»Je größer, desto besser«, sagte die Kaiserin Strapazia und ließ ihn in ihre Badewanne umquartieren. Aber schon kurze Zeit später passte er auch in die Badewanne nicht mehr hinein. Er wuchs und wuchs.
Nun wurde er in das kaiserliche Schwimmbecken gebracht. Das war bereits ein ziemlich umständlicher Transport, denn der Fisch wog nun schon so viel wie ein Ochse. Einer der Sklaven, die ihn schleppen mussten, rutschte aus und die Kaiserin ließ den Unglücklichen sofort den Löwen vorwerfen, denn der Fisch war nun ihr Ein und Alles.
Jeden Tag saß sie viele Stunden am Rand des Schwimmbeckens und sah ihm beim Wachsen zu. Sie dachte nur noch an das viele Gold, denn sie führte ja bekanntlich ein sehr luxuriöses Leben und konnte daher niemals genug Gold haben.
»Je größer, desto besser«, murmelte sie immer wieder vor sich hin. Dieser Satz wurde zur allgemeinen Richtschnur erklärt und in ehernen Lettern auf alle staatlichen Gebäude geschrieben. Zuletzt war dem Fisch aber auch das kaiserliche Schwimmbecken zu eng geworden. Da ließ Strapazia dieses Gebäude errichten, dessen Ruinen Sie hier vor sich sehen, meine Damen und Herren. Es war ein gewaltiges, kreisrundes Aquarium, bis zum obersten Rand mit Wasser gefüllt und darin konnte der Fisch sich endlich so richtig ausstrecken.
Nun saß die Kaiserin höchstpersönlich bei Tag und Nacht auf jener Stelle dort und beobachtete den Riesenfisch, ob er sich schon in Gold verwandle. Sie traute nämlich keinem mehr, weder ihren Sklaven noch ihren Verwandten und hatte Angst, der Fisch könne ihr gestohlen werden. So saß sie also da, magerte vor Angst und Sorge mehr und mehr ab, tat kein Auge zu und bewachte den Fisch, der lustig herumplätscherte und nicht daran dachte, sich in Gold zu verwandeln. Und mehr und mehr vernachlässigte Strapazia ihre Regierungsgeschäfte. Genau darauf hatten die Zittern und Zagen nur gewartet. Unter Führung ihres Königs Xaxotraxolus unternahmen sie einen letzten Kriegszug und eroberten im Handumdrehen das ganze Reich. Sie begegneten überhaupt keinem Soldaten mehr und dem Volk war es sowieso gleich, wer es beherrschte.
Als die Kaiserin Strapazia schließlich von der Sache erfuhr, rief sie die bekannten Worte»Weh mir! O dass ich doch… «Der Rest ist uns leider nicht überliefert. Sicher ist jedoch, dass sie sich in dieses Aquarium stürzte und neben dem Fisch, dem Grab all ihrer Hoffnungen, ertrank. König Xaxotraxolus ließ zur Feier seines Sieges den Walfisch schlachten und acht Tage lang bekam das ganze Volk gebratenes Fischfilet. Sie sehen daraus, meine Damen und Herren, wohin die Leichtgläubigkeit führen kann!«
Mit diesen Worten schloss Gigi die Führung und die Zuhörer waren sichtlich beeindruckt. Sie betrachteten die Ruine mit ehrfürchtigen Blicken. Nur einer von ihnen war misstrauisch und fragte:»Und wann soll das alles gewesen sein?«
Aber Gigi war niemals um eine Antwort verlegen und sagte:»Die Kaiserin Strapazia war bekanntlich eine Zeitgenossin des berühmten Philosophen Noiosius des Älteren.«
Der Zweifler mochte nun natürlich nicht zugeben, dass er keine Ahnung hatte, wann der berühmte Philosoph Noiosius der Ältere gelebt hatte und sagte deshalb nur:»Aha, vielen Dank.«Alle Zuhörer waren tief befriedigt und sagten, diese Besichtigung habe sich wirklich gelohnt und so anschaulich und interessant hätte ihnen noch niemand jene alten Zeiten dargestellt. Dann hielt Gigi bescheiden seine Schirmmütze hin und die Leute zeigten sich entsprechend freigebig. Sogar der Zweifler warf einige Münzen hinein. Übrigens erzählte Gigi, seit Momo da war, nie mehr dieselbe Geschichte zweimal. Das wäre ihm viel zu langweilig gewesen. Wenn Momo unter den Zuhörern war, dann kam es ihm vor, als sei eine Schleuse in seinem Inneren geöffnet und immer neue Erfindungen strömten und sprudelten hervor, ohne dass er überhaupt nachdenken musste.
Im Gegenteil, er musste oft sogar versuchen sich zu bremsen, um nicht wieder zu weit zu gehen wie jenes eine Mal, als die beiden vornehmen, älteren Damen aus Amerika seine Dienste angenommen hatten. Denen hatte er nämlich keinen schlechten Schrecken eingejagt, als er ihnen Folgendes erzählte:
»Selbstverständlich ist es sogar bei Ihnen im schönen, freien Amerika bekannt, meine hochverehrten Damen, dass der überaus grausame Tyrann Marxentius Communus, genannt der»Rote«, den Plan gefasst hatte, die gesamte damalige Welt nach seinen Vorstellungen zu ändern. Aber was er auch tat, es zeigte sich, dass die Menschen trotz allem so ziemlich die Gleichen blieben und sich einfach nicht ändern ließen. Da verfiel Marxentius Communus auf seine alten Tage in Wahnsinn. Damals gab es ja, wie Sie natürlich wissen, meine Damen, noch keine Seelenärzte, die solche Erkrankungen heilen konnten. So musste man den Tyrannen eben rasen lassen, wie er wollte. In seinem Wahn verfiel Marxentius Communus nun auf die Idee, die bestehende Welt hinfort sich selbst zu überlassen und lieber eine vollkommen nagelneue Welt zu bauen.
Er befahl also, einen Globus herzustellen, der genauso groß sein sollte wie die alte Erde und auf dem alles, jedes Haus und jeder Baum und alle Berge, Meere und Gewässer ganz naturgetreu dargestellt sein müssten. Die gesamte damalige Menschheit wurde unter Androhung der Todesstrafe gezwungen, an dem ungeheuren Werk mitzuarbeiten. Zuerst baute man einen Sockel, auf dem dieser Riesenglobus stehen sollte. Und die Ruine dieses Sockels sehen Sie hier vor sich. Danach ging man daran, den Globus selbst zu bauen, eine riesenhafte Kugel, ebenso groß wie die Erde. Und als diese Kugel schließlich fertig war, wurde auf ihr sorgfältig alles nachgebildet, was sich auf der Erde befand. Natürlich brauchte man sehr viel Material für diesen Globus und dieses Material konnte man ja nirgends anders hernehmen als von der Erde selbst. So wurde eben langsam die Erde immer kleiner, während der Globus immer mehr wuchs.
Und als die neue Welt schließlich fertig war, hatte man dazu haargenau das letzte Steinchen, das von der alten Erde noch übrig geblieben war, wegnehmen müssen. Und natürlich waren auch alle Menschen auf den neuen Globus umgezogen, denn der alte war ja verbraucht. Als Marxentius Communus erkennen musste, dass nun trotz allem eigentlich alles beim Alten geblieben war, hüllte er sein Haupt in die Toga und ging davon. Wohin, hat man niemals erfahren. Sehen Sie, meine Damen, diese trichterförmige Höhlung, welche die Ruine hier noch heute erkennen lässt, war früher das Fundament, das auf der Oberfläche der alten Erde ruhte. Sie müssen sich also das Ganze umgekehrt vorstellen.«
Die beiden feinen älteren Damen aus Amerika erbleichten und eine fragte:»Und wo ist der Globus geblieben?«
»Aber Sie stehen doch darauf!«, antwortete Gigi.»Die heutige Welt, meine Damen, ist ja der neue Globus.«
Da schrien die beiden feinen älteren Damen entsetzt auf und ergriffen die Flucht. Gigi hielt vergebens seine Schirmmütze hin. - Am allerliebsten aber erzählte Gigi der kleinen Momo allein, wenn niemand sonst zuhörte. Meistens waren es Märchen, denn die wollte Momo am liebsten hören und es waren fast immer solche, die von Gigi und Momo selbst handelten. Und sie waren auch nur für sie beide bestimmt und hörten sich ganz anders an als alles, was Gigi sonst erzählte.
An einem schönen, warmen Abend saßen die beiden still nebeneinander auf dem obersten Rand der steinernen Stufen. Am Himmel funkelten bereits die ersten Sterne und der Mond stieg groß und silbern über den schwarzen Umrissen der Pinien empor.
»Erzählst du mir ein Märchen?«, bat Momo leise.»Gut«, sagte Gigi,»von wem soll es handeln?«