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»Eh bien?«

»Nun, wir jagen wieder gemeinsam, und - « Ich hielt inne und lachte ein wenig selbstbewußt.

Doch zu meiner Überraschung schüttelte Poirot sehr ernst den Kopf. »Oh, mon ami, setz dir Marthe Daubreuil nicht in den Kopf. Die ist nichts für dich, die nicht! Laß dir's von Papa Poirot gesagt sein!«

»Weshalb«, rief ich, »der Kommissar versicherte mir doch, sie sei ebenso tugendhaft wie schön! Ein vollkommener Engel!«

»Unter den größten Verbrechern, die mir unter die Hände kamen, hatten einige wahre Engelsphysiognomien«, bemerkte Poirot heiter. »Eine Abnormität der ,grauen Zellen' kann sich sehr leicht hinter einem Madonnengesicht verstecken.«

»Poirot«, rief ich entsetzt, »du willst doch nicht etwa sagen, daß du dieses Mädchen verdächtigst!«

»Ta, ta, ta! Nur keine Aufregung! Ich sagte nicht, daß ich sie verdächtige. Aber du wirst doch zugeben, daß ihre Besorgnis, alles über den Fall zu erfahren, ein wenig ungewöhnlich ist.«

»Diesmal sehe ich ausnahmsweise weiter als du«, entgegnete ich. »Ihre Besorgnis galt nicht ihr selbst - sondern ihrer Mutter.«

»Mein Freund«, sagte Poirot, »wie gewöhnlich siehst du überhaupt nichts. Madame Daubreuil ist tüchtig genug, sich selbst zu verteidigen, sie ist nicht auf die Fürsorge ihrer Tochter angewiesen. Ich gebe zu, daß ich dich jetzt nur necken wollte, aber nichtsdestoweniger wiederhole ich, was ich schon vorhin sagte. Setz dir dieses Mädchen nicht in den Kopf. Sie ist nichts für dich! Ich, Hercule Poirot, weiß das. Wenn ich mich nur erinnern könnte, wo ich dieses Gesicht schon gesehen habe?«

»Welches Gesicht?« fragte ich erstaunt. »Das der Tochter?«

»Nein, das der Mutter.«

Als er mein Erstaunen merkte, nickte er bestätigend. »Ja doch, es ist so, wie ich dir sagte. Es ist schon lange her, als ich noch bei der belgischen Polizei war. Ich sah diese Frau nie persönlich, aber ich sah ihr Bild - im Zusammenhang mit einem - Fall. Ich glaube bestimmt -«

»Was?«

»Ich kann mich irren, aber ich glaube bestimmt, daß es eine Mordaffäre war!«

8

Frühzeitig fanden wir uns am nächsten Morgen in der Villa ein. Der Wachtposten am Gittertor versperrte uns diesmal nicht den Weg. Im Gegenteil, er grüßte ehrerbietig, und wir gingen auf das Haus zu. Leonie, das Stubenmädchen, kam eben die Treppe herabgelaufen, und schien nicht abgeneigt, ein wenig mit uns zu plaudern.

Poirot erkundigte sich nach dem Befinden von Madame Renauld.

Leonie schüttelte den Kopf. »Sie ist ganz außer Fassung, die arme Frau! Sie will nichts essen, aber rein gar nichts! Und sie ist so bleich wie ein Gespenst. Es ist herzzerbrechend, sie anzusehen. Oh, ich würde mich nicht um einen Mann kränken, der mich mit einer anderen betrog.«

Poirot nickte zustimmend: »Was Sie sagen, ist sehr richtig, doch was wollen Sie? Das Herz einer liebenden Frau verzeiht manches. Aber sicher gab es im Verlauf der letzten Monate viele Auseinandersetzungen zwischen den beiden?«

Wieder schüttelte Leonie den Kopf: »Niemals, Monsieur. Nie hörte ich, daß Madame sich auflehnte - sie machte nicht einmal Vorwürfe! Sie war engelsanft - ganz anders als Monsieur!«

»Monsieur war also kein Engel?«

»Weit entfernt davon. Wenn er in Wut geriet, wußte es das ganze Haus. Damals, als er Streit mit Monsieur Jack hatte - du lieber Himmel! - da schrien sie so laut, daß man sie bis zum Marktplatz hören konnte!«

»Wirklich«, sagte Poirot. »Wann war denn dieser Streit?«

»Oh, kurz bevor Monsieur Jack nach Paris reiste. Beinahe hätte er den Zug versäumt. Er kam aus der Bibliothek und ergriff eine Reisetasche, die er in der Halle zurückgelassen hatte. Das Auto war eben in Reparatur, und er mußte zu Fuß zum Bahnhof laufen. Ich staubte im Salon ab, und ich sah ihn vorbeigehen, sein Gesicht war weiß - so weiß - mit zwei brennendroten Flecken. auf den Wangen. Ach, war er wütend!«

Leonie genoß gründlich ihre eigene Erzählung.

»Und worüber stritten sie?«

»Ach, das weiß ich nicht«, gestand Leonie, »es ist zwar richtig, daß sie schrien, aber ihre Stimmen klangen so laut und schrill, und sie sprachen so schnell, daß nur jemand, der die englische Sprache sehr gut beherrscht, sie verstanden hätte. Aber Monsieur war den ganzen Tag wie eine Gewitterwolke! Man konnte ihm nichts recht machen!«

Das Geräusch des Schließens einer Tür im oberen Stockwerk unterbrach Leonies Redefluß.

»Francoise wartet auf mich!« rief sie aus, als sie zum Bewußtsein ihrer Pflichten erwachte. »Die Alte zankt immer.«

»Einen Augenblick, Mademoiselle. Wo ist der Untersuchungsrichter?«

»Er ging mit dem andern Herrn zur Garage hinaus, um sich das Auto anzusehen. Der Kommissar glaubt, es könnte vielleicht in der Mordnacht benützt worden sein.«

»Quelle idee«, murrte Poirot, als das Mädchen gegangen war.

»Willst du ihnen nachgehen?«

»Nein, ich werde sie im Salon erwarten. Dort ist es kühl an diesem heißen Vormittag.«

Diese gelassene Art, die Dinge zu nehmen, war wieder gar nicht nach meinem Sinn. »Wenn du nichts dagegen hast -« sagte ich zögernd.

»Nicht im geringsten. Du willst wohl auf eigene Faust Entdeckungen machen?«

»Ja, ich wollte eigentlich Giraud aufsuchen, wenn er in der Nähe ist, und sehen, was er treibt.«

»Ein Spürhund in Menschengestalt«, sagte Poirot vor sich hin, lehnte sich behaglich in einen Fauteuil und schloß die Augen. »Selbstverständlich, bitte sehr, lieber Freund. Au revoir.«

Ich schlug den Pfad ein, den wir am Tag vorher gegangen waren. Mich gelüstete es, den Tatort des Verbrechens selbst zu untersuchen. Ich ging jedoch nicht direkt auf den Platz zu, sondern schlug mich seitwärts in die Büsche, um einige hundert Ellen weiter, rechts bei den Golfplätzen, herauszukommen. War Giraud noch auf dem Platze, so wollte ich seine Arbeitsweise beobachten, bevor er meine Anwesenheit merkte. Aber das Gesträuch wuchs hier viel dichter, und ich hatte alle Mühe, mir einen Weg hindurchzubahnen. Als ich endlich auf die Lichtung hinauskam, geschah es so unerwartet, daß ich an eine junge Dame stieß, die mit dem Rücken zu den Büschen stand.

Begreiflicherweise stieß sie einen verhaltenen Schrei aus, aber auch mir entschlüpfte ein Laut des Staunens. Denn meine Reisegefährtin Cinderella stand vor mir.

Das Staunen war gegenseitig.

»Sie?« riefen wir beide wie aus einem Munde.

Die junge Dame faßte sich zuerst.

»Beim heiligen Simplizius!« rief sie aus, »was machen Sie hier?«

»Darf ich die gleiche Frage an Sie richten?« gab ich zurück.

»Als ich Sie zuletzt sah, vorgestern war es, trollten Sie sich eben nach England heim wie ein guter, braver Junge. Hat Ihnen Ihr Parlamentarier eine Saisonkarte verschafft?«

Ich überhörte den Spott ihrer Worte. »Als ich Sie zuletzt sah«, sagte ich, »gondelten Sie mit Ihrer Schwester Heimwärts wie ein braves, kleines Mädchen. Übrigens, wie geht es Ihrer Schwester?«

Weiße Zähne blitzten mich an. »Wie nett von Ihnen, danach zu fragen! Danke, meiner Schwester geht es gut.«

»Ist sie mit Ihnen hier?«

»Sie blieb in der Stadt«, sagte sie würdevoll.

»Ich glaube nicht sehr an diese Schwester«, lachte ich. »Und wenn Sie eine haben, heißt sie vermutlich weiß Gott wie!«

»Entsinnen Sie sich noch meines Namens?« fragte sie lächelnd.

»Cinderella. Aber nicht wahr, jetzt werden Sie mir Ihren wahren Namen sagen!«

Unwillig schüttelte sie den Kopf.

»Auch nicht, weshalb Sie hier sind?«

»O das! Haben Sie nie davon gehört, daß Angehörige meines Berufes in Urlaub gehen?«

»In einen kostspieligen französischen Badeort?«

»Ungeheuer billig, wenn man sich nur auskennt.«