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Aber Nicola kam weder am nächsten noch am übernächsten Tag. Er kam überhaupt nicht. Vielleicht hatte er wirklich nie mehr Zeit.

Als Nächsten besuchte Momo den Wirt Nino und seine dicke Frau. Das kleine alte Haus, mit dem regenfleckigen Verputz und der Weinlaube vor der Tür, lag am Stadtrand. Wie früher ging Momo hinten herum zur Küchentür. Die stand offen und Momo hörte schon von weitem, dass Nino und seine Frau Liliana einen heftigen Wortwechsel hatten. Liliana hantierte mit Töpfen und Pfannen am Herd. Ihr dickes Gesicht glänzte von Schweiß. Nino redete gestikulierend auf seine Frau ein. In einer Ecke saß das Baby der beiden in einem Korb und schrie.

Momo setzte sich leise neben das Baby. Sie nahm es auf den Schoß und schaukelte es sacht, bis es still war. Die beiden Eheleute unterbrachen ihr Wortgefecht und schauten hin.

»Ach, Momo, du bist es«, sagte Nino und lächelte flüchtig.»Nett, dass man dich mal wieder sieht.«

»Willst du was zu essen?«, fragte Liliana ein wenig barsch. Momo schüttelte den Kopf.

»Was willst du denn?«, erkundigte Nino sich nervös.»Wir haben im Moment wahrhaftig keine Zeit für dich.«

»Ich wollte nur fragen«, antwortete Momo leise,»warum ihr schon so lang nicht mehr zu mir gekommen seid?«

»Ich weiß auch nicht!«, sagte Nino gereizt.»Wir haben jetzt wirklich andere Sorgen.«

»Ja«, rief Liliana und klapperte mit den Töpfen,»er hat jetzt ganz andere Sorgen! Zum Beispiel, wie man alte Gäste hinausekelt, das sind jetzt seine Sorgen! Erinnerst du dich an die alten Männer, Momo, die früher immer an dem Tisch in der Ecke saßen? Weggejagt hat er sie! Hinausgeworfen hat er sie!«

»Das habe ich nicht getan!«, verteidigte sich Nino.»Ich habe sie höflich gebeten, sich ein anderes Lokal zu suchen. Dazu habe ich als Wirt das Recht.«

»Das Recht, das Recht!«, erwiderte Liliana aufgebracht.»So was tut man einfach nicht. Das ist unmenschlich und gemein. Du weißt genau, dass sie kein anderes Lokal finden. Bei uns haben sie keine Menschenseele gestört!«

»Natürlich haben sie keine Menschenseele gestört!«, rief Nino.»Weil nämlich kein anständiges, zahlendes Publikum zu uns gekommen ist, solang diese unrasierten alten Kerle da herumhockten. Glaubst du, so was gefällt den Leuten? Und an dem einzigen Glas billigen Rotwein, das jeder von denen sich pro Abend leisten kann, ist für uns nichts zu verdienen! Da bringen wir es nie zu was!«

»Wir sind bis jetzt ganz gut ausgekommen«, gab Liliana zurück.

»Bis jetzt, ja!«, antwortete Nino heftig.

»Aber du weißt ganz genau, dass es so nicht weitergeht. Der Hausbesitzer hat mir die Pacht erhöht. Ich muss jetzt ein Drittel mehr bezahlen als früher. Alles wird teurer. Woher soll ich das Geld nehmen, wenn ich aus meinem Lokal ein Asyl für arme alte Tatterer mache? Warum soll ich die anderen schonen? Mich schont ja auch keiner.«

Die dicke Liliana stellte eine Pfanne so hart auf den Herd, dass es knallte.

»Jetzt will ich dir mal was sagen«, rief sie und stemmte die Arme in ihre breiten Hüften.»Zu diesen armen alten Tatterern, wie du sie nennst, gehört zum Beispiel auch mein Onkel Ettore! Und ich erlaube nicht, dass du meine Familie beschimpfst! Er ist ein guter und ehrlicher Mann, auch wenn er nicht so viel Geld hat wie dein zahlendes Publikum!«

»Ettore kann ja wiederkommen!«, erwiderte Nino mit großer Geste.

»Ich hab's ihm gesagt, er kann bleiben, wenn er will. Aber er will ja nicht.«

»Natürlich will er nicht - ohne seine alten Freunde! Was stellst du dir vor? Soll er vielleicht ganz allein da draußen in einem Winkel hocken?«

»Dann kann ich's eben nicht ändern!«, schrie Nino.»Ich habe jedenfalls keine Lust, mein Leben als kleiner Spelunkenwirt zu beenden - bloß aus Rücksicht auf deinen Onkel Ettore! Ich will es auch zu was bringen! Ist das vielleicht ein Verbrechen? Ich will diesen Laden hier in Schwung bringen! Ich will etwas machen aus meinem Lokal! Und ich tue es nicht nur für mich. Ich tue es genauso für dich und für unser Kind. Kannst du das denn nicht begreifen, Liliana?«

»Nein«, sagte Liliana hart,»wenn es nur mit Herzlosigkeit geht - wenn es schon so anfängt, dann ohne mich! Dann geh ich eines Tages auf und davon. Mach, was du willst!«

Und sie nahm Momo das Baby, das inzwischen wieder zu weinen angefangen hatte, aus dem Arm und lief aus der Küche.

Längere Zeit sagte Nino nichts. Er zündete sich eine Zigarette an und drehte sie zwischen den Fingern.

Momo schaute ihn an.

»Na ja«, sagte er schließlich,»es waren ja nette Kerle. Ich mochte sie ja selber gern. Weißt du, Momo, es tut mir ja selber Leid, dass ich… aber was soll ich machen? Die Zeiten ändern sich eben. Vielleicht hat Liliana Recht«, fuhr er nach einer Weile fort.»Seit die Alten weg sind, kommt mir mein Lokal irgendwie fremd vor. Kalt, verstehst du? Ich kann's selbst nicht mehr leiden. Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll. Aber alle machen's doch heute so. Warum soll ich allein es anders machen? Oder meinst du, ich soll's?«Momo nickte unmerklich.

Nino schaute sie an und nickte ebenfalls. Dann lächelten sie beide.

»Gut, dass du gekommen bist«, sagte Nino.»Ich hatte schon ganz vergessen, dass wir früher bei so was immer gesagt haben: Geh doch zu Momo! - Aber jetzt werde ich wieder kommen, mit Liliana. Übermorgen ist bei uns Ruhetag, da kommen wir. Einverstanden?«

»Einverstanden«, antwortete Momo.

Dann gab Nino ihr noch eine Tüte voll Äpfel und Orangen und sie ging nach Hause.

Und Nino und seine dicke Frau kamen tatsächlich. Auch das Baby brachten sie mit und einen Korb voll guter Sachen.

»Stell dir vor, Momo«, sagte Liliana strahlend,»Nino ist zu Onkel Ettore und den anderen Alten, jedem Einzelnen, hingegangen, hat sich entschuldigt und sie gebeten, wiederzukommen.«

»Ja«, fügte Nino lächelnd hinzu und kratzte sich hinter dem Ohr,»sie sind alle wieder da - mit dem Aufschwung meines Lokals wird es wohl nichts werden. Aber es gefällt mir wieder.«

Er lachte und seine Frau sagte:»Wir werden schon weiterleben, Nino.«

Es wurde ein sehr schöner Nachmittag und als sie schließlich gingen, versprachen sie, bald wiederzukommen.

Und so suchte Momo einen ihrer alten Freunde nach dem anderen auf. Sie ging zu dem Schreiner, der ihr damals das Tischchen und die Stühle aus Kistenbrettern gemacht hatte. Sie ging zu den Frauen, die ihr das Bett gebracht hatten. Kurz, sie sah nach allen, denen sie früher zugehört hatte und die davon gescheit, entschlossen oder froh geworden waren. Alle versprachen wiederzukommen. Manche hielten ihr Versprechen nicht oder konnten es nicht halten, weil sie keine Zeit dazu fanden. Aber viele alte Freunde kamen tatsächlich wieder und es war fast so wie früher.

Ohne es zu wissen, kam Momo damit den grauen Herren in die Quere. Und das konnten sie nicht dulden.

Kurze Zeit später - es war an einem besonders heißen Mittag - fand Momo auf den Steinstufen der Ruine eine Puppe.

Nun war es schon öfter vorgekommen, dass Kinder eines der teuren Spielzeuge, mit denen man nicht wirklich spielen konnte, einfach vergessen und liegen gelassen hatten. Aber Momo konnte sich nicht erinnern, diese Puppe bei einem der Kinder gesehen zu haben. Und sie wäre ihr bestimmt aufgefallen, denn es war eine ganz besondere Puppe. Sie war fast so groß wie Momo selbst und so naturgetreu gemacht, dass man sie beinahe für einen kleinen Menschen halten konnte. Aber sie sah nicht aus wie ein Kind oder ein Baby, sondern wie eine schicke junge Dame oder eine Schaufensterfigur. Sie trug ein rotes Kleid mit kurzem Rock und Riemchenschuhe mit hohen Absätzen.

Momo starrte sie fasziniert an.