Bruce rückte seinen Stuhl zur Seite, sodaß sie sich zwischen ihn und Boom Boom setzen konnte.
»Einem von meinen Kindern, Dodie Santana, dem kleinen Mädchen aus Guatemala, ging es heute nicht gut.« »Das tut uns Leid«, sprach Harry für die Gruppe.
»Wir werden sie in unser Nachtgebet einschließen«, erbot sich Miranda.
»Danke.« Tussie lächelte traurig. »Entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht unterbrechen.«
»Ich bin froh, daß Sie's getan haben.« Larry heiterte die Stimmung auf. »Das bedeutet, daß ich nicht als Letzter gekommen bin.«
»Kommen wir wieder zur Sache.« Herb wandte sich an Bruce. »Können wir Zugang zur Versicherungspolice des Krankenhauses bekommen?«
»Ja. Ich glaube nicht, daß Sam das abschlagen würde«, erwiderte Bruce.
»Aber wer kann sie verstehen?«, fragte Larry halb im Scherz. »Ich verstehe ja nicht mal die, die Hayden und ich für die Praxis abgeschlossen haben.«
»Ich denke, Ned Tucker wird uns dabei helfen.« Herb sah Cazenovia und Eloquenz ins Zimmer marschieren. »Harry?«
»Ich ruf ihn an.« Sie erbot sich, Susans Ehemann anzurufen, einen Mann, der bei allen beliebt war außer bei denen, die ihm vor Gericht in die Quere kamen.
»Bruce und ich haben darüber gesprochen«, erklärte Tussie, »und - ich kann es nicht schonend ausdrücken. Jordan Ivanic fürchtet, daß arme Patienten stehlen - nicht nur Medikamente, was wohl der erste Gedanke der meisten Leute wäre, oh nein, er meint, sie würden Toilettenpapier, Bleistifte und was sonst noch alles klauen.«
»Hat er das gesagt?« Harry war entrüstet.
Cazzie sprang auf ihren Schoß und schon fühlte sie sich besser. Eloquenz steuerte direkt auf Herb zu.
»Ja. Das hat er deutlich gesagt.« Tussie klopfte mit dem Fuß auf den Boden.
»Ich habe die Erfahrung gemacht, daß die Reichen die größten Diebe sind.« Bruce rieb sich das Kinn, bemerkte Little Mims mißbilligende Miene und fügte hastig hinzu: »Denken Sie an Mike Milken, an all die Makler der Wall Street.«
»Hm, ich denke, ich werde mal mit Sam und Jordan reden.« Herb tätschelte seine jüngste Katze, die laut schnurrte.
»Miau.« Eloquenz schloß die Augen.
Bruce sagte: »Ich konnte mich der Kooperation von wenigstens einem Arzt jeder Abteilung versichern. Unser Problem ist nun, Sam Mahanes zu überreden, uns einen Teil des Krankenhauses, und sei es nur ein Raum, für eine Eingangsuntersuchung dieser Leute zu überlassen. Er hat allerdings noch eine kleine Befürchtung ausgedrückt.« Bruces Stimme triefte von Sarkasmus. »Und das sind die zahlenden Patienten. Er meinte, sie sollten nicht in die Nähe der Wohlfahrtsfälle geraten; es würde böses Blut geben, weil sie zahlen und die anderen nicht. Darum hatte er Bedenken, sofern wir einen Raum finden und das Haftpflichtproblem lösen könnten, wo wir diese Leute so unterbringen wollten, daß sie unsichtbar blieben?«
»Ah.« Herb atmete aus.
Miranda rutschte auf ihrem Sitz herum, blickte auf den Fußboden, holte tief Luft und sah dann die Gruppe an. »Bruce, Sie sind nicht hier geboren und aufgewachsen, deshalb erwarte ich nicht, daß Sie es wissen, aber die Absonderung oder Isolierung der Armen bringt uns in unmittelbare Nähe der Rassentrennung. In früheren Zeiten waren die Wartezimmer auf der Rückseite immer für Farbige. Das war damals die angemessene und höfliche Bezeichnung, und ich sage Ihnen, kein Weißer ist jemals durch die Hintertür gegangen und umgekehrt. Es weckt ein beklommenes Gefühl in mir und sicher auch in den Älteren unter den Anwesenden, die sich noch an damals erinnern. Das zweite Problem ist, daß eine beträchtliche Anzahl unserer Leute afroamerikanischer oder schottisch-irischer Abstammung ist. Dies sind wohl die zwei ethnischen Hauptgruppen, mit denen wir es zu tun haben. Und ich könnte Ihnen nicht sagen warum. Wie auch immer, ich finde, Sam müßte...« Sie sah Herb an und zuckte mit den Achseln.
»Ich weiß.« Herb verstand sie vollkommen. Immerhin war Sam Virginier und sollte es besser wissen. Aber das Problem bei den Virginiern war, daß viele von ihnen sich die Zeit Thomas Jeffersons zurückwünschten. Freilich sahen sie sich nicht als Sklaven oder arme weiße geknechtete Dienstboten. Sie sahen sich stets als die Herren und Meister.
Die Gruppe fuhr mit ihren Zwischenberichten fort und bevor sie auseinander gingen, gab es Tee, Kaffee und Mirandas leckeres Gebäck.
Boom Boom trat zu Harry. »Ich bin froh, daß wir zusammenarbeiten.«
»Es ist eine gute Sache.« Harry wußte, daß Boom Boom die Wunden heilen wollte, und sie gestand sich ein, daß Boom Boom Recht hatte. Doch hin und wieder schlug Harrys gemeine Ader durch, und dann hätte sie am liebsten gesehen, daß Boom Boom sich wie ein Wurm winden würde.
»Wirst du bei Little Mims Wahlkampagne mitarbeiten?«
»Ah, ich weiß nicht, aber ich kann mich nicht zwischen zwei Stühle setzen. Ich meine, Jim ist ein guter Bürgermeister.« Sie nahm sich noch ein Biskuit. »Und du?«
»Ich mach's. Ich werde für Little Mim arbeiten. Sie hat Recht, unsere Generation muß zum Zuge kommen, und da Big Mim nicht mitmacht, werden wir sie nicht kränken.«
»Aber wird Jim nicht gekränkt sein?«, fragte Harry. Cazenovia rieb sich an ihrem Bein.
»Ein Schinkenbiskuit bitte.«
Harry warf der Katze Schinken hin.
»Glaube ich nicht, er wird den Kampf genießen. Er ist seit Jahrzehnten unangefochten.« Boom Boom lachte.
Bruce, den Blick auf Boom Boom gerichtet - tatsächlich waren die Blicke der meisten Männer auf Boom Boom gerichtet -, trat zu ihnen. »Meine Damen.«
»Unsere kleine Gruppe hatte noch nie jemand so Dynamischen wie Sie. Wir sind Ihnen so dankbar.« Boom Boom klimperte mit ihren langen Wimpern.
»Oh, danke. Bei einem Dasein als Arzt geht es nicht immer um Geld, müssen Sie wissen.«
»Wir sind Ihnen dankbar«, sprach Harry Boom Booms Lob nach, aber ohne das Wimpernklimpern. »Oh, ich habe von dem Hühnerblut an der Klinge gehört. Sie tun mir Leid. Wer das getan hat, gehört ausgepeitscht.«
»Verdammt wahr«, brummte er.
»Was?« Boom Boom machte große Augen.
Das gab Harry Gelegenheit, sich zu verdrücken. Bruce konnte Boom Boom von seinem Erlebnis erzählen, und sie konnte noch ein bißchen flirten.
»Harry.« Herb reichte ihr ein Brownie.
Als er sich mit dem Rücken zum Tisch stellte, sprangen beide Katzen hinauf. Worauf die Leute sich die beiden Racker griffen und wieder auf den Boden setzten.
»Hm, hm, das könnte bei mir einen Zuckerschock auslösen.« Harry lachte.
Er trat ganz nahe an sie heran und senkte die Stimme. »Ich bin stark beunruhigt von Sams Haltung. Ein Teil des Problems könnte darin liegen, daß es Bruce war, der Sam gefragt hat. Sie wissen ja, Sam kann ihn nicht ausstehen.«
»Mit Ihnen wird er reden.«
»Das nehme ich an.« Er nahm sich noch ein Brownie. »Ade Diät. Wie geht's Ihnen denn so? Ich hatte gar keine Zeit, mit Ihnen zu plaudern.«
»Ganz gut.«
»Schön.« Er senkte die rauhe Stimme.
»Rev, tun Sie mir einen Gefallen. Ich weiß, daß Sam mit Ihnen sprechen wird - eher noch als mit Rick Shaw oder Coop. Fragen Sie ihn unumwunden, wer seiner Meinung nach Hank Brevard umgebracht hat. Irgendwas stimmt da nicht. Ich weiß nicht. Es läßt mir einfach.«
». keine Ruhe.« Er wischte sich die Finger ab. »Ich frage ihn.«
»Ich hab Bruce vor Beginn der Versammlung gefragt, was er von Brevard hielt«, fuhr Harry fort. »Er sagte, er sei ihm mächtig auf den Keks gegangen - und vielleicht könnte das Krankenhaus jetzt einen richtig guten Techniker einstellen. Ziemlich unverblümt.«
»Typisch Bruce.« Herb legte beschwichtigend den Arm um sie, dann lächelte er. »Sie und Ihre Neugierde.«
Tussie, die mit dem Rücken zu Herb stand, griff nach einem Teller, trat einen Schritt zurück und stieß mit ihm zusammen. »Oh, Verzeihung.«