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Ich muß Ihnen gestehen, meine zärtlich geliebte Emily, daß mir der Anblick schwangerer Frauen Übelkeit verursacht. Sie sind widerlich! Dieses sinnlos animalische Lächeln, diese scheußliche Miene des permanenten Hineinhorchens in den eigenen Leib! Ich halte mich nach Möglichkeit von Madame

Kleber fern. Schwören Sie mir, Teuerste, daß wir niemals Kinder haben werden. Der dicke Bourgeois hat tausendmal recht! Wozu Kinder? Wir sind doch auch so unendlich glücklich. Wir müssen nur diese erzwungene Trennung durchstehen.

Aber jetzt ist es zwei Minuten vor elf. Ich muß meine Messung machen.

Verflixt! Ich habe die ganze Kabine durchsucht. Mein Sextant ist weg. Keine Einbildung. Er lag in der kleinen Truhe, zusammen mit dem Chronometer und dem Kompaß, und jetzt ist er weg! Ich habe Angst, Emily! Oh, ich habe es geahnt! Meine schlimmsten Befürchtungen haben sich bewahrheitet!

Warum? Wofür? Die sind zu jeder Schandtat bereit, nur um unsere Begegnung zu verhindern. Wie soll ich jetzt überprüfen, ob der Dampfer den richtigen Kurs fährt? Das war Regnier, ich weiß es. Ich habe gesehen, mit was für Augen er mich anguckte, als er letzte Nacht an Deck mein Hantieren mit dem Sextanten beobachtete. Der Schuft!

Ob ich zum Kapitän gehe, um eine Bestrafung Regniers zu verlangen? Aber wenn sie unter einer Decke stecken? O Gott, erbarme dich meiner!

Ich mußte eine Pause machen. Mich hat das alles so echauffiert, daß ich von den Tropfen nehmen mußte, die Doktor Jenkinson mir verordnet hat. Und entsprechend seiner Weisung habe ich an etwas Erfreuliches gedacht. Daran, wie wir beide auf der weißen Veranda sitzen und in die Ferne schauen, um herauszufinden, wo das Meer aufhört und der Himmel anfängt. Sie lächeln und sagen: »»Lieber Regi, nun sind wir beisammen.« Dann setzen wir uns in das Kabriolett und fahren am Ufer entlang...

Mein Gott, was fasele ich da! Was denn für ein Kabriolett?

Ich bin ein Ungeheuer, und es gibt für mich keine Vergebung.

RENATE KLEBER

Sie erwachte in glänzender Laune, lächelte über einen Sonnenfleck, der über ihre vom Kissen zerdrückte rundliche Wange kroch, und horchte auf ihren Bauch. Das Kind verhielt sich still, aber sie hatte schrecklichen Hunger. Bis zum Frühstück waren es noch fünfzig Minuten, doch sie war gewohnt, sich zu gedulden, und Langeweile war ihr fremd. Der Schlaf verließ sie morgens ebenso schnell, wie er sie abends überkam - sie bettete den Kopf auf die zusammengelegten Hände, und schon im nächsten Moment hatte sie einen lieblichen und fröhlichen Traum.

Renate trällerte ein frivoles Liedchen von der armen Georgette, die sich in einen Schornsteinfeger verliebt, dabei verrichtete sie ihre Morgentoilette, rieb das frische Gesicht mit Lavendelwasser ab, frisierte sich flink und geschickt: toupierte über der Stirn einen kleinen Pony, steckte das volle kastanienbraune Haar zu einem glatten Knoten und ließ an den Schläfen zwei gewundene Löckchen herabhängen. Nun sah sie so aus, wie sie es wollte - hübsch und bescheiden. Sie guckte durch das Bullauge. Immer dasselbe: das gleichmäßige Kanalufer, der gelbe Sand, die weißen Lehmhütten eines ärmlichen Dorfes. Ein heißer Tag stand bevor. Also das weiße Spitzenkleid, der Strohhut mit dem roten Band und, nicht zu vergessen, der Sonnenschirm, denn nach dem Frühstück war ein Spaziergang fällig. Doch fand sie es lästig, sich mit dem Schirm abzuschleppen. Irgendwer würde ihn ihr schon holen.

Renate drehte sich mit sichtlichem Vergnügen vor dem Spiegel, stellte sich seitlich hin, zog das Kleid über dem Bauch straff. Um die Wahrheit zu sagen - noch war nichts zu sehen.

Mit dem Recht der Schwangeren fand sie sich vor der Zeit zum Frühstück ein, die Kellner waren noch beim Eindecken. Renate bestellte sogleich Orangensaft, Tee, Hörnchen mit Butter und alles übrige. Als der erste Tischnachbar erschien, der dicke Monsieur Coche, auch ein Frühaufsteher, hatte die werdende Mutter schon drei Hörnchen verdrückt und machte sich eben über ein Omelett mit Pilzen her. Auf der »Leviathan« gab es kein Kontinentalfrühstück, sondern ein richtiges englisches Breakfast: mit Rostbeef, erlesenen Eierspeisen, Pudding und Porridge. Französisch waren hier nur die Croissants. Dafür dominierte mittags und abends die französische Küche. Konnte man im Salon »Windsor« etwa Nierchen mit Bohnen servieren?

Der Erste Offizier erschien wie stets um punkt zehn. Fürsorglich erkundigte er sich nach Madame Klebers Befinden. Renate schwindelte, sie habe schlecht geschlafen und fühle sich zerschlagen, weil sich das Bullauge schwer öffnen lasse und es in ihrer Kabine stickig sei. Leutnant Regnier war bestürzt und versprach, persönlich vorbeizukommen und den Defekt zu beheben. Eier und Rostbeef aß er nicht, er hielt sich an eine ausgeklügelte Diät und ernährte sich hauptsächlich von Grünzeug. Er tat Renate leid.

Allmählich fanden sich auch die übrigen ein. Das Gespräch am Frühstückstisch kam gewöhnlich nur schleppend in Gang - die Älteren waren zerknittert nach einer schlecht verbrachten Nacht, und die Jüngeren schliefen noch halb. Es war amüsant, zu beobachten, wie die zickige Clarissa Stomp den stotternden Diplomaten umgarnte. Renate schüttelte den Kopf: Wie konnte die sich solche Blöße geben! Meine Liebe, der könnte dein Sohn sein, trotz der imposanten weißen Schläfen. Meinst du, der Beau wäre was für so eine alternde Jungfer wie dich?

Als letzter kam der rothaarige Psychopath (so nannte Renate im stillen den englischen Baronet). Storre Zotteln, rote Augen, zuckende Mundwinkel - ein Graus. Aber Madame Kleber fürchtete ihn kein bißchen und ließ keine Gelegenheit aus, sich über ihn lustig zu machen. So reichte sie ihm jetzt mit unschuldig-freundlichem Lächeln das Milchkännchen. Milford-Stokes (schon der Name!) schob erwartungsgemäß angewidert seine Tasse zurück. Renate wußte aus Erfahrung, daß er das Milchkännchen nicht anrühren, sondern seinen Kaffee lieber schwarz trinken würde.

»Warum wenden Sie sich ab?« lispelte sie mit bebender Stimme. »Keine Bange, Schwangerschaft ist nicht anstek- kend.« Und sie schloß schon ohne Beben: »Jedenfalls nicht für Männer.«

Der Psychopath schickte ihr einen sengenden Blick, der jedoch an ihrem strahlenden und friedlichen Gegenblick abprallte. Leutnant Regnier verdeckte mit der Hand ein Schmunzeln, der Rentier ließ ein »hm« hören. Selbst der Japaner lächelte über Renates Ausfall. Allerdings lächelte dieser Monsieur Aono immer, auch ohne jeden Anlaß. Womöglich bedeutete ja das Lächeln bei den Japanern gar nicht Heiterkeit, sondern etwas ganz anderes. Zum Beispiel Langeweile oder Abscheu.