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Ich sah ihr scharf in die Augen. »Doch als ich Ihnen vor zwei Tagen begegnete, hatten Sie noch keine Absicht, hierherzukommen?«

»Es kommt immer anders, als man denkt«, sagte Miss Cinderella anzüglich. »Und nun habe ich Ihnen gerade so viel erzählt, als Ihnen guttut. Kleine Jungen sollen nicht neugierig sein. Sie haben mir noch nicht erzählt, was Sie hier machen? Vermutlich haben Sie den Herrn vom Parlament im Schlepptau, und der spielt am Strand den verfluchten Kerl ... «

Ich schüttelte den Kopf. »Raten Sie nochmals. Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen erzählte, mein Freund sei Detektiv ... «

»Ja?«

»Und vielleicht haben Sie von dem Verbrechen in der Villa Genevieve gehört -?«

Sie starrte mich an. Sie zitterte, und ihre Augen wurden groß und rund. »Wollen Sie damit sagen - daß Sie deshalb hier sind?«

Ich nickte. Zweifellos hatte das tiefen Eindruck gemacht, Ihre Erregung war zu offenkundig, als sie mich nun anblickte. Sie schwieg einige Sekunden und starrte mich an. Dann nickte sie.

»Ach, ist das ein glücklicher Zufall! Schleppen Sie mich herum. Ich möchte alle Greuel sehen.«

»Was meinen Sie damit?«

»Was ich sage. Zum Kuckuck, erinnern Sie sich denn nicht, daß ich für Verbrechen schwärme? Weshalb, glauben Sie, gefährde ich meine Fußknöchel in solchen Stöckelschuhen auf diesem Stoppelfeld? Stundenlang schnüffele ich schon hier herum. Erst versuchte ich es beim Hauptzugang, aber da verstellte mir der schwerfällige französische Gendarm den Weg. Ich glaube, daß Helena von Troja, Cleopatra und Maria Stuart in einer Person ihn nicht in Versuchung brächten! Es ist wirklich ein besonderer Glücksfall, daß ich hier auf Sie stieß. Kommen Sie jetzt, und zeigen Sie mir alles Sehenswerte.«

»Aber ich bitte Sie - warten Sie einen Augenblick -, ich kann es nicht tun. Niemand darf eintreten!«

»Sind denn nicht Sie und Ihr Freund hier die Oberbonzen?«

Ich war nicht geneigt, ihren Glauben an meine Machtstellung zu erschüttern. »Warum sind Sie so erpicht darauf?« fragte ich. schwach. »Und was wollen Sie eigentlich sehen?«

»Oh, alles! Den Ort, wo es geschah, die Waffen, den Leichnam und irgendwelche Fingerabdrücke oder sonstige interessante Dinge. Nie vorher hatte ich Gelegenheit, in so unmittelbare Nähe eines Verbrechens zu gelangen. Das wird eine Erinnerung fürs ganze Leben.«

Angewidert wandte ich mich ab. Wohin war es mit den heutigen Frauen gekommen? Oft hatte ich von Weibern gelesen, die den Gerichtssaal belagerten, wenn es um irgendeines Unglückseligen Leben oder Tod ging. Und ich hatte mich schon oft gefragt, was für Frauen das wohl sein mochten. Nun wußte ich es. Sie waren von der Art Cinderellas, jung und doch von Sehnsucht nach krankhafter Erregung besessen, nach Sensationen um jeden Preis, ohne auf Anstand oder Feingefühl Rücksicht zu nehmen. Die lebendige Schönheit des Mädchens zog mich wider meinen Willen an, doch in meinem Herzen war der erste Eindruck, Mißbilligung und Abneigung, zurückgeblieben. Ich gedachte meiner lange verstorbenen Mutter. Was sie wohl zu diesem seltsamen Produkt modernen Mädchentums gesagt hätte? Dem hübschen Antlitz voll Schminke und Puder und dem dämonischen Sinn?

»Steigen Sie von Ihrem hohen Roß«, sagte die junge Dame plötzlich, »und haben Sie sich nicht so! Als man Sie hierherrief, steckten Sie die Nase auch in die Luft und sagten, daß es eine üble Angelegenheit sei, mit der Sie nichts zu schaffen haben wollten ... «

»Nein, aber -«

»Und wenn Sie Ihren Urlaub hier verbrächten, würden Sie da nicht genauso herumschnüffeln, wie ich es tue? Natürlich.«

»Ich bin ein Mann. Sie sind eine Frau.«

»Sie stellen sich vor, daß eine Frau auf einen Sessel springen und kreischen muß, wenn sie eine Maus erblickt. Das ist ja, alles prähistorisch. Aber Sie werden mir doch keinen Korb geben? Schauen Sie, es kann von großer Wichtigkeit für mich sein.«

»Inwiefern?«

»Es wird kein Berichterstatter zugelassen. Vielleicht könnte ich ein gutes Geschäft mit einer Zeitung machen. Sie haben ja keine Ahnung, wieviel sie für eine kleine Nachricht zahlen, um ihre Spalten zu füllen.«

Ich zögerte.

Sie schob eine kleine weiche Hand in meine. »Bitte -seien Sie lieb.«

Ich ergab mich. Insgeheim wußte ich, daß ich an der Aufgabe Gefallen finden würde. Schließlich ging mich ja das moralische Verhalten des Mädchens nichts an. Ich war wohl ein wenig unruhig, als mir einfiel, was der Untersuchungsrichter wohl dazu sagen würde, aber allzu schlimm konnte das ja auch nicht werden ...

Wir begaben uns zunächst zu der Stelle, wo der Leichnam entdeckt worden war. Ein Wachtposten stand dort, der mich respektvoll grüßte, da er mich vom Sehen kannte, und keinerlei Fragen wegen meiner Begleiterin stellte. Vermutlich war es ihm genügende Bürgschaft, daß sie in meiner Gesellschaft kam. Ich erklärte ihr, wie die Entdeckung gemacht worden war; sie hörte aufmerksam zu und stellte hie und da eine kluge Frage. Dann lenkten wir unsere Schritte der Villa zu. Ich ging ziemlich vorsichtig, da es mir, um die Wahrheit zu sagen, durchaus nicht darum zu tun war, jemandem zu begegnen, und führte das Mädchen um die Büsche herum hinter das Haus, wo die kleine Hütte stand. Ich erinnerte mich, daß M. Bex am gestrigen Abend, nachdem er abgesperrt hatte, den Schlüssel dem Gendarm Marchaud zurückließ »für den Fall, daß Monsieur Giraud ihn verlangen würde, während wir oben sind«. Möglicherweise hatte der Beamte den Schlüssel wieder an Marchaud zurückgegeben. Ich ließ das Mädchen außer Sehweite im Gebüsch und betrat das Haus. Marchaud versah seinen Dienst vor dem Eingang in den Salon. Von innen drang Stimmengewirr.

»Monsieur sucht Monsieur Hautet? Er verhört Francoise nochmals.«

»Nein«, erwiderte ich hastig, »ich brauche ihn nicht. Aber ich möchte sehr gern den Schlüssel zum Schuppen haben, wenn es nicht gegen die Instruktionen verstößt.«

»Aber gewiß, Monsieur.« Er zog ihn aus der Tasche. »Hier ist er. Monsieur Hautet ordnete an, daß wir Ihnen in jeder Hinsicht an die Hand gehen sollten. Ich bitte Sie nur, mir ihn wieder zurückzubringen, wenn Sie fertig sind. Das ist alles.«

»Selbstverständlich.«

Es erfüllte mich mit Genugtuung, daß ich wenigstens in Marchauds Augen eine ebenso wichtige Persönlichkeit war wie Poirot. Das Mädchen erwartete mich. Sie schrie auf, als sie den Schlüssel in meiner Hand erblickte.

»Sie haben ihn bekommen!«

»Natürlich«, sagte ich kühl. »Aber Sie wissen doch, welche Inkorrektheit ich begehe ... «

»Sie sind reizend nett, und ich werde es Ihnen nie vergessen. Kommen Sie. Man kann uns doch vom Hause aus nicht sehen?«

»Warten Sie einen Augenblick.« Ich hielt sie zurück. »Ich werde Sie nicht hindern, wenn Sie wirklich hineingehen wollen. Aber wollen Sie es auch wirklich? Sie sahen das Grab und die Golfplätze, Sie hörten alle Einzelheiten der Tat. Genügt Ihnen das nicht? Was jetzt kommt, ist grauenhaft und -unerquicklich.«

Einen Augenblick lang sah sie mich an mit einem Ausdruck, den ich nicht ganz ergründen konnte. Dann lachte sie.

»Ach, wegen des Grauens«, sagte sie. »Gehen wir hinein.«

Schweigsam erreichten wir den Eingang des Schuppens. Ich öffnete, und wir traten ein. Ich schritt auf den Leichnam zu und hob langsam die Decke, wie Bex es tags zuvor getan hatte. Da brach leises Stöhnen von den Lippen meiner Begleiterin, und ich wandte mich ihr zu. Nun spiegelte sich Grauen in ihrem Antlitz, und sie zitterte am ganzen Körper. Sie hatte meinen Rat nicht hören wollen und büßte nun dafür, daß sie ihn mißachtet hatte. Ich fühlte kein Erbarmen mit ihr. Nun sollte sie damit fertig werden.

»Sehen Sie«, sagte ich. »Er wurde von rückwärts erstochen.«

Beinahe tonlos klang ihre Stimme: »Womit?«

Ich wies auf den Glaskrug. »Mit diesem Dolch.«

Plötzlich taumelte das Mädchen und brach zusammen. Ich sprang ihr bei und half ihr auf einen Gartenstuhl.