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»Aber Monsieur«, rief Francoise, »Madame wechselte ihr Zimmer beinahe unmittelbar nach dem Verbrechen! Die Erinnerungen dort waren zu quälend für sie!«

»Warum wurde mir das nicht gesagt«, zeterte Poirot, schlug mit der Faust auf den Tisch und geriet in höchste Erregung.

»Ich frage Sie - warum - wurde - mir - das - nicht -gesagt? Sie sind ein vollkommen verblödetes altes Weib! Und Leonie und Denise sind nicht viel besser. Alle drei seid ihr Dummköpfe! Eure Blödheit hat beinahe den Tod eurer Herrin verursacht. Und ohne dieses mutige Kind -«

Er brach ab, schoß durch das Zimmer auf das junge Mädchen zu, das sich gerade über Mme. Renauld neigte, um sie zu stützen, und umarmte sie mit gallischem Feuer, was mich verstimmte.

Ein strenger Befehl Poirots riß mich aus meinen düsteren Betrachtungen; er hieß mich, sofort den Arzt zu Mme. Renauld zu holen. Nachher sollte ich die Polizei verständigen. Dann fügte er hinzu, und das machte das Maß volclass="underline" »Es lohnt wirklich nicht, daß du zurückkommst. Ich werde zu beschäftigt sein, um mich dir widmen zu können, und Mademoiselle ernenne ich zur Krankenschwester.«

Ich zog mich mit aller Würde zurück, die ich aufbringen konnte.

Nach der Erledigung meiner Aufträge begab ich mich ins Hotel. Von dem, was vorgefallen war, verstand ich soviel wie nichts. Die Ereignisse dieser Nacht kamen mir phantastisch, kamen mir unmöglich vor. Niemand beantwortete meine Fragen. Niemand schien sie gehört zu haben. Ärgerlich warf ich mich auf mein Bett, um bald erschöpft in wirren Schlummer zu sinken.

Als ich erwachte, schien die Sonne durch die geöffneten Fenster ins Zimmer, und Poirot saß lächelnd an meinem Lager.

»Endlich erwachst du! Das nenne ich einen Siebenschläfer! Hastings, weißt du, daß es beinahe elf Uhr ist?«

Ich stöhnte und griff mit der Hand nach dem Kopf. »Ich muß schwer geträumt haben«, sagte ich. »Denk dir, mir träumte, daß wir Marthe Daubreuils Leiche in Mme. Renaulds Zimmer fanden und daß du erklärtest, sie hätte Monsieur Renauld ermordet.«

»Du träumst nicht. Das alles ist richtig.«

»Bella Duveen tötete doch Monsieur Renauld?«

»O nein, Hastings, sie war es nicht! Sie sagte nur, sie habe es getan - ja - um den Mann, den sie liebte, vor dem Galgen zu bewahren.«

»Was?«

»Erinnere dich an Jacks Bericht. Beide trafen im gleichen Augenblick am Schauplatz des Mordes ein, und jeder hielt den anderen für den Mörder. Das Mädchen starrt ihn voll Entsetzen an, stößt einen Schrei aus und läuft davon. Aber als sie hört, daß das Verbrechen ihm zugeschrieben wird, kann sie den Gedanken nicht ertragen, sie tritt vor, um sich selbst zu bezichtigen und ihn so vor sicherem Tod zu retten.«

Poirot lehnte sich zurück und faltete die Hände. »Der Fall befriedigte mich nicht«, bemerkte er in dozierendem Tone. »Die ganze Zeit über stand ich unter dem Eindruck, daß ich es mit einem kaltblütig wohlüberlegten Verbrechen zu tun hatte, von jemandem verübt, der darauf ausging, Monsieur Renaulds eigene Pläne auszuführen, um die Polizei von der richtigen Spur abzulenken. Der große Verbrecher (du erinnerst dich vielleicht, daß ich schon einmal die Bemerkung machte) ist immer überaus unkompliziert.« Ich nickte.

»Nun, zur Aufrechterhaltung dieser Theorie mußte der Verbrecher mit den Plänen Monsieur Renaulds vollkommen vertraut gewesen sein. Dies bringt uns auf Mme. Renauld. Aber, es fehlen alle Beweise, die den Schuldverdacht gegen sie rechtfertigen würden. Kommt noch jemand in Betracht, der von seinen Plänen Kenntnis haben konnte? Ja. Aus Marthe Daubreuils eigenem Munde erfuhren wir, daß sie den Auftritt Renaulds mit dem Landstreicher belauscht hatte. Wenn sie einmal lauschte, liegt kein Grund zur Annahme vor, daß sie nicht alles andere auch gehört hat, falls Monsieur und Madame Renauld unvorsichtig genug waren, ihre Pläne auf jener Bank zu erörtern. Erinnere dich, wie deutlich du von jenem Platz aus Marthes Gespräch mit Jack Renauld hörtest.«

»Aber welchen Grund konnte Marthe für die Ermordung Monsieur Renaulds haben?« argumentierte ich.

»Welchen Grund? Das Geld! Renauld war vielfacher Millionär, und nach seinem Tode sollte die Hälfte dieses gewaltigen Vermögens Jack zufallen (so nahmen wenigstens Jack und sie an). Rekonstruieren wir die Szene vom Standpunkt Marthe Daubreuils.

Marthe Daubreuil belauscht das Gespräch zwischen Renauld und seiner Gattin. Bis dahin war er den Daubreuils, der Mutter und der Tochter, eine nette Einnahmequelle gewesen, aber nun beabsichtigte er, ihren Netzen zu entkommen. Vielleicht erwägt sie zuerst den Gedanken, diese Flucht zu vereiteln. Aber bald verdrängt ein kühnerer Plan diesen Gedanken, ein Plan, vor dem die Tochter der Jeanne Beroldy nicht zurückschreckt! Nun steht Renauld ihrer Vereinigung mit Jack unerbittlich im Wege. Wenn letzterer seinen Vater herausfordert, wird er verarmen - was durchaus nicht nach Marthes Geschmack ist. Ich bezweifle sogar, daß sie wirklich an ihm hing. Sie konnte Gemütsbewegung vortäuschen, war aber tatsächlich der gleiche kaltberechnende Typ wie ihre Mutter. Ich begreife auch, daß sie von ihrer Macht über Jack überzeugt war. Sie hatte ihn geblendet und bestrickt, aber von ihm getrennt, was sein Vater so leicht bewerkstelligen konnte, lief sie Gefahr, ihn zu verlieren. Wäre aber Renauld tot und Jack der Erbe seines halben Vermögens, so konnten sie gleich heiraten und es fiele ihr mit einem Schlage Reichtum zu - nicht bettelhafte Summen, wie man sie bisher aus ihm herausgezogen hatte. Und ihrem klugen Kopf leuchtet die Einfachheit dieser Folgerung ein. Es ist ja alles so leicht. Renauld entwirft alle Einzelheiten für sein Ableben - an ihr liegt es nur, im richtigen Augenblick einzugreifen, und dies Possenspiel in grausige Wahrheit zu verwandeln. Und nun komme ich zu dem zweiten Anhaltspunkt, der mich unfehlbar auf Marthe Daubreuil wies - dem Dolch! Jack Renauld hatte drei Andenken anfertigen lassen. Eines schenkte er seiner Mutter, eines Bella Duveen - war es daher nicht höchstwahrscheinlich, daß er das dritte gerade an Marthe Daubreuil weitergab?

Zusammenfassend ergeben sich vier belastende Momente gegen Marthe Daubreuiclass="underline"

1. Marthe Daubreuil konnte Renaulds Pläne erlauscht haben.

2. Marthe Daubreuil hatte ein direktes Interesse an Renaulds Tod.

3. Marthe Daubreuil war die Tochter der verruchten Madame Beroldy, die meiner Ansicht nach die moralische und eigentliche Mörderin ihres Gatten war, wenn auch der entscheidende Schlag wahrscheinlich von Georges Conneau geführt worden war.

4. Marthe Daubreuil war - abgesehen von Jack Renauld -die einzige mutmaßliche Besitzerin des dritten Dolches.«

Poirot hielt inne und räusperte sich. »Allerdings - als ich von der Existenz des anderen Mädchens - von der Existenz Bella Duveens, erfuhr, hielt ich es nicht für unwahrscheinlich, daß sie Renauld getötet haben konnte. Die Lösung befriedigte mich aber nicht, weil - wie ich dir schon einmal erklärte, Hastings - ein Sachverständiger wie ich es gern mit einem ebenbürtigen Gegner zu tun hat. Doch muß man die Verbrechen nehmen, wie sie fallen, nicht wie man sie gern hätte. Es schien mir sehr unwahrscheinlich, daß Bella Duveen mit einem Papiermesser in der Hand spazierenging, aber natürlich konnte sie sich schon all die Zeit mit der Absicht getragen haben, an Jack Renauld Rache zu nehmen. Als sie tatsächlich hervortrat und den Mord gestand, schien alles vorbei zu sein. Und doch, mon ami, war ich nicht befriedigt. Ich war nicht befriedigt ...

Ich ging nochmals peinlich genau den Fall durch, und ich gelangte zu den gleichen Schlüssen. War es nicht Bella gewesen, so konnte nur Marthe Daubreuil als Täterin in Frage kommen. Aber ich hatte nicht den kleinsten Beweis gegen sie!

Dann zeigtest du mir Dulcies Brief, und ich sah eine Möglichkeit, die Sache ein für allemal zu ordnen. Den Originaldolch hatte Dulcie Duveen entwendet und ins Meer geworfen - da er, wie sie annahm, ihrer Schwester gehörte. Aber wenn nun dies der Dolch gewesen war, den Jack Marthe Daubreuil zum Geschenk gemacht hatte - nun, dann mußte Bella Duveens Dolch noch unbenutzt in ihrem Besitz sein. Ich sagte dir kein Wort darüber, Hastings (es war für Romantik nicht der geeignete Zeitpunkt), aber ich machte Mademoiselle Dulcie ausfindig, sagte ihr so viel darüber, als ich für nötig hielt, und veranlagte sie, die Habseligkeiten ihrer Schwester zu durchsuchen. Stelle dir mein Hochgefühl vor, als sie mich, wie wir verabredet hatten, als Miss Robinson aufsuchte, um mir das kostbare Beweisstück zu bringen.