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Harry sagte im Rollstuhclass="underline" »Sam, glauben Sie, daß es wirklich Menschen sind, die sich selbst kontrollieren, die sich entschieden haben, maschinenähnlich zu werden, oder sind es Menschen, die irgendwie gegen ihren Willen von Maschinen übernommen worden sind?«

»Ich weiß nicht«, sagte Sam. »Ich schätze, es könnte beides möglich sein.«

»Aber wie können sie übernommen worden sein, wie konnte es geschehen, wie lassen sich solche Veränderungen im menschlichen Körper bewerkstelligen? Und wie paßt das, was mit dem Computer passiert ist, zu den Schreckgespenstern?«

»Wenn ich das nur wüßte«, sagte Sam. »Irgendwie hängt das alles mit New Wave zusammen. Muß so sein. Und keiner von uns hier weiß besonders viel über die Beschaffenheit dieser Technologie, daher haben wir nicht einmal das Grundwissen, mit dem wir intelligente Spekulationen anstellen könnten. Für uns könnte es Magie sein, das Übernatürliche. Wir können nur dann wirklich verstehen, was hier vor sich geht, wenn wir Hilfe von außerhalb bekommen, wenn wir Moonlight Cove abriegeln, die Unterlagen und Forschungsstätten von New Wave beschlagnahmen und alles so rekonstruieren, wie Feuerwehrleute eine Brandursache anhand der Überreste in der Asche rekonstruieren können.«

»Asche?« fragte Tessa, während Sam aufstand und sie ihm half, das Hemd anzuziehen. »Diese Worte von Feuer und Asche - und andere Dinge, die Sie gesagt haben -, hören sich ganz so an, als wären Sie der Meinung, daß die Ereignisse in Moonlight Cove immer schneller auf eine Explosion zustreben.«

»So ist es«, sagte er.

Er versuchte zuerst, das Hemd mit einer Hand zuzuknöpfen, aber dann ließ er es Tessa machen. Sie bemerkte, daß seine Haut immer noch kalt war und das Zittern nicht mit der Zeit nachließ.

Er sagte: »Die vielen Morde, die sie vertuscht haben, die Wesen, die durch die Nacht streichen... man gewinnt den Eindruck, daß ein Zusammenbruch angefangen hat, daß das, was sie vorhatten, nicht wie geplant verlief und der Zusammenbruch sich immer mehr beschleunigt.« Er atmete zu flach, zu schnell. Er machte eine Pause und atmete tief durch. »Was ich im Haus der Coltranes gesehen habe... das sah nicht wie etwas aus, das jemand geplant hat, das man Menschen antun möchte oder das sie sich selbst antun wollten. Es sah wie ein außer Kontrolle geratenes Experiment aus, wie eine amoklaufende Biologie, wie eine Wirklichkeit, deren Innerstes nach außen gekehrt wurde, und ich schwöre bei Gott, wenn solche Geheimnisse in den Häusern dieser Stadt versteckt werden, dann muß das gesamte Projekt über New Wave zusammenbrechen, und zwar heftig und schnell, ob sie es zugeben wollen oder nicht. Alles geht hoch, jetzt im Augenblick, eine gigantische Explosion, und wir sind mittendrin.«

Von dem Augenblick, als er von Regen und Blut tropfend durch die Küchentür gestolpert war, und während der ganzen Zeit, als Tessa seine Wunden gesäubert und verbunden hatte, war ihr etwas aufgefallen, das ihr mehr Angst machte als seine Blässe und das Zittern. Er berührte sie ständig. Er hatte Tessa in der Küche umarmt, als sie erschrocken stöhnend das blutende Loch in seiner Stirn bemerkt hatte, hatte sie gehalten und sich an sie gelehnt und ihr versichert, daß alles mit ihm in Ordnung war. Aber er schien sich in erster Linie selbst zu versichern, daß mit Harry und Chrissie und ihr selbst alles in Ordnung war, als hätte er damit gerechnet, daß er zurückkäme und sie wären... verwandelt. Er umarmte Chrissie, als wäre sie seine eigene Tochter, und er sagte: » Alles wird gut, alles wird gut werden«, als er sah, wie ängstlich sie war. Harry streckte ihm tröstend die Hand entgegen, und Sam nahm sie und wollte sie nicht mehr loslas -sen. Während Tessa im Bad seine Verletzungen behandelt hatte, hatte er mehrmals ihre Hände und Arme berührt und einmal ihre Wange gestreichelt, als hätte er nicht fassen können, wie weich und warm ihre Haut war. Er hatte auch Chrissie berührt, als sie im Badezimmer gestanden hatte, tätschelte ihre Schulter, hielt ihre Hand einen Augenblick und drückte sie zuversichtlich. Bisher hatte er solche Kontakte immer gemieden. Er war reserviert gewesen, verschlossen, kühl, sogar distanziert. Aber im Verlauf der halben Stunde, die er im Haus der Coltranes verbracht hatte, hatte ihn das, was er dort erlebt hatte, so durch und durch erschüttert, daß seine selbstgewählte Isolation einen breiten Sprung bekommen hatte; er wollte und brauchte auf einmal menschliche Nähe, die er noch vor kurzer Zeit nicht so erstrebenswert wie gutes mexikanisches Essen, Guinness Stout und Goldie-Hawn-Filme gefunden hatte.

Wenn sie über das Ausmaß des Grauens nachdachte, das erforderlich war, ihn so unvermittelt und grundlegend zu verändern, hatte Tessa mehr Angst denn je, weil Sam Bookers Bekehrung der eines Sünders gleichkam, der auf dem Totenbett in die Hölle blickt und sich verzweifelt an den Gott wendet, den er einst verabscheute, und Trost und Beruhigung sucht. War er jetzt nicht mehr so sicher, daß sie davonkommen würden? Vielleicht suchte er Kontakt zu seinen Mitmenschen, den er sich so viele Jahre vorenthalten hatte, weil er der Überzeugung war, daß ihnen nur noch Stunden blieben, in denen er die Ge meinschaft mit seinen Mitmenschen erleben konnte, bevor die große, tiefe und endlose Dunkelheit über sie kam.

27

Shaddack erwachte aus seinem vertrauten und tröstlichen Traum von Menschen und Maschinenteilen, die zu einem weltweiten Mechanismus unschätzbarer Macht und geheimnisvoller Ziele verbunden waren. Wie immer hatte ihn der Traum ebenso erfrischt wie der Schlaf selbst.

Er stieg aus dem Lieferwagen aus und streckte sich. Er verschaffte sich mit Werkzeugen, die er in der Garage fand, Zutritt zum Haus der verstorbenen Paula Parkins. Er benützte ihre Toilette, dann wusch er sich Hände und Gesicht.

Nachdem er in die Garage zurückgekehrt war, zog er das große Tor in die Höhe. Er fuhr den Wagen in die Einfahrt, wo er Daten per Mikrowelle besser empfangen und senden konnte.

Es regnete immer noch, Vertiefungen im Rasen waren mit Wasser vollgelaufen. Erste Nebelschwaden kräuselten sich bereits in der windstillen Luft, was bedeutete, daß die Nebelbänke, die später vom Meer hereinzogen, dichter als die vergangene Nacht sein würden.

Er nahm noch ein Schinkensandwich und eine Cola aus der Kühltasche und aß, während er den Stand von Projekt Moonhawk über das VDT des Lieferwagens abrief. Die zwischen sechs und achtzehn Uhr geplanten vierhundertfünfzig Verwandlungen wurden derzeit vollzogen. Um zwölf Uhr fünfzig, nach etwas weniger als sieben Stunden des zwölf-stündigen Programms, hatten bereits dreihundertundneun die letzte Dosis Mikrokugeln erhalten. Die Verwandlungsteams waren dem Zeitplan weit voraus.

Er überprüfte den Stand der Suche nach Samuel Booker und Tessa Lockland. Keiner war gefaßt worden.

Shaddack hätte ihr Verschwinden Kopfzerbrechen bereiten müssen. Aber er war unbesorgt. Schließlich hatte er den Mondfalken gesehen, nicht einmal, sondern dreimal, und er zweifelte nicht daran, daß er letztendlich alle seine Ziele erreichen würde.

Auch die Tochter der Fosters war noch nicht wiederaufgetaucht. Auch ihretwegen machte er sich keine Gedanken. Wahrscheinlich war sie in der Nacht etwas Mörderischem über den Weg gelaufen. Manchmal konnten die Regressiven nützlich sein.

Vielleicht waren Booker und die Lockland denselben Kreaturen zum OpfeiA gefallen. Es wäre ironisch, wenn die Regressiven - der einzige Makel des Projekts, möglicherweise sogar ein ernster - die Sicherheit des Projekts Moonhawk gewährleistet haben würden.

Er versuchte über VDT, Tucker bei sich zu Hause und bei New Wave zu erreichen, aber der Mann war nirgendwo. Konnte Watkins recht haben? War Tucker ein Regressiver, der, wie Peyser, nicht mehr in seine menschliche Gestalt zurückkehren konnte? War er momentan dort draußen im Wald und saß in seinem veränderten Dasein fest?

Shaddack schaltete seufzend den Computer aus. Wenn um Mitternacht alle verwandelt worden waren, würde die erste Phase von Moonhawk nicht beendet sein. Noch nicht ganz. Sie mußten offenbar einige Schlamassel beseitigen.