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Ich sagte ihr in freundlichstem Ton: »Vielleicht wollte der Schwarze Sie gar nicht töten, Madame. Sie kamen so unerwartet herein und machten Licht, da ist er einfach erschrocken. Er ist ja .«

Sie ließ mich nicht ausreden.

»Erschrocken ist er?« zischte sie mit plötzlicher Wut. »Oder sind Sie vielleicht erschrocken, Monsieur Asiat? Meinen Sie, ich habe nicht gesehen, wie Sie sich mit Ihrer gelben Visage hinter dem Rücken anderer Leute versteckt haben?«

So hatte mich noch nie jemand beleidigt. Am schlimmsten war, daß ich nicht so tun konnte, als wären das die zänkischen Worte einer hysterischen dummen Gans, die sich mit einem verächtlichen Lächeln abtun ließen. Kleber-san hatte mich an der empfindlichsten Stelle getroffen!

Eine Antwort fiel mir nicht ein. Ich litt grausam, und sie sah mich mit einer vernichtenden Grimasse an. Wenn ich in diesem Moment in die berüchtigte Hölle der Christen hätte stürzen können, würde ich selbst den Lukenhebel gezogen haben. Am schrecklichsten war, daß sich der rote Schleier der Raserei über meine Augen legte, ein Zustand, den ich besonders fürchte. In diesem Zustand nämlich kann ein Samurai Taten begehen, die für sein Karma schädlich sind. Er muß dann sein Leben lang die Schuld sühnen, weil er für einen Moment die Selbstkontrolle verlor.

Ich verließ den Salon, aus Furcht, ich könnte mich nicht beherrschen und der schwangeren Frau etwas Entsetzliches antun. Ich weiß nicht, ob ich bei einem Mann so die Gewalt über mich behalten hätte.

Ich schloß mich in meiner Kabine ein und holte den Beutel mit den ägyptischen Kürbissen hervor, die ich in Port Said auf dem Basar gekauft hatte. Sie sind klein, kopfgroß und sehr hart. Fünfzig Stück hatte ich erstanden.

Um den roten Schleier vor den Augen wegzukriegen, trainierte ich den geraden Handkantenschlag. Da ich jedoch hocherregt war, mißlangen die Schläge: Die Kürbisse spalteten sich nicht in zwei Hälften, sondern zersprangen in sieben oder acht Stücke.

Es ist schwer.

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ADEN-BOMBAY

gintaro aono

7. Tag des 4. Monats In Aden

Der russische Diplomat ist ein Mann von tiefem, fast japanischem Verstand. Fandorin-san besitzt die uneuropäische Fähigkeit, eine Erscheinung in ihrer Ganzheit zu sehen, ohne in kleinen Details und technischen Einzelheiten steckenzubleiben. Die Europäer sind unübertroffene Experten in allem, was die Fertigkeiten betrifft, sie kennen bestens das Wie. Wir Asiaten dagegen besitzen Weisheit, denn wir wissen Warum. Für die Behaarten ist der Prozeß der Bewegung wichtiger als das Endziel, wir dagegen lassen kein Auge von dem in der Ferne flimmernden Leitstern, darum finden wir recht häufig nicht die Muße, nach rechts und links zu schauen. Deshalb sind die Weißen fast immer Sieger in kleinen Gefechten, während die gelbe Rasse unerschütterliche Ruhe bewahrt, da sie zuverlässig weiß, daß all das kleinliche Geschäftigkeit ist, die keine Aufmerksamkeit verdient. Im Wesentlichen, einzig Existenziellen wird der Sieg jedenfalls unser sein.

Unser Kaiser hat sich zu einem großen Experiment entschlossen: die Weisheit des Ostens mit dem Verstand des Westens zusammenzubringen. Wir Japaner eignen uns demütig die europäische Wissenschaft der täglichen Errungenschaften an, verlieren aber dabei nicht das Endziel der menschlichen Existenz aus dem Auge - den Tod und die darauf folgende höhere

Form des Daseins. Die Rothaarigen sind zu individualistisch, ihr kostbares »Ich« verschließt ihnen die Augen, verzerrt das Bild der sie umgebenden Welt und erlaubt ihnen nicht, ein Problem aus verschiedenen Gesichtswinkeln zu betrachten. Die Seele des Europäers ist mit eisernen Nägeln an seinem Körper befestigt, und es ist ihr nicht gegeben, sich emporzuschwingen.

Wenn Fandorin-san zur Erleuchtung befähigt ist, so verdankt er das dem halb asiatischen Wesen seiner Heimat. Rußland ähnelt in vielem Japan: Osten mit einem Hang zum Westen. Nur vergessen die Russen, im Unterschied zu uns, den Leitstern, auf den das Schiff Kurs hält, und drehen den Hals gar zu sehr nach rechts und links. Sein »Ich« herauskehren oder es indem mächtigen »Wir« auflösen - darin besteht der Gegensatz zwischen Europa und Asien. Ich glaube, Rußland hat eine gute Chance, vom ersten auf den zweiten Weg umzuschwenken.

Aber ich bin übermäßig ins Philosophieren geraten. Es wird Zeit, daß ich auf Fandorin-san und die Klarheit seines Verstandes komme. Ich beschreibe das Geschehen der Reihe nach.

Es war noch dunkel, als die »Leviathan« in Aden einlief. Über diesen Hafen steht in meinem Reiseführer: »Der Hafen von Aden, ein Gibraltar des Orients, dient England als Verbindungsglied zu Ost-Indien. Hier bunkern die Schiffe Kohle und ergänzen ihre Trinkwasservorräte. Die Bedeutung Adens ist seit der Eröffnung des Suezkanals unwahrscheinlich gestiegen. Die Stadt selbst ist nicht groß. Es gibt ausgedehnte Hafenspeicher, Werften, ein paar Faktoreien, Kontore, Gasthäuser. Die Stadt ist symmetrisch gebaut. Die Trockenheit des Bodens wird durch 30 uralte Zisternen ausgeglichen, in denen sich das Regenwasser aus den Bergen sammelt. Aden hat 34 000 Einwohner, vornehmlich indische Muselmanen.« Einstweilen muß ich mich mit dieser knappen Beschreibung zufriedengeben, denn die Schiffstreppe wird nicht heruntergelassen, und niemand darf an Land. Als Grund wird eine Sanitäts- und Quarantäne-Inspektion angegeben, aber wir Vasallen des Fürstentums Windsor kennen den wahren Sinn des Durcheinanders: Matrosen und Küstenpolizei durchkämmen das ganze gewaltige Schiff nach Negern.

Nach dem Frühstück blieben wir noch im Salon und warteten auf die Resultate der Durchsuchung. Hier kam es zwischen dem Polizeikommissar und dem russischen Diplomaten zu einem wichtigen Gespräch, dem alle Unsrigen beiwohnten (jetzt sind sie für mich schon die »Unsrigen«).

Es wurde zunächst über den Tod des Negers gesprochen, dann kam die Unterhaltung wie gewöhnlich auf die Pariser Morde. Ich beteiligte mich nicht daran, hörte aber sehr aufmerksam zu, obwohl es anfangs wieder so aussah, als wolle man einen grünen Affen im Bambusdickicht und eine schwarze Katze im dunklen Zimmer fangen.

Stomp-san sagte: »Also, Rätsel über Rätsel. Unbegreiflich, wie der Schwarze an Bord gekommen ist, unbegreiflich, warum er Madame Kleber ermorden wollte. Genau wie in der Rue de Grenelle. Die reinste Mystik.«

Da sagte Fandorin-san plötzlich: »Da gibt es keine Mystik. Mit dem Neger ist in der Tat noch manches unklar, aber was den Vorfall in der Rue de Grenelle betrifft, so ist das Bild, wie ich finde, mehr oder weniger klar.«

Alle starrten ihn verdattert an, und der Kommissar lächelte giftig. »Wirklich? Na, dann lassen Sie mal hören.«

Fandorin-san: »Ich denke, es war so. Am Abend kam jemand zur Villa in der Rue de Grenelle .«

Der Kommissar (mit gespielter Begeisterung): »Bravo! Eine geniale Idee!«

Einige lachten, doch die meisten hörten aufmerksam zu, denn der Diplomat ist keiner, der sinnlos die Luft bewegt.

Fandorin-san (unerschütterlich): »»... jemand, dessen Erscheinen bei der Dienerschaft keinerlei Verdacht aufkommen ließ. Es war ein Arzt, möglicherweise im weißen Kittel und gewiß mit einer Arzttasche. Der unerwartete Gast sagte, alle im Hause Anwesenden müßten sich unverzüglich in einem Raum versammeln, denn auf Anordnung der Municipalite hätten sich alle Pariser einer prophylaktischen Impfung zu unterziehen.«