- es sind unhöfliche, spöttische Gesellen. Sie wollen nicht einsehen, daß ein Untersuchungsrichter meiner - hm -Erfahrung einen gewissen Scharfsinn haben muß. Die Höflichkeit der alten Schule sagt mir unvergleichlich besser zu. Deshalb, lieber Freund, verfügen Sie über mich, wie es Ihnen beliebt. Wir verstehen doch auch etwas davon, wir beide
- nicht?«
Und M. Hautet verabschiedete sich herzlich lachend von uns. Er war von sich und uns begeistert. Es tut mir leid, berichten zu müssen, daß Poirots erste Bemerkung war, als wir den Gang entlangschritten: »Ein fideler alter Trottel! Von direkt mitleiderregender Dummheit!«
Eben als wir das Gebäude verließen, kam uns Giraud entgegen, der, eingebildeter denn je zuvor, mit sich äußerst zufrieden schien.
»Aha, Monsieur Poirot«, rief er. »Sie sind also wieder aus England zurück?«
»Wie Sie sehen«, sagte Poirot.
»Ich denke, die ganze Angelegenheit steht kurz vor ihrem Abschluß.«
»Ich bin ganz Ihrer Ansicht, Monsieur Giraud.«
Poirot sprach mit gedämpfter Stimme. Seine betrübte Miene schien den anderen zu entzücken.
»Oh, über diese wässerigen Verbrecher! Keine Spur von Selbstverteidigung! Es ist zu merkwürdig!«
»So merkwürdig, daß es zu denken gibt, nicht wahr?« warf Poirot sanft dazwischen.
Aber Giraud hörte nicht einmal. Er wirbelte nervös seinen Spazierstock. »Guten Tag denn, Monsieur Poirot. Ich freue mich, daß Sie sich schließlich mit der Schuld des jungen Renauld abgefunden haben.«
»Pardon, ich habe mich durchaus nicht abgefunden. Jack Renauld ist unschuldig.«
Giraud starrte einen Augenblick wortlos, dann brach er in helles Lachen aus, schlug sich bedeutungsvoll an die Stirn und bemerkte kurz: »Verrückt!«
Poirot richtete sich auf. Gefährlich blitzten seine Augen: »Monsieur Giraud, während der ganzen Dauer unserer gemeinsamen Arbeit hatten Sie es darauf angelegt, mich zu beleidigen. Sie verdienen eine Lehre. Ich bin bereit, um 500 Francs zu wetten, daß ich den Mörder Monsieur Renaulds vor Ihnen finden werde. Einverstanden?«
Giraud sah ihn hilflos an und flüsterte nochmals: »Verrückt.«
»Nun also«, drängte Poirot, »ist es abgemacht?«
»Ich habe kein Verlangen, Sie Ihres Geldes zu berauben.«
»Seien Sie beruhigt - es wird nicht dazu kommen!«
»Oh, dann bin ich einverstanden. Sie sprechen davon, daß meine Art Sie beleidigt hätte! Nun, die Ihre hat mich des öfteren gehörig geärgert.«
»Ich bin entzückt, das zu hören«, sagte Poirot. »Guten Morgen, Monsieur Giraud. Komm, Hastings.«
Als wir die Straße hinabgingen, sprach ich kein Wort. Mein Herz war schwer. Poirot hatte seine Absichten nur zu deutlich durchblicken lassen. Mehr als je zweifelte ich, daß es mir möglich sein würde, Bella vor den Folgen ihrer Tat zu schützen. Das unglückselige Zusammentreffen mit Giraud hatte Poirot gereizt und zur Aufbietung aller Kraft angespornt.
Plötzlich fühlte ich eine Hand auf meiner Schulter, und als ich mich umwandte, stand Gabriel Stonor vor mir. Wir blieben stehen und begrüßten ihn, und er machte sich erbötig, uns ins Hotel zurückzubegleiten.
»Was tun Sie hier, Monsieur Stonor?« forschte Poirot. »Man muß zu seinen Freunden stehen«, gab der andere trocken zurück. »Besonders wenn sie falsch beschuldigt werden.«
»So glauben Sie also nicht, daß Jack Renauld das Verbrechen beging?« fragte ich begierig.
»Natürlich glaube ich es nicht. Ich kenne den Burschen. Ich gebe zu, daß ein oder zwei Punkte dieser Geschichte mich vollständig überrumpelten, aber trotz seiner tollen Stellungnahme werde ich nie glauben, daß Jack Renauld ein Mörder ist.«
Das machte mir den Sekretär sympathisch. Seine Worte nahmen eine geheime Last von meiner Seele.
»Ich zweifle nicht daran, daß viele wie Sie empfinden«, rief ich. »Es ist wirklich lächerlich wenig Belastungsmaterial gegen ihn vorhanden. Ich möchte behaupten, daß er bestimmt freigesprochen wird - bestimmt.«
Jedoch Stonors Antwort fiel nicht ganz so aus, wie ich wünschte. »Ich gäbe viel darum, könnte ich Ihre Ansicht teilen«, sagte er ernst. Dann wandte er sich an Poirot. »Was halten Sie davon, Monsieur?«
»Ich denke, daß die Sache für ihn sehr ungünstig steht«, sagte Poirot ruhig.
»Glauben Sie an seine Schuld?« fragte Stonor scharf.
»Nein. Aber ich meine, es dürfte ihm schwerfallen, seine Unschuld zu beweisen.«
»Er benimmt sich verdammt wunderlich«, murmelte Stonor. »Allerdings bin ich überzeugt, daß viel mehr hinter der Sache steckt, als auf den ersten Blick zu sehen ist. Giraud ist nicht der richtige Mann, denn er ist ein Außenstehender, aber das Ganze ist eine verdammt merkwürdige Angelegenheit. Er macht so viel unnütze Worte. Wenn Madame Renauld etwas vertuschen will, werde ich mich nach ihr richten. Es ist ihre Sache, und ich achte ihren Scharfsinn viel zu sehr, um meine eigenen Ansichten aufzudrängen, aber ich kann mir Jacks Haltung nicht erklären. Man ist versucht anzunehmen, daß er für schuldig gehalten werden will.«
»Aber das ist lächerlich«, warf ich ein. »Erstens der -« Ich hielt inne, da ich nicht wußte, inwiefern Poirot meine Einmischung billigen würde. Ich fuhr fort, wählte aber sorgfältig die Worte. »Wir wissen, daß der Dolch an jenem Abend nicht in Jacks Händen sein konnte. Madame Renauld weiß es.«
»Richtig«, sagte Stonor. »Nach ihrer Genesung wird sie sicher das und noch mehr sagen. Nun muß ich Sie aber verlassen.«
»Einen Augenblick.« Poirot hielt ihn zurück. »Können Sie es einrichten, daß ich benachrichtigt werde, wenn Madame Renauld wieder zur Besinnung kommt?«
»Gewiß. Das ist leicht zu machen.«
»Der Hinweis auf den Dolch ist gut, Poirot«, betonte ich, als, wir die Treppen hinaufstiegen. »Ich wollte vor Stonor nicht so deutlich werden.«
»Das war sehr recht von dir. Wir wollen unsere Weisheit lieber so lange wie möglich für uns behalten. Was aber den Dolch betrifft, wird dieser Hinweis Jack Renauld kaum herausreißen. Entsinnst du dich, daß ich heute früh vor unserer Abreise aus London für eine Stunde fort war?«
»Ja.«
»Nun, ich war bemüht, jene Fabrik ausfindig zu machen, in der Jack Renauld seine Andenken anfertigen ließ. Es war nicht sehr schwer. Nun, Hastings, ich fürchte, die Sache mit dem Dolch wird uns nicht helfen, ihn der Strafe zu entziehen.«
»Dazu darf es nicht kommen«, rief ich gequält. Poirot schüttelte unsicher den Kopf.
»Du wirst ihn retten«, rief ich bestürzt.
»Machtest du es mir nicht unmöglich, mein Freund?«
»Du mußt einen Ausweg finden«, murrte ich.
»Ah, Sapristi! Du verlangst ja Wunder von mir! Nein -kein Wort weiter. Sehen wir lieber nach, was da drin steht.«
Er zog den Brief aus der Brusttasche.
Während des Lesens verzog er das Gesicht, dann reichte er mir das dünne Briefblatt.
»Auch andere Frauen leiden, Hastings!«
Die Schriftzüge waren verschwommen, und der Brief schien in großer Erregung zu Papier gebracht.
»Lieber M. Poirot!
Ich bitte Sie, mir nach Erhalt dieses Briefes zu Hilfe zu kommen. Ich weiß niemanden, an den ich mich wenden könnte, und Jack muß gerettet werden, koste es, was es wolle. Ich flehe auf meinen Knien, bitte, helfen Sie uns.
Marthe Daubreuil.«
Gerührt gab ich den Brief zurück.
»Wirst du hingehen?«
»Sofort. Wir nehmen ein Auto.«
Eine halbe Stunde später betraten wir die Villa Marguerite. Marthe empfing uns an der Tür und geleitete Poirot ins Haus, wobei sie eine seiner Hände mit ihren beiden umklammert hielt.
»Oh, Sie sind gekommen - wie lieb von Ihnen! Ich war der Verzweiflung nahe, da ich nicht wußte, was zu tun sei. Man will mir nicht einmal erlauben, ihn im Gefängnis zu besuchen. Ich leide fürchterlich, ich bin fast toll. Ist das richtig, was sie sagen, daß er seine Schuld gar nicht leugne? Das ist ja Wahnsinn. Es ist ganz ausgeschlossen, daß er es tat! Nicht einen Augenblick glaube ich daran.«