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Und abermals nach einer Weile fügte er hinzu:»Es wird kalt.«

»Ach was!«, sagte Gigi und legte Momo tröstend den Arm um die Schulter,»dafür kommen jetzt immer mehr Kinder hierher.«

»Ja, deswegen«, meinte Beppo,»deswegen.«

»Was meinst du damit?«, fragte Momo.

Beppo überlegte lang und antwortete schließlich:»Sie kommen nicht wegen uns. Sie suchen nur einen Unterschlupf.«

Alle drei blickten hinunter auf die runde Grasfläche in der Mitte des Amphitheaters, wo mehrere Kinder ein neues Ballspiel spielten, das sie erst diesen Nachmittag erfunden hatten. Es waren einige von Momos alten Freunden darunter: der Junge mit der Brille, der Paolo gerufen wurde, das Mädchen Maria mit dem kleinen Geschwisterchen Dedé, der dicke Junge mit der hohen Stimme, dessen Name Massimo lautete und der andere Junge, der immer etwas verwahrlost aussah und Franco hieß. Aber außerdem waren da noch andere Kinder, die erst seit wenigen Tagen dazugehörten und ein kleinerer Junge, der erst diesen Nachmittag gekommen war. Es schien tatsächlich so, wie Gigi gesagt hatte: Es wurden immer mehr, von Tag zu Tag.

Eigentlich hätte Momo sich gern darüber gefreut. Aber die meisten von diesen Kindern konnten einfach nicht spielen. Sie saßen nur verdrossen und gelangweilt herum und guckten Momo und ihren Freunden zu. Manchmal störten sie auch absichtlich und verdarben alles. Nicht selten gab es jetzt Zank und Streit. Das blieb freilich nicht so, denn Momos Gegenwart tat auch bei diesen Kindern ihre Wirkung und bald fingen sie an selber die besten Ideen zu haben und begeistert mitzuspielen. Aber es kamen eben fast täglich neue Kinder, sie kamen sogar von weit her aus anderen Stadtteilen. Und so fing alles immer wieder von vorn an, denn wie man weiß, genügt ja oft ein einziger Spielverderber, um den anderen alles zu zerstören.

Und dann war da noch etwas, das Momo nicht recht begreifen konnte. Es hatte auch erst in allerjüngster Zeit angefangen. Immer häufiger kam es jetzt vor, dass Kinder allerlei Spielzeug brachten, mit dem man nicht wirklich spielen konnte, zum Beispiel ein ferngesteuerter Tank, den man herumfahren lassen konnte -, aber weiter taugte er zu nichts. Oder eine Weltraumrakete, die an einer Stange im Kreis herumsauste -, aber sonst konnte man nichts damit anfangen. Oder ein kleiner Roboter, der mit glühenden Augen dahinwackelte und den Kopf drehte -, aber zu etwas anderem war er nicht zu gebrauchen.

Es waren natürlich sehr teure Spielsachen, wie Momos Freunde nie welche besessen hatten - und Momo selbst schon gar nicht. Vor allem waren alle diese Dinge so vollkommen bis in jede kleinste Einzelheit hinein, dass man sich dabei gar nichts mehr selber vorzustellen brauchte. So saßen die Kinder oft stundenlang da und schauten gebannt und doch gelangweilt so einem Ding zu, das da herumschnurrte, dahinwackelte oder im Kreis sauste -, aber es fiel ihnen nichts dazu ein. Darum kehrten sie schließlich doch wieder zu ihren alten Spielen zurück, bei denen ihnen ein paar Schachteln, ein zerrissenes Tischtuch, ein Maulwurfshügel oder eine Hand voll Steinchen genügten. Dabei konnte man sich alles vorstellen.

Irgendetwas schien auch heute Abend das Spiel nicht recht gelingen zu lassen. Die Kinder taten eines nach dem anderen nicht mehr mit, bis schließlich alle um Gigi, Beppo und Momo herumsaßen. Sie hofften, dass Gigi vielleicht zu erzählen anfangen würde, aber das ging nicht. Der kleinere Junge, der heute zum ersten Mal erschienen war, hatte nämlich ein Kofferradio bei sich. Er saß ein wenig abseits von den anderen und hatte den Apparat ganz laut gedreht. Es war eine Reklamesendung.

»Könntest du deinen blöden Kasten nicht vielleicht leiser drehen?«, fragte der verwahrloste Junge, der Franco hieß, in drohendem Ton.»Ich kann dich nicht verstehen«, sagte der fremde Junge und grinste,»mein Radio geht so laut.«

»Dreh's sofort leise!«, rief Franco und stand auf.

Der fremde Junge wurde ein bisschen blass, antwortete aber trotzig:»Du hast mir überhaupt nichts zu sagen und niemand. Ich kann mein Radio so laut drehen, wie ich mag.«

»Da hat er Recht«, meinte der alte Beppo,»wir können's ihm nicht verbieten. Wir können ihn höchstens bitten.«

Franco setzte sich wieder hin.

»Er soll doch woanders hingehen«, sagte er erbittert,»er verdirbt uns schon den ganzen Nachmittag alles.«

»Er wird schon seinen Grund haben«, antwortete Beppo und blickte den fremden Jungen freundlich und aufmerksam durch seine kleine Brille an.»Bestimmt hat er den.«

Der fremde Junge schwieg. Nach einer kleinen Weile drehte er sein Radio leise und schaute in eine andere Richtung. Momo ging zu ihm und setzte sich still neben ihn. Er schaltete das Radio ab.

Eine Weile war es still.

»Erzählst du uns was, Gigi?«, bat eines der Kinder, die neu waren.»O ja, bitte«, riefen die anderen,»eine lustige Geschichte! - Nein, eine aufregende! - Nein, ein Märchen! - Ein Abenteuer!«

Aber Gigi wollte nicht. Es war das erste Mal, dass das geschah.»Ich möchte viel lieber«, sagte er schließlich,»dass ihr mir was erzählt über euch und euer Zuhause, was ihr so macht und warum ihr hier seid.«

Die Kinder blieben stumm. Ihre Gesichter waren plötzlich traurig und verschlossen.

»Wir haben jetzt ein sehr schönes Auto«, ließ sich schließlich eines vernehmen.»Am Samstag, wenn mein Papa und meine Mama Zeit haben, dann wird es gewaschen. Wenn ich brav war, darf ich dabei helfen. Später will ich auch so eins.«

»Aber ich«, sagte ein kleines Mädchen,»ich darf jetzt jeden Tag ins Kino, wenn ich mag. Damit ich aufgehoben bin, weil sie leider keine Zeit haben.«

Und nach einer kleinen Pause setzte es hinzu:»Ich will aber nicht aufgehoben sein. Deswegen geh ich heimlich hierher und spar mir das Geld. Wenn ich genug Geld hab, dann kauf ich mir eine Fahrkarte, und dann fahr ich zu den sieben Zwergen.«

»Du bist dumm!«, rief ein anderes Kind.»Die gibt's doch gar nicht.«

»Doch gibt's die!«, sagte das kleine Mädchen trotzig.»Ich hab's sogar in einem Reiseprospekt gesehen.«

»Ich hab schon elf Märchenschallplatten«, erklärte ein kleiner Junge,»die kann ich mir so oft anhören, wie ich will. Früher hat mein Vater mir Abends, wenn er von der Arbeit gekommen ist, immer selber was erzählt. Das war schön. Aber jetzt ist er eben nie mehr da. Oder er ist müde und hat keine Lust.«

»Und deine Mutter?«, fragte das Mädchen Maria.

»Die ist jetzt auch immer den ganzen Tag weg.«

»Ja«, sagte Maria,»bei uns ist es genauso. Aber zum Glück hab ich Dedé.«Sie gab dem kleinen Geschwisterchen, das auf ihrem Schoß saß, einen Kuss und fuhr fort:»Wenn ich von der Schule komm, dann mach ich uns das Essen warm. Dann mach ich meine Aufgaben. Und dann…«, sie zuckte die Schultern,»na ja, dann laufen wir eben so rum, bis es Abend ist. Meistens kommen wir ja hierher.«

Alle Kinder nickten, denn mehr oder weniger ging es ihnen allen so.

»Ich bin eigentlich ganz froh«, meinte Franco und sah dabei gar nicht froh aus,»dass meine Alten keine Zeit mehr für mich haben. Sonst fangen sie bloß an zu streiten und ich krieg dann Prügel.«

Jetzt wandte sich ihnen plötzlich der Junge mit dem Kofferradio zu und sagte:»Aber ich, ich kriege jetzt viel mehr Taschengeld als früher!«

»Klar«, antwortete Franco,»das machen sie, damit sie uns loswerden! Sie mögen uns nicht mehr. Aber sie mögen sich selbst auch nicht mehr. Sie mögen überhaupt nichts mehr. Das ist meine Meinung.«

»Das ist nicht wahr!«, schrie der fremde Junge zornig.»Mich mögen meine Eltern sogar sehr. Sie können doch nichts dafür, dass sie keine Zeit mehr haben. Das ist eben so. Dafür haben sie mir aber jetzt sogar das Kofferradio geschenkt. Es war sehr teuer. Das ist doch ein Beweis - oder?«