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»Hahn«, hörte sich Almen sagen. »Du kennst die Axt deines Vaters, die mit den Scharten? Warum sorgst du nicht dafür, dass sie geschärft wird? Adim, geh und hol Uso und Moor und ihre Karren. Wir sehen uns die abgefallenen Äpfel an und schauen, ob es welche gibt, die nicht zu verfault sind. Vielleicht fressen die Schweine sie ja.« Wenigstens hatten sie noch zwei davon. Aber diesen Frühling hatte es keine Ferkel gegeben.

Die Jungen zögerten.

»Geht schon«, sagte Almen. »Es bringt nichts, hier Däumchen zu drehen, nur weil es einen Rückschlag gab.«

Gehorsam eilten die Jungen los. Müßiggang war aller Laster Anfang. Arbeit würde sie davon abhalten, zu viel über das nachzudenken, was auf sie zukam.

Daran war nichts zu ändern. Er stützte sich auf den Zaun und fühlte die groben Furchen der ungeschliffenen Latten unter den Armen. Der Wind zupfte wieder an seinem Hemdsaum; Adrinne hatte ihn immer gezwungen, ihn in die Hose zu stecken, aber jetzt, wo es sie nicht mehr gab … nun, er hat es nie gemocht, sie auf diese Weise zu tragen.

Er schob das Hemd trotzdem in den Hosenbund.

Irgendwie roch die Luft falsch. Abgestanden, wie Stadtluft. Fliegen fingen an, um die verschrumpelten Überreste dessen zu summen, was einmal Äpfel gewesen waren.

Almen lebte schon eine lange Zeit. Er hatte nie mitgezählt; das hatte Adrinne für ihn getan. Es war nicht wichtig. Er wusste, dass er viele Jahre erlebt hatte, und das war’s.

Er hatte erlebt, wie Insekten eine Ernte angriffen; er hatte erlebt, wie Getreide Flut, Dürre oder Vernachlässigung zum Opfer gefallen war. Aber so etwas hatte er in all seinen Jahren noch nicht gesehen. Das war etwas Böses. Das Dorf hungerte bereits. Man sprach nicht darüber, nicht wenn Kinder oder Jugendliche in der Nähe waren. Stillschweigend gaben die Erwachsenen das, was sie hatten, an die Jungen und die Frauen, die gerade stillten. Aber die Kühe erzeugten keine Milch mehr, alle Vorräte verdarben, das Getreide verfaulte.

Der Brief in seiner Tasche teilte ihm mit, dass sein Hof Söldnern zum Opfer gefallen war. Sie hatten niemandem etwas angetan, aber sie hatten sämtliche Lebensmittel mitgenommen. Seine Söhne überlebten nur, indem sie unreife Kartoffeln aus dem Boden gruben und sie kochten. Neunzehn von zwanzig fanden sie verfault vor; sie waren unerklärlicherweise von Würmern befallen.

Dutzende von Dörfern in der Nähe litten genauso. Es gab nichts zu essen. Tar Valon hatte selbst Probleme, seine Bevölkerung zu ernähren.

Almen starrte auf die ordentlichen, perfekten Reihen nutzloser Apfelbäume und fühlte die erdrückende Last von allem. Der Versuch, optimistisch zu bleiben. Mit ansehen zu müssen, wie alles, wofür seine Schwester gearbeitet hatte, zerfiel und verfaulte. Diese Äpfel… sie hätten das Dorf retten sollen. Und seine Söhne.

Sein Magen knurrte. Das tat er oft in letzter Zeit.

Also das ist es?, dachte er, den Blick auf das viel zu gelbe Gras am Boden gerichtet. Der Kampf ist einfach vorbei.

Almen sackte zusammen, fühlte die Last auf den Schultern. Adrinne, dachte er. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte er schnell gelacht, hatte schnell geredet. Jetzt fühlte er sich ausgelaugt, wie ein Pfosten, den man so lange abgeschliffen hatte, dass nur noch ein Splitter übrig war. Vielleicht war die Zeit gekommen, um loszulassen.

Er fühlte etwas im Nacken. Wärme.

Er zögerte, dann richtete er die müden Augen zum Himmel. Sonnenlicht badete sein Gesicht. Er keuchte; es schien so lange her zu sein, dass er richtiges Sonnenlicht gesehen hatte. Es leuchtete durch einen langen Riss in den Wolken, war tröstend wie die Wärme eines Ofens, in dem einer von Adrinnes dicken Sauerbrotlaiben buk.

Almen richtete sich auf und hob eine Hand, um die Augen zu beschatten. Tief holte er Luft und roch … Apfelblüten? Er fuhr herum.

Die Apfelbäume blühten.

Das war völlig lächerlich. Er rieb sich die Augen, aber das verscheuchte das Bild nicht. Sie blühten, sie alle, weiße Blüten brachen zwischen den Blättern hervor. Die Fliegen erhoben sich in die Luft und verschwanden vom Wind getragen. Die dunklen Apfelstücke auf dem Boden zerschmolzen wie Wachs vor einer Flamme. Sekunden später war nichts mehr von ihnen übrig, nicht einmal mehr Saft. Der Boden hatte sie aufgesogen.

Was geschah hier bloß? Apfelbäume blühten nicht zweimal. Verlor er den Verstand?

Leise Schritte ertönten auf dem Pfad, der an der Plantage vorbeiführte. Almen fuhr herum und entdeckte einen jungen Mann, der aus der Richtung der Hügel kam. Er hatte dunkelrotes Haar und trug zerlumpte Kleidung: einen braunen Umhang mit Armschlitzen, darunter ein schlichtes Leinenhemd. Die Hosen waren teurer, schwarz mit kunstvollen goldenen Stickereien am Aufschlag.

»Hallo, Fremder«, sagte Almen und hob die Hand. Er wusste nicht, was er sonst hätte sagen sollen, war sich nicht einmal sicher, ob er tatsächlich gesehen hatte, was er zu sehen geglaubt hatte. »Habt Ihr … habt Ihr Euch in den Hügeln verirrt?«

Der Mann blieb stehen, drehte sich schnell um. Er schien verblüfft, Almen dort vorzufinden. Überrascht sah Almen, dass der linke Arm des Mannes in einem Stumpf endete.

Der Fremde schaute sich um, dann atmete er tief ein. » Nein. Ich habe mich nicht verirrt. Endlich. Es scheint lange her zu sein, dass ich wusste, welcher Weg vor mir liegt.«

Almen kratzte sich an der Wange. Sollte man ihn doch zu Asche verbrennen, noch eine Stelle, an der er sich nicht richtig rasiert hatte. Seine Hand hatte so sehr gezittert, dass er auch gleich ganz auf die Rasur hätte verzichten können. »Nicht verirrt? Mein Sohn, dieser Pfad führt nur zu den Ausläufern des Drachenberges. Falls Ihr gehofft hattet, dort Wild zu finden, die ganze Gegend ist leer gejagt. Dort gibt es nichts mehr, das von Nutzen sein könnte.«

»Das würde ich so nicht sagen«, erwiderte der Fremde und schaute über die Schulter. »Es finden sich immer nützliche Dinge, wenn man nur richtig hinschaut. Man darf sie nur nicht zu lange anstarren. Zu lernen, sich nicht überwältigen zu lassen, das macht das Gleichgewicht aus.«

Almen verschränkte die Arme. Die Worte des Mannes … es erweckte den Anschein, als würden sie über zwei völlig verschiedene Dinge sprechen. Vielleicht war der Junge nicht ganz richtig im Kopf. Aber etwas an dem Mann war besonders. Seine Haltung, wie seine Augen mit dieser ruhigen Intensität blickten. Almen verspürte das Bedürfnis, sich aufzurichten und das Hemd auszuklopfen, um sich präsentabler zu machen.

»Kenne ich Euch?«, fragte er. Etwas an dem jungen Mann kam ihm bekannt vor.

»Ja«, antwortete der Junge. Dann deutete er mit dem Kopf auf die Obstplantage. »Holt Eure Leute zusammen und sammelt diese Äpfel ein. Man wird sie in den kommenden Tagen brauchen.«

»Die Äpfel?« Almen drehte sich um. »Aber…« Er erstarrte. An den Bäumen hingen neue reife rote Äpfel. Die Blüten, die er zuvor gesehen hatte, waren abgefallen und überzogen den Boden wie eine Schneedecke.

Diese Äpfel schienen zu glänzen. An jedem Baum hingen nicht nur Dutzende, sondern Hunderte. Mehr als ein Baum jemals hätte tragen dürfen, und jeder davon perfekt gereift.

»Ich verliere den Verstand«, stammelte Almen, als er sich wieder dem Mann zuwandte.

»Nicht Ihr seid es, der verrückt ist, Freund«, sagte der Fremde. »Sondern die ganze Welt. Sammelt diese Äpfel schnell ein. Meine Gegenwart wird ihn vermutlich noch eine Weile zurückhalten, glaube ich, und was Ihr jetzt nehmt, sollte vor seiner Berührung sicher sein.«

Diese Stimme… Diese Augen, wie graue Edelsteine, die man in dieses Gesicht eingesetzt hatte. »Ich kenne Euch«, sagte Almen und erinnerte sich an die beiden seltsamen jungen Männer, die er vor Jahren ein Stück in seinem Karren mitgenommen hatte. »Beim Licht! Ihr seid das, nicht wahr? Der, über den alle reden?«