angst unterschiedlicher Heftigkeit geworden; aber er hatte auf eine perverse Weise gelernt, die Angst zu lieben, sie zu verehren, weil sie die einzige Empfindung war, die ihn in Kontakt mit dem Mann hielt, der er vor seiner Verwandlung gewesen war. Wenn man ihm auch seine Angst nähme, würde er zu einer Maschine aus Fleisch verkommen. Dann würde sein Leben überhaupt keine menschliche Dimension mehr haben.

Denny hatte sein letztes kostbares Gefühl aufgegeben. Er hatte nur noch wenig, mit dem er seine endlosen grauen Tage aufhellen konnte, nämlich Logik, Vernunft, endlose Ketten von Berechnungen, die niemals endende Absorption und Interpolation von Fakten. Und wenn Shaddack recht hatte, was das verlängerte Leben der Neuen Menschen anbetraf, würden diese Tage sich zu Jahren ausdehnen.

Plötzlich gab der Junge wieder die unheimlichen elektronischen Geräusche von sich. Sie hallten von den Wänden.

Diese Laute waren so seltsam wie die kalten, klagenden Lieder von Lebewesen, die in den tiefsten Tiefen des Meeres hausten.

Wenn er Shaddack anrief und ihm Denny in diesem Zustand zeigte, würde er den Wahnsinnigen in seinem irren und unheiligen Vorhaben bestärken. Wenn er erst einmal verstanden hätte, was Denny geworden war, fände Shad-dack vielleicht einen Weg, alle Neuen Menschen dazu anzuregen oder zu zwingen, sich in ähnlich identische, durch und durch kybernetische Organismen zu verwandeln. Diese Vorstellung peitschte Lomans Angst zu neuen Höhen.

Das Kind-Ding verstummte wieder.

Loman zog den Revolver aas dem Halfter. Seine Hand zitterte heftig.

Daten huschten immer wahnwitziger über den Schirm und schwammen gleichzeitig über die Oberfläche von Den-nys geschmolzenen Augen.

Während er das Geschöpf betrachtete, das einmal sein Sohn gewesen war, kramte Loman Erinnerungen aus der Truhe seines Lebens vor der Verwandlung und versuchte verzweifelt, etwas von dem zu beschwören, was er einst für Denny empfunden hatte - die Liebe eines Vaters zu seinem Sohn, den süßen Schmerz des Stolzes, die Hoffnungen für die Zukunft des Jungen. Er erinnerte sich an Angelausflüge, die sie zusammen unternommen hatten, an Abende vor dem Fernseher, Lieblingsbücher, die sie beide gelesen und über die sie sich unterhalten hatten, viele Stunden, die sie glücklich gemeinsam an wissenschaftlichen Projekten für die Schule gearbeitet hatten, das Weihnachtsfest, zu dem Denny sein erstes Fahrrad bekommen hatte, die erste Verabredung des Jungen, als er nervös die Tochter der Talmadges nach Hause gebracht hatte, damit sie seine Eltern kennenlernte... Loman konnte Erinnerungen an all das heraufbeschwören, deutliche Bilder der Erinnerung, aber sie konnten ihn nicht glücklich machen. Er wußte, er sollte etwas empfinden, wenn er sein einziges Kind umbringen wollte, mehr als Angst, aber dazu war er nicht mehr imstande. Um das zu erhalten, was noch von einem Menschen in ihm war, sollte er sich mindestens eine Träne herauspressen können, mindestens eine, wenn er den Abzug der Smith & Wessen betätigte, aber seine Augen blieben trocken.

Dann platzte etwas ohne Vorwarnung aus Dennys Stirn.

Loman schrie auf und taumelte überrascht zwei Schritte zurück.

Zuerst hielt er das Ding für einen Wurm, denn es glänzte ölig und war in Segmente unterteilt und so dick wie ein Bleistift. Aber je weiter es herauskam, desto deutlicher sah er, daß es mehr metallisch als organisch war und in einem Stecker endete, der etwa dreimal so dick war wie der >Wurm< selbst. Es schwankte vor Dennys Gesicht hin und her wie der Fühler eines unvergleichlich widerwärtigen Insekts und wurde länger und länger, bis es den Computer berührte.

Er will, daß das passiert, sagte sich Loman.

Das war die Macht von Verstand über Materie, keine kurzgeschlossene Genetik. Greifbar gemachte Geisteskraft, nicht amoklaufende Biologie. Dies war es, was der Junge werden wollte, und wenn dies das einzige Leben war, das er jetzt noch ertragen konnte, die einzige Existenz, die er begehrte, warum sollte er sie dann nicht bekommen dürfen?

Der gräßliche wurmartige Fortsatz sondierte den freigelegten Mechanismus, wo einmal die Abdeckplatte gewesen war. Er verschwand im Inneren und stellte eine Verbindung her, die dem Jungen ein intimeres Band mit Sonne verschaffte, als es nur mit seinen mutierten Händen und Quecksilberaugen möglich gewesen wäre.

Ein hohles, elektronisches Heulen, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ, drang aus dem Mund des Jungen, obwohl er weder Lippen noch die Zunge bewegte.

Lomans Angst zu handeln war größer geworden als seine Angst davor, nicht zu handeln. Er kam näher, hielt dem Jungen die Mündung des Revolvers an die rechte Schläfe und feuerte zwei Schuß ab.