»Mädels«, sagte Mim zu ihnen, »ich nehme an, Sie haben von Marilyns hirnrissigem Vorhaben gehört, gegen ihren Vater anzutreten.«
»Ja«, erhielt sie zur Antwort.
»Gar nicht hirnrissig«, meinte Pewter frech.
Bruce kam nach Mim herein, nickte allen zu, öffnete sein Postfach und war schon fast wieder draußen, als Miranda sein Päckchen einfiel. »Dr. Buxton, warten Sie. Ich hab einen Umschlag für Sie.«
»Danke.« Er trat neben Mim an die Trennklappe.
Sie stützte die Ellbogen auf die Klappe. »Bruce, was geht im Krankenhaus vor? Das Ganze ist äußerst erschütternd.«
»Ich weiß es nicht. Er war nicht der angenehmste Mensch auf Erden, aber ich glaube nicht, daß das zu Mord führt.
Wäre dem so, dann wären noch viel mehr von uns tot.« Er schaute Mim direkt in die Augen.
»War das ein Versuch, hintergründig zu sein?« Es fuchste sie, wenn man ihr nicht den gebührenden Respekt erwies.
»Nein. Ich bin nicht hintergründig. Sie wissen doch, daß ich aus Missouri bin, und wir aus Missouri sind ausgesprochen vordergründig.«
»Zwei Punkte.« Murphy sprang auf die Trennklappe, Pewter hinterher.
»Laß mich raus«, bat Tucker Harry, weil sie unbedingt hinüber wollte zu Bruce und Mim.
»Heulsuse.« Harry öffnete die Schwingtür und die Corgihündin tappte in den Publikumsbereich.
»Sie und Truman.« Mim klopfte mit ihren langen Fingernägeln auf den Schalter.
»Hier.« Miranda schob den Umschlag über den Schalter.
»Ah.« Bruce befühlte den Umschlag, schaute auf den Absender - es war sein Sprechzimmer im Krankenhaus. »Huh«, sagte er laut vor sich hin. Mit dem Fingernagel hob er den roten Streifen an, zog daran und riß so den Umschlag auf. Er schüttelte ihn und ein großes blutiges Skalpell fiel heraus. »Verdammt, was soll das!«
11
Coop steckte das Skalpell in eine Plastiktüte. Rick nahm sich Dr. Bruce Buxton vor, der nicht gut gelaunt war. »Fällt Ihnen irgendwas dazu ein?«
»Nein.« Bruce schob den Unterkiefer vor, als er dem Sheriff antwortete.
»Ach, kommen Sie, Doc. Sie haben Feinde. Wir alle haben Feinde. Jemand zeigt mit dem Finger auf Sie und sagt:>Der ist der Mörder, und das ist der Beweis<.«
Bruce, der gut zehn Zentimeter größer war als Rick, straffte die Schultern. »Ich hab Ihnen doch gesagt, ich kenne niemanden, der so was tun würde, und ich hab Hank Brevard nicht umgebracht.«
»Möchte wissen, wie viele Patienten er auf dem Operationstisch verloren hat«, sagte Pewter, die ewige Zynikerin.
»Er hat vermutlich mehr durch sein Benehmen am Krankenbett verloren als durch Inkompetenz«, bemerkte Mrs. Murphy scharfsinnig.
»Er hat keine Angst. Ich kann Angst riechen und er gibt diesen Geruch nicht von sich.« Tucker beschnupperte Bruces Hosenbein.
»Sie können ruhig die Post weiter sortieren. Aber sagen Sie mir zuerst mal, wo Sie den Umschlag gesehen haben«, bat der Sheriff Harry, Miranda und Susan, die jetzt hier festsaß, weil sie vorbeigekommen war, um zu helfen. Er hatte Mim zuerst befragt, damit sie gehen konnte.
»Ich hab ihn zuerst gesehn«, verkündete Tucker.
»Hast du gar nicht. Ich hab ihn zuerst gesehn«, widersprach Pewter dem Hund mit den leuchtenden Augen.
»Das kümmert die nicht. Auch wenn du den Menschen eine Woche gäbst, würden sie immer noch nicht kapieren, daß uns was Merkwürdiges zuerst aufgefallen ist.« Murphy ließ sich auf dem Sims zwischen den oberen und unteren Postfächern auf die Seite plumpsen.
»Ich hab den Umschlag gesehen.« Von einem Frösteln gepackt, rollte Harry ihren Rollkragen hoch, den sie zuvor heruntergekrempelt hatte. »Tatsächlich hat Mrs. Murphy ihn erschnuppert. Weil er ihr aufgefallen ist, ist er mir dann aufgefallen.« »So eine Überraschung.« Mrs. Murphys lange seidige Augenbrauen schnellten hoch.
»Hören Sie, Sheriff. Ich muß in einer Stunde im Krankenhaus sein und die Hände desinfiziert haben.« Bruce verlagerte ungeduldig sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen.
»Wann sind Sie dort fertig?« Rick ignorierte Bruces überhebliches Getue.
»Wenn keine Komplikationen auftreten, so gegen vier.«
»Dann sehen wir uns um vier in Ihrem Sprechzimmer.«
»Das muß doch nicht publik gemacht werden, oder?« Bruce hob die Stimme, die für einen so großen Mann eigenartig hell war.
»Nein.«
»Sam Mahanes braucht nichts davon zu wissen, wenn es sich nicht als die Mordwaffe herausstellt. Und das wird es nicht.«
Coop mit ihrem guten Gespür für Zwischentöne und Nuancen hörte die unterdrückte Wut, als Bruce Sam Mahanes erwähnte.
»Wieso sind Sie so sicher, daß es nicht die Mordwaffe ist?«, fragte sie.
»Weil ich ihn nicht getötet habe.«
Sie blieb beharrlich. »Das Skalpell könnte trotzdem die Mordwaffe sein.«
»Ich hab gehört, daß Hank um ein Haar enthauptet wurde. Dafür braucht man eine breite, lange, scharfe Klinge. Dabei fällt mir ein, die Geschichte war auf allen Nachrichtenkanälen und in der Zeitung. Das Krankenhaus wird bald von Reportern überrannt werden. Wollen Sie mich wirklich in meinem Sprechzimmer aufsuchen?«
»Ja«, erwiderte Rick.
Rick wollte das Krankenhauspersonal wissen lassen, daß er Dr. Buxton aufsuchte, aber das sagte er ihm nicht. Er wollte dort weitere Angestellte befragen.
Es stand für ihn keinesfalls fest, daß der Mörder im Krankenhaus arbeitete. Fest stand jedoch, daß der Mörder den Grundriß des Kellers kannte.
Trotzdem hoffte Rick, daß seine Anwesenheit die eine oder andere Tatsache aufstören oder gar den Täter verstören würde.
»Also, wir sehen uns um vier.« Bruce ging, ohne auf Wiedersehen zu sagen.
»Harry, wohin gucken Sie?« Rick deutete auf sie.
»Auf Sie.«
»Und?«
»Sie haben eine gute Menschenkenntnis«, lobte sie ihn.
Überrascht erwiderte er: »Danke« - holte tief Luft - »und stecken Sie bloß nicht Ihre Nase in diesen Fall.«
»Ich stecke meine Nase nicht rein. Ich arbeite hier. Das Skalpell ist mit der Post gekommen.« Sie hob die Hände.
»Harry, ich kenne Sie.« Er stieß mit dem Zeh gegen einen Postsack. »Schön, gehen Sie wieder an die Arbeit. Susan?«
»Ich bin zum Tee vorbeigekommen und um zu helfen. Es ist Valentinstag.«
»Oh, Scheiße.« Er schlug sich an den Kopf.
»Soll ich Ihrer Frau Rosen schicken lassen?«, erbot sich Miranda.
Rick lächelte sie dankbar an. »Miranda, Sie retten mir das Leben. Ich hab keine Minute Zeit, um das selbst zu erledigen. Die ersten Tage eines Falles sind entscheidend.«
»Das mach ich doch gern.« Miranda ging zum Telefon, Rick öffnete die Trennklappe und ging vorne hinaus. »Coop«, rief er über die Schulter. »Fangen Sie heute im Keller des Krankenhauses an. Für den Fall, daß uns etwas entgangen sein sollte.«
»Roger.« Sie holte die Schlüssel des Streifenwagens aus ihrer Tasche.
Sie waren mit zwei Autos zum Postamt gekommen.
»Irgendwelche Hinweise?« Harry stellte die wichtige Frage jetzt, da Rick das Postamt verlassen hatte.
»Nein«, antwortete Cynthia Cooper wahrheitsgemäß. »Es scheint sich um einen klaren Mordfall zu handeln. Brutal.«
»Bedeutet das nicht gewöhnlich einen Racheakt?«, bemerkte Susan, die zu viele Psychologiebücher gelesen hatte.
»Ja und nein.« Coop verschränkte die Arme. »Wenn ein Mörder einen starken Hass auf das Opfer hat, wird die Leiche oft verstümmelt. Zu Fetischmorden gehört meistens ein bestimmtes Ritual oder eine Abartigkeit, sagen wir, das Abschneiden der Nase. Einfach abscheulich! Hier haben wir einen klaren Fall. Die Wahl eines Messers bedeutet, daß der Mörder körperlich nahe heran mußte. Es ist intimer als eine Schußwaffe, die ist zudem schwer wieder loszuwerden. Auch wenn der Mörder sie in den Verbrennungsofen geworfen hätte, könnte etwas übrig bleiben. Ein Messer ist leicht zu verstecken, leicht loszuwerden und nicht so leicht aufzuspüren. Ich will damit sagen, neben der eigentlichen Tatwaffe gibt es verschiedene Messertypen, mit denen man die Tat hätte begehen können. Es ist etwas anderes, als wenn man eine fünfundvierziger Kugel aus einer Leiche holt. Zudem ist ein Messer leise.«