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»Es liegt mir auf der Zunge …«, sagte er zögernd, dann raunte er: »Die Losung heißt: Arsen.«

»Bloß nicht runterschlucken«, erwiderte ich, »das Zeug ist giftig.«

Mit beträchtlicher Willensstärke rang sich Dogger ein Lächeln ab. Damit war dem Ritual ausreichend Genüge getan.

»Tritt ein, mein Freund«, sagte ich und riss die Tür weit auf.

Dogger kam herein und sah sich so verwundert um, als hätte es ihn unvermittelt in die Werkstatt eines mesopotamischen Alchimisten verschlagen. Er war schon so lange nicht mehr in diesem Teil des Hauses gewesen, dass er das Labor völlig vergessen hatte.

»So viel Glas!«, sagte er mit bebender Stimme.

Ich zog Tars altmodischen Armlehnstuhl vom Schreibtisch heran und hielt das Möbel fest, bis Dogger Platz genommen hatte.

»Setz dich. Ich mach dir was zurecht.«

Ich füllte einen sauberen Kolben mit Wasser und stellte ihn auf einen kleinen Gitterrost. Als ich das Streichholz an den Bunsenbrenner hielt, zuckte Dogger bei dem leisen Plop! zusammen.

»Wird gleich serviert!«, verkündete ich. »Kleinen Augenblick.«

Das Praktische an Laborgläsern ist, dass Wasser darin mit Lichtgeschwindigkeit kocht. Ich warf einen Teelöffel schwarze Blätter in ein Becherglas und kippte das kochende Wasser darüber. Als das Gebräu dunkelrot war, reichte ich es Dogger, der es skeptisch musterte.

»Keine Sorge«, beruhigte ich ihn. »Es ist Tetley’s.«

Er nippte an seinem Tee und pustete, um ihn abzukühlen. Während er trank, fiel mir der Grund ein, weshalb wir Engländer uns eher vom Tee als vom Buckingham Palace oder dem Parlament Seiner Majestät regieren lassen. Abgesehen von der Seele ist das Teekochen das Einzige, was unsereinen vom Menschenaffen unterscheidet. So hatte es jedenfalls der Vikar einmal meinem Vater gegenüber ausgedrückt, der es Feely weitererzählt hatte, die es wiederum Daffy weitererzählt hatte und die wiederum mir.

»Vielen Dank«, sagte Dogger. »Jetzt geht’s mir wieder besser. Aber etwas muss ich dir noch sagen, Miss Flavia.«

Ich hockte auf der Schreibtischkante und gab mir Mühe, kumpelhaft zu wirken.

»Dann raus damit.«

»Na ja …«, Dogger gab sich einen Ruck, »du weißt doch, dass ich hin und wieder … na ja, also, ab und zu jedenfalls, dass ich da manchmal …«

»Klar, Dogger«, erwiderte ich. »Geht uns das nicht allen manchmal so?«

»Ich weiß nicht. Ich kann mich nicht erinnern. Weißt du, die Sache ist nämlich die, dass ich … als ich …«

Er verdrehte die Augen wie eine Kuh im Schlachthof.

»Ich glaube, ich habe womöglich jemandem etwas angetan. Und der Colonel sitzt deswegen jetzt im Bau.«

»Sprichst du von Horace Bonepenny?«

Dogger ließ das Becherglas mit dem Tee auf den Boden fallen.

»Was weißt du über Horace Bonepenny?«, fragte er und packte mich mit eisernem Griff am Handgelenk. Bei jedem anderen außer Dogger hätte ich es mit der Angst zu tun gekriegt.

»Alles«, entgegnete ich und machte mich behutsam los. »Ich habe in der Bücherei nachgeschlagen. Ich habe mit Miss Mountjoy gesprochen, und Vater hat mir gestern Abend die ganze Geschichte erzählt.«

»Du hast Colonel de Luce gestern Abend gesprochen? In Hinley?«

»Ja. Ich bin hingeradelt. Ich habe dir doch noch gesagt, dass es ihm gutgeht. Weißt du das nicht mehr?«

»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Manchmal spielt mir mein Gedächtnis einen Streich.«

War das überhaupt möglich? War Dogger tatsächlich irgendwo im Haus oder im Garten Horace Bonepenny begegnet und mit ihm aneinandergeraten? War er tatsächlich am Tod des Mannes beteiligt? War es ein Unfall gewesen? Oder steckte noch mehr dahinter?

»Erzähl mir, was passiert ist«, sagte ich. »Erzähl mir alles, woran du dich erinnerst.«

»Ich hab geschlafen. Dann hab ich Stimmen gehört. Laute Stimmen. Ich bin aufgestanden und zum Arbeitszimmer des Colonels rübergegangen. Dort stand jemand im Flur.«

»Das war ich. Ich stand im Flur.«

»Das warst du«, wiederholte Dogger »Du hast im Flur gestanden.«

»Richtig. Du hast gesagt, ich soll abzischen.«

»Das hab ich gesagt?« Dogger war entsetzt.

»Ja, du hast gesagt, ich soll wieder ins Bett gehen.«

»Ein Mann kam aus dem Arbeitszimmer«, sagte Dogger unvermittelt. »Ich habe mich neben der Uhr an die Wand gedrückt,

Anscheinend hatte er zu einem Zeitpunkt vorgespult, an dem ich längst wieder im Bett lag.

»Hast du aber nicht … ihn angefasst, meine ich.«

»Nein. Da noch nicht. Ich bin ihm in den Garten nachgegangen. Er hat mich nicht gesehen. Ich bin immer an der Mauer hinter dem Gewächshaus langgeschlichen. Er stand im Gurkenbeet … und aß irgendwas … er war aufgeregt … führte Selbstgespräche … hat zwischendurch immer ganz übel geflucht … hatte offenbar gar nicht mitgekriegt, dass er vom Weg abgekommen war. Und dann ging das Feuerwerk los.«

»Das Feuerwerk?«

»Na ja, du weißt schon, Raketen, Feuerräder und so was. Ich dachte, im Dorf feiern sie ein Fest. Ist ja schließlich Juni. Im Juni gibt’s oft Feste.«

Im Dorf hatte kein Fest stattgefunden, da war ich ganz sicher. Lieber hätte ich mich in zerlöcherten Turnschuhen einmal quer durch den Regenwald geschleppt, als auch nur eine einzige Gelegenheit zu verpassen, auf dem Rummel an der Wurfbude Kokosnüsse zu werfen und mich an Kekskrachern und Erdbeeren mit Schlagsahne zu überfressen. Nein, was die Termine der dörflichen Festivitäten anging, die hatte ich alle drauf.

»Und was ist dann passiert?«, fragte ich. Die Einzelheiten konnten wir ein andermal klären.

»Dann muss ich wohl eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, lag ich im Gras. Das Gras war nass. Ich bin aufgestanden und ins Bett gegangen. Mir war nicht gut. Muss wohl einen meiner blöden Anfälle gehabt haben, keine Ahnung.«

»Und jetzt hast du Angst, dass du womöglich bei einem deiner blöden Anfälle Horace Bonepenny umgebracht hast?«

Dogger nickte bedrückt und fasste sich an den Hinterkopf.

Wo hatte ich das schon einmal gehört? Ach ja! Hatte nicht Inspektor Hewitt das Gleiche in Bezug auf Vater gefragt?

»Nimm den Kopf runter, Dogger«, sagte ich.

»Tut mir leid, Miss Flavia. Wenn ich jemanden umgebracht hab, war’s bestimmt keine Absicht.«

»Zeig mir mal deinen Kopf.«

Dogger rutschte auf dem Stuhl in sich zusammen und beugte sich vor. Als ich seinen Kragen anhob, zuckte er zusammen.

Auf seinem Nacken, schräg hinter dem Ohr, saß ein dicker Bluterguss, ungefähr so groß wie ein Schuhabsatz. Als ich ihn vorsichtig betastete, zuckte Dogger noch einmal zusammen.

Ich pfiff durch die Zähne.

»Von wegen Feuerwerk! Das war kein Feuerwerk, Dogger. Dir hat jemand eins über den Schädel gezogen. Und jetzt läufst du schon zwei Tage mit dem Ding rum! Das muss doch scheußlich weh tun.«

»Schon, Miss Flavia. Aber ich hab schon Schlimmeres ausgehalten.«

Ich muss ihn ungläubig angesehen haben.

»Ich hab mir im Spiegel in die Augen geschaut«, fügte er hinzu. »Die Pupillen waren gleich groß. Eine kleine Gehirnerschütterung höchstens, halb so wild. Da bin ich bald drüber weg.«

Ich wollte ihn fragen, wo er denn diese Weisheit herhatte, aber er redete schon weiter: »Hab ich bloß mal irgendwo gelesen.«

Mir fiel eine wichtigere Frage ein.

»Und wie hast du es bitteschön fertiggebracht, jemanden umzubringen, wenn du bewusstlos warst, Dogger?«

Er stand da wie ein begossener Pudel. Er machte den Mund auf und zu, aber es kam kein Ton heraus.

»Jemand hat dich überfallen!«, sagte ich. »Jemand hat dich mit einem Schuh niedergeschlagen!«

»Ach, das glaub ich nicht, Miss«, sagte er bekümmert. »Denn außer Horace Bonepenny und mir war kein Mensch im Garten.«