Выбрать главу

Wer hätte denken können, daß die Rückkehr in die Heimat, die letzte Etappe siebenjähriger Prüfungen, so schwierig sein würde?

In Frankreich konnte ich wenigstens meine Nahrung in Einsamkeit zu mir nehmen, konnte meine Spaziergänge und die

Natur genießen. Hier auf dem Dampfer dagegen komme ich mir vor wie ein Reiskorn, das irrtümlich in eine Schüssel Nudeln geraten ist. Sieben Jahre habe ich unter rothaarigen Barbaren gelebt und mich nicht an einige ihrer scheußlichen Gepflogenheiten gewöhnen können. Wenn ich sehe, wie die überfeinerte Kleber-san mit dem Messer ein blutiges Beefsteak zerschneidet und sich hinterher mit dem rosigen Zünglein die geschminkten Lippen leckt, wird mir schlecht. Und dann diese englischen Waschbecken, deren Abfluß man mit einem Korken verschließt, so daß man sich das Gesicht mit schmutzigem Wasser waschen muß! Und die alptraumhafte, von einem perversen Geist erfundene Kleidung! Darin fühlt man sich wie ein in Ölpapier gewickelter Karpfen, der auf Kohlenglut geröstet wird. Am meisten hasse ich die gestärkten Kragen, von denen man roten Ausschlag am Kinn bekommt, und die Lederschuhe, die Folterwerkzeuge sind. Mit dem Recht des wilden Asiaten erlaube ich mir, in einem leichten Yukata an Deck zu spazieren, doch meine unglücklichen Tischnachbarn schwitzen von früh bis spät in ihrer Kleidung. Meine sensible Nase leidet sehr unter dem scharfen, fettigen Geruch des europäischen Schweißes. Entsetzlich ist auch die Gepflogenheit der Rundäugigen, sich in Taschentücher zu schneuzen, diese mit dem Rotz wieder in die Tasche zu stecken, sie erneut hervorzuholen und nochmals zu benutzen. Zu Hause wird man mir das nicht glauben, sondern denken, ich hätte mir das ausgedacht. Sieben Jahre sind eine lange Zeit. Vielleicht tragen die Damen bei uns inzwischen auch schon die lächerlichen Turnüren auf dem Hintern und humpeln stolpernd auf hohen Absätzen. Es wäre interessant, Kyoko- san in solchem Aufputz zu sehen. Sie ist ja schon groß, dreizehn Jahre. Ein-zwei Jährchen noch, dann wird man uns verheiraten. Vielleicht auch schon früher. Wenn ich nur bald zu Hause wäre!

Heute ist mir das Erlangen der seelischen Harmonie besonders schwergefallen, weil

1. ich entdeckte, daß aus meiner Reisetasche mein bestes Instrument verschwunden ist, mit dem sich selbst der dickste Muskel leicht durchtrennen läßt. Was mag dieser seltsame Raub bedeuten?

2. ich nach dem Mittagessen erneut in eine demütigende Lage geriet, noch deprimierender als nach meinen Worten über Karl den Kühnen (s. gestrige Aufzeichnung). Fandorin-san, der sich nach wie vor sehr für Japan interessiert, befragte mich nach dem Bushido und den Samuraitraditionen. Das Gespräch kam auf meine Familie und meine Vorfahren. Da ich mich als Offizier vorgestellt hatte, erkundigte sich der Russe nach der Bewaffnung, den Uniformen und dem Reglement der kaiserlichen Armee. Das war entsetzlich! Als sich herausstellte, daß ich noch nie vom Berdangewehr gehört hatte, sah Fandorin-san mich sehr seltsam an. Er ist sicherlich zu dem Schluß gekommen, in der japanischen Armee dienten komplette Ignoranten. Vor Scham vergaß ich die Höflichkeit und lief aus dem Salon, was alles noch ärger machte.

Ich konnte mich lange nicht beruhigen. Zuerst stieg ich hinauf zum Bootsdeck, wo die Sonne am heißesten brennt und es daher menschenleer ist. Ich entkleidete mich bis auf das Lendentuch und übte mich eine halbe Stunde lang in der Schlagtechnik Ma- washi-giri. Als ich die nötige Kondition erlangt hatte und die Sonne mich rosa dünkte, nahm ich den Zazen-Sitz ein und versuchte vierzig Minuten zu meditieren. Erst danach zog ich mich wieder an und ging nach achtern, um eine Tanka zu schreiben.

Alle diese Übungen halfen. Ich weiß jetzt, wie ich mein Gesicht wahren kann. Beim Abendessen werde ich Fandorin-san sagen, daß es uns verboten ist, mit Ausländern über die kaiserliche Armee zu sprechen und daß ich aus dem Salon gelaufen bin, weil ich schrecklichen Durchfall habe. Ich meine, das klingt überzeugend, und ich werde in den Augen meiner Tischgenossen nicht mehr aussehen wie ein unerzogener Wilder.

Derselbe Tag, abends

Von wegen Harmonie! Etwas Katastrophales ist geschehen. Mir zittern vor Scham die Hände, aber ich muß jetzt gleich alle Einzelheiten notieren. Das wird mir helfen, mich zu konzentrieren und den richtigen Entschluß zufassen. Vorerst nur die Fakten, die Schlußfolgerungen später.

Also.

Das Abendessen im Salon »Windsor« begann wie üblich um 20 Uhr. Obwohl ich Rote-Bete-Salat (red beet) bestellt hatte, brachte mir der Kellner halbrohes blutiges Rindfleisch. Er hatte red beef verstanden. Ich schob mit der Gabel das bluttriefende Fleisch hin und her und blickte mit heimlichem Neid zu dem Ersten Offizier, der ein sehr appetitliches Gemüseragout mit magerem Hühnerfleisch verzehrte.

Was war noch?

Nichts Besonderes. Kleber-san klagte wie immer über Migräne, aß aber mit großem Appetit. Sie sieht blühend aus, klassisches Beispiel für eine gut vertragene Schwangerschaft. Ich bin überzeugt: Wenn die Zeit heran ist, wird das Kind aus ihr herausspringen wie der Pfropfen aus einer Flasche französischen Schaumwein.

Gesprochen wurde über die Hitze, über die morgige Ankunft in Aden, über Edelsteine. Fandorin-san und ich verglichen die Vorzüge der japanischen und der englischen Gymnastik. Ich konnte mir erlauben, Nachsicht zu üben, denn auf diesem Gebiet liegt die Überlegenheit Asiens gegenüber dem Westen auf der Hand. Der Unterschied besteht darin, daß ihre physischen Übungen Sport, Spiel sind, die unsrigen dagegen ein Weg zur geistigen Selbstvervollkommnung. Ja, zur geistigen, denn die physische Vollkommenheit ist bedeutungslos und folgt der geistigen wie ein Eisenbahnzug der Lokomotive. Ich muß sagen, daß der Russe sich sehr für Sport interessiert und sogar von den Kampfschulen Japans und Chinas gehört hat. Heute morgen habe ich früher als sonst auf dem Bootsdeck meditiert und sah dort Fandorin-san. Wir wechselten nur eine Verbeugung, kamen aber nicht ins Gespräch, denn wir waren beschäftigt: Ich wusch meine Seele in dem Licht des neuen Tages, und er, mit einem Sporttrikot bekleidet, machte Kniebeugen und stemmte eine Zeitlang Hanteln, die sehr schwer aussahen.

Das gemeinsame Interesse an der Gymnastik machte unser abendliches Gespräch ungezwungen, und ich fühlte mich lockerer als gewöhnlich. Ich erzählte dem Russen von Jiu-Jitsu. Er hörte aufmerksam zu.

Etwa um halb neun (die genaue Zeit habe ich mir nicht gemerkt) klagte Kleber-san, die schon ihren Tee getrunken und zwei Stück Kuchen gegessen hatte, über Schwindel. Ich sagte ihr, das komme bei Schwangeren vor, wenn sie zu viel äßen. Aus irgendwelchen Gründen war sie darüber gekränkt, und mir ging auf, daß ich das nicht hätte sagen dürfen. Wie oft hatte ich mir geschworen, den Mund zu halten. Weise Erzieher hatten mich schließlich gelehrt: Wenn du in fremder Gesellschaft bist, sitze da, höre zu, lächle freundlich und nicke von Zeit zu Zeit - dann wirst du als wohlerzogener Mensch gelten und auf jeden Fall nichts Dummes sagen. Schöner »Offizier«, der anderen medizinische Ratschläge aufdrängt!

Regnier-san sprang sogleich auf und erbot sich, die Dame zu ihrer Kabine zu begleiten. Dieser Mann ist überhaupt sehr zuvorkommend, besonders zu Kleber-san. Er ist der einzige, der ihrer ewigen Launen noch nicht überdrüssig ist. Er wahrt die Ehre seiner Uniform.

Nachdem sie gegangen waren, wechselten die Männer in die Sessel und rauchten. Der italienische Schiffsarzt und seine englische Frau begaben sich zu einem Patienten, und ich versuchte, dem Kellner klarzumachen, daß ich mein Frühstücksomelett ohne Bacon und ohne Schinken wünsche. Das hätten sie in den vielen Tagen schon lernen können.