»Und das andere Zündholz?« fragte Poirot. »Welches?«
»Das Hölzchen, mit dem er wirklich die Zigarette in Brand setzte. Fanden Sie das auch?«
»Nein.« .
»Vielleicht suchten Sie nicht gründlich genug.«
»Nicht gründlich genug gesucht -« Es schien einen Augenblick, als wurde der Detektiv zornig auffahren, aber er nahm sich zusammen und beherrschte sich. »Ich sehe, Sie scherzen gern, Monsieur Poirot. Aber jedenfalls, ob nun das Holz da ist oder nicht, hätte ja auch das Zigarettenende genügt. Es ist eine südamerikanische Zigarette mit hygienischem Mundstück aus Süßholz.«
Poirot verneigte sich, der Kommissar sagte: »Der Zigarettenstummmel und das Zündhölzchen könnten auch von Monsieur Renauld herrühren. Er kam vor zwei Jahren aus Südamerika zurück.«
»Nein«, erwiderte der andere. »Ich durchstöberte bereits die Habseligkeiten von Monsieur Renauld. Er hatte ganz andere Zigaretten und Streichhölzer.«
»Finden Sie es nicht sonderbar«, fragte Poirot, »daß diese Fremdlinge, die so ganz ohne Waffen, Handschuhe und Spaten hierhergekommen sein sollten, diese Dinge so zweckdienlich vorfanden?«
Giraud lächelte überlegen: »Gewiß, es ist sonderbar. Und ohne meine Annahme wäre es unerklärlich.«
»Aha!« rief M. Hautet. »Ein Mitschuldiger im Hause!«
»Oder außerhalb desselben«, sagte Giraud geheimnisvoll. »Aber es muß sie jemand hereingelassen haben. Wir können doch nicht annehmen, daß sie durch einen noch nie dagewesenen Glücksfall die Tür offen fanden?«
»Die Tür wurde für sie geöffnet; aber ebensogut konnte sie von jemandem, der einen Schlüssel besaß, von außen geöffnet worden sein.«
»Aber wer besaß einen Schlüssel?«
Giraud zuckte die Achseln: »Was das anbelangt, wird keiner diese Tatsache zugeben, solange er es vermeiden kann. Aber verschiedene Leute können einen besessen haben. Monsieur Jack Renauld, der Sohn, beispielsweise. Er ist zwar auf dem Wege nach Südamerika, aber er konnte ihn ja verloren haben, oder vielleicht wurde er ihm gestohlen. Dann der Gärtner - er ist doch schon viele Jahre hier. Eines der jüngeren Dienstmädchen könnte einen Liebhaber haben. Nichts leichter, als einen Abdruck machen und danach einen Schlüssel anfertigen lassen. Es gibt allerhand Möglichkeiten. Dann ist da noch eine andere Person, von der es, wie ich glaube, außerordentlich wahrscheinlich ist, daß sie einen Schlüssel besaß.«
»Wer ist das?«
»Madame Daubreuil«, sagte der Detektiv.
»Ei, ei«, meinte der Untersuchungsrichter, »Sie haben also auch davon schon gehört?«
»Ich höre alles«, sagte Giraud selbstbewußt.
»Ich möchte schwören, daß es etwas gibt, was Sie noch nicht hörten«, sagte Hautet entzückt, sein überlegenes Wissen zeigen zu können, und ohne Umschweife berichtete er nochmals über den geheimnisvollen Besuch am letzten Abend. Er erwähnte auch den Scheck auf den Namen »Duveen« und zeigte Giraud schließlich den mit »Bella« unterzeichneten Brief.
»Alles sehr interessant. Aber meine Theorie bleibt davon unberührt.«
»Und worin besteht Ihre Theorie?«
»Ich ziehe es vor, das vorläufig nicht zu sagen. Bedenken Sie, daß ich eben erst am Anfang meiner Nachforschungen stehe.«
»Sagen Sie mir eines, Monsieur Giraud«, fragte plötzlich Poirot. »Ihre Annahme setzt voraus, daß die Tür aufgeschlossen wurde. Sie erklärt aber nicht, warum man sie offenließ; wäre es, als die Verbrecher weggingen, nicht natürlich gewesen, die Tür hinter sich zu schließen? Wenn zufällig ein Gendarm am Haus vorbeigekommen wäre, um nachzusehen, ob alles in Ordnung sei, wären sie entdeckt und gleich überführt worden.«
»Bah! Sie vergaßen es. Ein Fehler, gebe ich zu!«
Da aber, zu meiner Überraschung, sagte Poirot fast die gleichen Worte, die er am Abend vorher zu Bex geäußert hatte: »Ich teile Ihre Ansicht nicht. Daß die Tür offenblieb, war entweder Absicht oder Notwendigkeit. Jede Annahme, die dieser Voraussetzung widerspricht, wird sich als falsch erweisen.«
Der Detektiv drehte seinen Schnurrbart und beäugte meinen Freund, als ob er sich lustig über ihn machen wollte: »Sie teilen meine Ansicht nicht? Nun, was bemerken Sie Besonderes an dem Fall? Lassen Sie uns Ihre Ansicht hören.«
»Eines scheint mir bedeutungsvoll. Sagen Sie, Monsieur Giraud, kommt Ihnen der Fall nicht bekannt vor? Erinnert er Sie an nichts?«
»Bekannt? An etwas erinnern? Das kann ich nicht so ohne weiteres sagen. Aber ich glaube kaum.«
»Sie haben unrecht«, sagte Poirot gelassen. »Ein fast ganz gleiches Verbrechen wurde schon früher einmal begangen.«
»Wann? Und wo?«
»Ja, daran kann ich mich leider im Augenblick nicht erinnern, ich hatte gehofft, Sie würden mir dabei behilflich sein können.«
Giraud brummte ungläubig: »Es gab viele Verbrechen mit maskierten Männern. Ich kann mir nicht die Einzelheiten von ihnen allen merken. Mehr oder weniger gleicht ein Verbrechen dem anderen.«
»Doch gibt es etwas - etwas wie eine persönliche Note.« Poirot verfiel plötzlich in dozierendes Sprechen und wandte sich an uns alle. »Ich will Ihnen jetzt etwas über die Psychologie des Verbrechens sagen. Monsieur Giraud weiß sehr genau, daß jeder Verbrecher seine eigene Methode hat und daß die Polizei sehr oft durch die eigenartige Methode eines Einbruchs zum Beispiel Verdacht in bestimmter Richtung hegt. (Japp wird dir das gleiche sagen, Hastings!) Der Mensch ist ein unoriginelles Tier. Unoriginell innerhalb der Gesetze seines täglichen anständigen Lebens, aber ebenso unoriginell außerhalb derselben. Wenn ein Mann ein Verbrechen begeht, wird jedes weitere, das er begeht, dem ersten gleichen. Der englische Mörder, der sich seiner Frauen nacheinander entledigte, indem er sie im Bade ertränkte, war ein Schulfall. Hätte er sie auf verschiedene Art aus dem Wege geräumt, so wäre er vielleicht bis heute der Entdeckung entgangen. Aber er gehorchte den gewöhnlichen Gesetzen menschlicher Natur, indem er annahm, daß, was einmal gelang, immer gelingen müsse, und er büßt nun für seinen Mangel an Originalität.«
»Und die Moral davon?«
»Daß, wenn Sie zwei in Plan und Ausführung fast gleiche Verbrechen vor sich haben, Sie dahinter ein Hirn finden werden. Ich suche dieses Hirn, Monsieur Giraud, und ich werde es finden. Hier haben wir einen wirklichen Schlüssel -einen psychologischen Schlüssel. Sie, Monsieur Giraud, mögen wohl alles über Zigaretten und Zündhölzchen wissen, aber ich, Hercule Poirot, kenne den Menschenverstand! Zu Ihrer Orientierung möchte ich Sie noch auf eine Tatsache aufmerksam machen, die vielleicht sonst nicht zu Ihrer Kenntnis gelangen würde. Die Armbanduhr von Madame Renauld ging am Tag nach dem Unglück zwei Stunden vor.«
Giraud blickte auf: »Vielleicht ging sie immer vor?«
»Es wurde mir mitgeteilt, daß dies nicht der Fall gewesen sei.«
»Dann um so besser.«
»Aber nichtsdestoweniger sind zwei Stunden sehr viel«, sagte Poirot sanft. »Und dann ist noch die Sache mit den Fußspuren im Blumenbeet.« Er deutete mit dem Kopf nach dem offenen Fenster.
Giraud machte zwei eilige Schritte und blickte hinaus: »Aber ich sehe keine Fußspuren?«
»Nein«, sagte Poirot und schichtete einen Stoß Bücher auf dem Tische. »Es sind ja keine.«
Einen Augenblick lang war Girauds Antlitz fast unkenntlich vor blinder Wut. Er schritt auf seinen Peiniger zu, aber in dem Augenblick wurde die Tür des Salons geöffnet, und Marchaud kündete an: »Mr. Stonor, der Sekretär, ist soeben aus England eingetroffen. Darf er eintreten?«
10
Der Mann, der jetzt das Zimmer betrat, war eine auffallende Erscheinung. Sehr groß, gut gewachsen, mit athletischem Körperbau, tiefbronzefarbenem Gesicht und Nacken beherrschte er die Versammlung. Selbst Giraud machte neben ihm einen etwas bleichsüchtigen Eindruck. Später, als ich Gabriel Stonor besser kennenlernte, merkte ich, daß er eine ganz ungewöhnliche Persönlichkeit war. Engländer von Geburt, hatte er sieh in der ganzen Welt umhergetrieben. Er hatte Hochwild in Afrika gejagt, Korea bereist, Viehzucht in Kalifornien betrieben, und auf den Südseeinseln Geschäfte abgewickelt.