Die Wiese um ihn herum stellte offenes Gelände dar, auch wenn das Gras vergilbte, und ihm fielen voller Unmut mehrere große Schneisen toter Wildblumen auf, die langsam verrotteten. Der Frühlingsregen hatte die meisten solcher Gebiete in Schlammlöcher verwandelt. So viele Flüchtlinge zu befördern war eine zeitraubende Angelegenheit, selbst wenn man die Blasen des Bösen und den Schlamm nicht in Betracht zog. Alles nahm mehr Zeit in Anspruch als erwartet, Maiden hinter sich zu lassen eingeschlossen.
Die Streitmacht wühlte bei ihrem Marsch den Schlamm auf; die meisten Flüchtlinge hatten verdreckte Kleidung, und ein dichter, klebriger Geruch hing in der Luft. Perrin näherte sich dem Anfang der Reihe und passierte Reiter mit roten Harnischen und an Töpfe erinnernden Helmen, die ihre Lanzen emporgereckt hielten. Die Geflügelten Wachen von Mayene. Lord Gallenne ritt an ihrer Spitze, den Helm mit den roten Federn an der Seite gehalten. Seine Haltung war steif genug, dass man hätte glauben können, er befinde sich auf einer Parade, aber sein eines Auge ließ die Gegend nicht aus dem Blick. Er war ein guter Soldat. Seine Streitmacht verfügte über viele gute Soldaten, auch wenn es manchmal schwerer war, sie daran zu hindern, einander an die Kehle zu gehen, als ein Hufeisen zu verbiegen.
»Lord Perrin!« Arganda, der Erste Hauptmann von Ghealdan, drängte sich auf einem hohen braunen Wallach durch die Reihen der Mayener – seit Alliandres Rückkehr war Arganda auf Gleichbehandlung aus. Er hatte sich darüber beschwert, dass die Geflügelten Wachen so oft an der Spitze ritten. Statt weiteren Streit zu fördern, hatte Perrin befohlen, dass ihre Reihen nebeneinander ritten.
»War das noch eine Gruppe Söldner?«, wollte Arganda wissen und zügelte sein Pferd an Perrins Seite.
»Eine kleine Gruppe«, erwiderte Perrin. »Vermutlich die einstige Wachmannschaft eines örtlichen Statthalters.«
»Deserteure.« Arganda spuckte aus. »Ihr hättet nach mir schicken sollen. Meine Königin würde sie hängen sehen wollen! Vergesst nicht, dass wir jetzt in Ghealdan sind.«
»Eure Königin ist meine Lehnsfrau«, sagte Perrin, als sie den Anfang der Marschreihe erreichten. »Wir hängen niemanden auf, solange wir keinen Beweis für seine Verbrechen haben. Sobald alle wieder sicher dort sind, wo sie hingehören, könnt Ihr Euch die Söldner vorknöpfen und sehen, ob Ihr welche von ihnen anklagen könnt. Bis dahin sind sie bloß hungrige Männer, die nach jemandem suchen, dem sie folgen können.«
Arganda roch frustriert. Nach dem erfolgreichen Angriff auf Maiden hatte Perrin ein paar Wochen des guten Willens von ihm und Gallenne bekommen, aber in dem endlosen Schlamm unter einem Himmel grollender Donnerwolken kamen die alten Gegensätze wieder zum Vorschein.
»Macht Euch keine Sorgen«, sagte er. »Meine Männer behalten die Neuankömmlinge im Auge.« Er ließ sie auch auf die Flüchtlinge aufpassen. Einige davon waren so fügsam, dass sie kaum ungefragt zur Latrine gingen; andere blickten noch immer ständig über die Schulter, als rechneten sie damit, dass die Shaido jeden Augenblick zwischen den fernen Eichen und Amberbäumen hervorsprangen. Menschen, die derart nach Angst rochen, konnten Ärger machen, und die verschiedenen Fraktionen seines Lagers gingen bereits daher, als würden sie sich durch Juckbüsche schieben.
»Ihr dürft jemanden losschicken, der mit den Neuankömmlingen spricht, Arganda«, sagte Perrin. »Aber mehr nicht. Findet heraus, wo sie herkommen, ob sie einem Lord gedient haben, ob sie etwas zu den Landkarten beitragen können.« Sie hatten einfach keine guten Karten von dieser Gegend und waren gezwungen gewesen, dass die Ghealdaner – Arganda eingeschlossen – welche aus dem Gedächtnis zeichneten.
Arganda ritt los, und Perrin setzte sich vor die Marschreihe. Den Befehl zu haben hatte auch seine schönen Momente; hier vorn war der Gestank nach ungewaschenen Leibern und stinkendem Schlamm nicht ganz so schlimm. Voraus konnte er endlich die Jehannahstraße sehen, die sich einem langen Lederriemen gleich durch die Hochlandebenen zog und in nordwestlicher Richtung verlief.
Eine Weile ritt Perrin in seine Gedanken versunken. Schließlich erreichten sie die Straße. Dort sah der Schlamm nicht so schlimm aus wie im Gelände – wenn sie allerdings wie die anderen Straßen war, die Perrin erlebt hatte, würde sie ihre ausgewaschenen Strecken und morastigen Längen haben. Als er sie erreichte, sah er den näher kommenden Gaul. Der Aiel war auf Erkundung gewesen, und als Perrins Pferd die Straße erklomm, bemerkte er, dass ihnen jemand hinter Gaul entgegengeritten kam.
Es war Fennel, einer der Hufschmiede, die Perrin zusammen mit Meister Gill und den anderen vorausgeschickt hatte. Sein Anblick ließ Perrin eine Woge der Erleichterung verspüren, aber ihr folgten sofort neue Sorgen. Wo steckten die anderen?
»Lord Perrin!«, rief der Mann und ritt heran. Gaul trat zur Seite. Fennel war ein breitschulteriger Mann, der eine lange Axt auf den Rücken geschnallt trug. Er roch nach Erleichterung. »Dem Licht sei gedankt. Ich dachte schon, Ihr würdet es nie herschaffen. Euer Mann sagte, die Rettung hätte funktioniert?«
»Das hat sie, Fennel«, erwiderte Perrin und runzelte die Stirn. »Wo sind die anderen?«
»Sie sind voraus, mein Lord«, sagte Fennel und verneigte sich im Sattel. »Ich bin freiwillig zurückgeblieben, um auf Euer Eintreffen zu warten. Ihr müsst wissen, wir müssen etwas erklären.«
» Etwas erklären?«
»Der Rest ist nach Lugard aufgebrochen«, sagte Fennel. »Auf der Straße.«
»Was?«, sagte Perrin ärgerlich. »Ich gab doch den Befehl, weiter nach Norden zu reisen!«
»Mein Lord.« Fennel schien verlegen. »Wir stießen auf Reisende, die aus dieser Richtung kamen; sie berichteten, dass der Schlamm die Straßen nach Norden für Wagen oder Karren so gut wie unpassierbar macht. Meister Gill traf die Entscheidung, dass wir Eure Befehle am besten befolgen, wenn wir über Lugard nach Caemlyn reisen. Es tut mir leid, mein Lord. Darum musste einer von uns zurückbleiben.«
Beim Licht! Kein Wunder, dass die Kundschafter Gill und die anderen nicht hatten finden können. Sie hatten in der falschen Richtung gesucht. Nun, nachdem er sich selbst wochenlang durch den Matsch geschleppt hatte, konnte er es ihnen nicht verübeln, dass sie sich für die Straße entschieden hatten. Das hielt ihn allerdings nicht davon ab, ärgerlich zu sein.
»Wie weit sind wir hinter ihnen?«, wollte er wissen.
»Ich bin seit fünf Tagen hier, mein Lord.«
Also waren Gill und die anderen auch aufgehalten worden. Nun, das war immerhin etwas.
»Holt Euch etwas zu essen, Fennel«, sagte Perrin. »Und ich danke Euch, dass Ihr hiergeblieben seid, um mich wissen zu lassen, was geschehen ist. Das war sehr tapfer von Euch, so lange allein zu warten.«
»Jemand musste es tun, mein Lord.« Er zögerte. »Die meisten befürchteten, Ihr hättet nicht… nun, dass alles schiefgegangen sei, mein Lord. Wisst Ihr, wir nahmen an, dass Ihr schneller wärt als wir, da wir mit den Wagen unterwegs sind. Aber so wie es aussieht, habt Ihr Euch entschieden, die ganze Stadt mitzubringen!«
Leider war das nicht weit von der Wahrheit entfernt. Er winkte Fennel weiter.
»Ich fand ihn vor ungefähr einer Stunde an der Straße«, sagte Gaul leise. »An einem Hügel, der ein ausgezeichnetes Lager abgibt. Mit viel Wasser und einem ungehinderten Blick auf das Umland.«
Perrin nickte. Sie würden eine Entscheidung treffen müssen – entweder sie warteten, bis Grady und Neald größere Wegetore erschaffen konnten, oder sie folgten Meister Gill und den anderen zu Fuß. Oder sie schickten die meisten Menschen nach Norden und nur wenige nach Lugard. Aber wie die Entscheidung auch ausfiel, es würde gut sein, den Rest des Tages zu lagern und alles in Ruhe zu bedenken.
»Sag bitte den anderen Bescheid«, sagte Perrin zu Gaul. »Wir gehen auf der Straße bis zu dem Ort, den du gefunden hast, dann besprechen wir, wie es weitergeht. Und bitte einige der Töchter, die Straße in die andere Richtung auszuspähen, damit wir nicht von jemandem überrascht werden, der vielleicht hinter uns herankommt.«