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Wir bildeten ein rechtwinkliges Dreieck. Die Wand und die Oberfläche der Kiste waren die Schenkel und ich die zitternde Hypotenuse.

Plötzlich schoss mir ein Krampf in die Wade, so heftig, dass ich hätte schreien mögen. Wenn ich zuließ, dass der Schmerz die Oberhand gewann, würde ich von der Kiste kippen und mir wahrscheinlich einen Arm oder ein Bein brechen. Also riss ich mich zusammen und wartete, dass der Schmerz nachließ, wobei ich mir so fest in die Wange biss, dass ich fast sofort mein warmes, salziges Blut schmeckte.

Halt durch, Flave, ermahnte ich mich, es gibt Schlimmeres. Aber mir wollte absolut nichts Schlimmeres einfallen.

Ich weiß nicht, wie lange ich so zitternd dagestanden habe, aber es kam mir wie eine Ewigkeit vor. Ich war schweißgebadet, aber immerhin kam von irgendwoher ein kühler Lufthauch, dessen stetigen, leisen Strom ich auf meinen nackten Beinen spüren konnte.

Nach einem langen Kampf stand ich endlich aufrecht auf der Teekiste. Ich tastete mit den Fingern so viel von der Wand ab wie möglich, aber sie war zum Wahnsinnigwerden glatt.

Schwerfällig wie eine Elefantenballerina rotierte ich um hundertachtzig Grad, bis ich mit dem Gesicht zur Wand stand. Dann beugte ich mich vor und spürte - vielmehr glaubte ich

Es gab keinen Ausweg, zumindest nicht in dieser Richtung. Ich kam mir vor wie ein Hamster, der in seinem Käfig auf die Leiter gestiegen war und oben erkennen musste, dass er nirgendwohin konnte als wieder runter. Dabei wussten Hamster in ihren kleinen Hamsterherzen bestimmt, dass Flucht sinnlos war; nur wir Menschen sind unfähig, unsere Hilflosigkeit zu akzeptieren.

Also ließ ich mich auf der Teekiste auf die Knie fallen. Wenigstens war es leichter, von ihr runterzusteigen als herauf, obwohl das gesplitterte Holz und etwas, das sich schmerzhaft wie ein schmaler Metallrand rings um den Deckel der Kiste anfühlte, mir ordentlich die nackten Knie aufschrammte. Von dort aus war ich in der Lage, mich seitlich in eine sitzende Stellung zu drehen und die Beine über den Rand zu hieven, bis ich wieder den Grubenboden unter den Füßen spürte.

Wenn ich die Öffnung, durch die die kalte Luft in die Grube wehte, nicht finden konnte, blieb nur ein einziger Fluchtweg: nach oben. Falls es tatsächlich ein Rohr oder irgendeinen Durchlass vom Fluss bis hierherein gab, war er dann groß genug, damit ich durchkriechen konnte? Und selbst wenn, war er vielleicht verstopft und ich würde plötzlich mit dem Gesicht voran wie ein riesiger Blindwurm in völliger Dunkelheit gegen etwas Widerliches stoßen und in der Röhre stecken bleiben, mich nicht mehr vorwärts und auch nicht mehr zurück bewegen können.

Würden meine Knochen in einem zukünftigen England von einem verblüfften Archäologen gefunden werden? Würde ich in einer Vitrine im British Museum ausgestellt und von den Besuchermassen angestarrt werden? Meine Gedanken rasten hin und her, wogen das Pro und Kontra ab.

Aber halt! Ich hatte die Treppe am Ende der Grube vergessen!

In diesem Moment überkam mich etwas, erstickte mein Bewusstsein wie ein Kopfkissen. Ehe ich meine Erschöpfung als das erkennen konnte, was sie war, ehe ich mich dagegen aufbäumen konnte, war ich bereits erledigt. Ich spürte noch, wie ich zwischen den raschelnden Zeitungen zu Boden sank und auf das Papier fiel, das mir trotz der kalten Luft aus dem Durchlass auf einmal erstaunlich warm vorkam.

Ich bewegte mich ein wenig, als wollte ich mich noch tiefer in sie hineingraben, und zog die Knie bis unter das Kinn an. Und schon war ich eingeschlafen.

Ich träumte, Daffy würde zu Weihnachten eine Pantomime aufführen. Die große Eingangshalle auf Buckshaw hatte sich in ein prunkvolles Wiener Theater verwandelt, mit rotem Samtvorhang und einem großen Kristallkronleuchter, in dem die Flammen Hunderter Kerzen hüpften und flackerten.

Dogger, Feely, Mrs Mullet und ich saßen nebeneinander auf Stühlen, während Vater ganz in der Nähe an einer Holzschnitzerbank mit seinen Briefmarken beschäftigt war.

Das Stück war Romeo und Julia, und Daffy spielte in einer bemerkenswerten Eine-Frau-Aufführung sämtliche Rollen. Eben war sie Julia auf dem Balkon (der Absatz oben auf unserer Westtreppe), im nächsten Moment erschien sie, obwohl sie kaum länger als einen Wimpernschlag weg gewesen war, unten im Rang als Romeo.

Sie flitzte hoch und runter, hoch und runter und bewegte unsere Herzen mit Worten von zärtlicher Liebe.

Ab und zu legte Dogger den Zeigefinger an die Lippen und

Mrs Mullet lachte und lachte über Julias alte Amme, wurde ganz rot und warf uns allen merkwürdige Blicke zu, als wäre in den Worten eine verklausulierte Nachricht verborgen, die nur sie verstand. Sie wischte sich mit einem getupften Taschentuch über das rote Gesicht, wrang es in den Händen hin und her, bis sie es zusammenknüllte und in den Mund steckte, um ihr hysterisches Lachen zu ersticken.

Jetzt beschrieb Daffy (als Mercutio), wie Mab, die Zauberfee, galoppiert:

Der Schönen Lippen, die von Küssen träumen -

Oft plagt die böse Mab mit Bläschen diese,

weil ihren Odem Näscherei verdarb.

Ich warf Feely einen verstohlenen Blick zu, die, trotz der Tatsache, dass ihre Lippen aussahen wie etwas, das man auf dem Karren eines Fischhändlers finden mochte, Neds Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte. Ned saß hinter ihr und beugte sich über ihre Schulter nach vorne, bat mit gespitzten Lippen um einen Kuss. Aber jedes Mal, wenn Daffy als Romeo vom Balkon in den Rang herabhuschte (wobei sie mit dem bleistiftdünnen Oberlippenbart eher wie David Niven in Irrtum im Jenseits als wie der noble Montague aussah), sprang Ned auf und klatschte frenetisch Beifall, begleitet von gellenden Pfiffen, die er mit zwei Fingern produzierte, während Feely ungerührt ein Pfefferminzbonbon nach dem anderen in den Mund warf und erst dann erstaunt die Luft anhielt, als Romeo in Julias Marmorgrab eindrang:

Denn hier liegt Julia: ihre Schönheit macht

Zur lichten Feierhalle dies Gewölb’.

Da lieg begraben, Tod …

Ich erwachte. Verdammt! Etwas rannte mir über die Füße: etwas Nasses und Pelziges.

»Dogger!«, versuchte ich zu schreien, aber mein Mund war voll. Mein Unterkiefer tat weh, und mein Kopf fühlte sich an, als wäre er gerade vom Henkersblock heruntergezogen worden.

Ich trat mit beiden Füßen aus, und etwas trippelte mit wütendem Zwitschern über das raschelnde Papier.

Eine Wasserratte. Wahrscheinlich wimmelte es in der Grube von ihnen. Hatten sie mich im Schlaf bereits angeknabbert? Allein der Gedanke ließ mich zusammenzucken.

Ich setzte mich mühevoll auf und lehnte mich wieder an die Wand, die Knie unters Kinn gezogen. Es war wohl zu viel erwartet, dass die Ratten meine Fesseln durchknabberten, so wie im Märchen. Eher würden sie mir die Fußgelenke bis zum Knochen abnagen, und ich würde nicht einmal etwas dagegen tun können.

Hör schon auf, Flave, dachte ich. Jetzt nicht die Fantasie mit dir durchgehen lassen.

In der Vergangenheit war es mir schon einige Male passiert, bei der Arbeit im Chemielabor etwa, oder auch abends im Bett, dass ich mich unverhofft bei dem Gedanken ertappte: »Du bist ganz allein mit Flavia de Luce«, was manchmal ein beunruhigender Gedanke war und manchmal nicht. Das in der Grube war eine der unheimlicheren Situationen.

Ich konnte das Trippeln deutlich hören: Etwas raschelte in der Ecke der Grube zwischen den Zeitungen herum. Wenn ich die Beine oder den Kopf bewegte, verstummten die Geräusche einen Augenblick, um kurz darauf wieder einzusetzen.

Wie lange hatte ich geschlafen? Waren es Stunden oder nur

Ich dachte daran, dass die Bücherei bis Dienstagmorgen geschlossen war, und heute war erst Montag. Ich konnte also noch eine ganze Weile hier unten sitzen.

Irgendwann würde mich jemand als vermisst melden, klar, höchstwahrscheinlich Dogger. Konnte ich wirklich darauf hoffen, dass er Pemberton beim unbefugten Betreten von Buckshaw erwischte? Aber selbst wenn er geschnappt wurde, hieß das noch lange nicht, dass ihnen Pemberton verriet, wo er mich versteckt hatte.