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Man konnte es seinem Gesicht ansehen, dass dem nicht so war.

»Dann muss sie ins Abflussrohr gerollt sein«, sagte ich. »Da ist so ein altes Rohr, das bis runter zum Fluss führt. Jemand muss sie dort nur rausfischen.«

Der arme Sergeant Graves!, dachte ich.

»Die Spritze hat Stanley aus der Tasche in Bonepennys Zimmer im Dreizehn Erpel gestohlen«, fügte ich ohne nachzudenken hinzu. Verdammt!

Der Inspektor schlug sofort zu.

»Woher weißt du, was sich in Bonepennys Zimmer befand?«, fragte er in scharfem Ton.

»Äh … dazu komme ich noch«, sagte ich. »Später. Stanley glaubte, dass Sie niemals irgendwelche Spuren von Tetrachlorkohlenstoff in Bonepennys Gehirn entdecken würden. Zum

Inspektor Hewitt zog sein Notizbuch heraus und kritzelte einige Worte hinein, zu denen, wie ich vermutete, auch der Begriff Tetrachlorkohlenstoff gehörte.

»Ich wusste gleich, dass es Tetrakohle ist, denn Bonepenny hat mir den letzten Rest davon mit seinem Todeshauch ins Gesicht geblasen«, sagte ich, rümpfte die Nase und machte ein entsprechendes Gesicht dazu.

Wenn man bei einem Inspektor sagen konnte, dass er ganz weiß im Gesicht wurde, dann wurde Inspektor Hewitt in diesem Moment ganz weiß im Gesicht.

»Bist du dir da sicher?«

»Aber klar. Bei Tetrachlorkohlenstoff kenne ich mich ganz gut aus.«

»Willst du mir damit sagen, dass Bonepenny noch lebte, als du ihn gefunden hast?«

»Gerade noch«, antwortete ich. »Er ist fast im gleichen Moment … ähm … dahingeschieden.«

Es folgte wieder eine lange, gruftartige Stille.

»Kommen Sie«, sagte ich, »ich zeige Ihnen, wie es gemacht wurde.«

Ich nahm einen gelben Bleistift in die Hand, spitzte ihn gut an und ging in die Ecke, wo das Skelett an seinen Drähten baumelte.

»Mein Großonkel Tarquin hat es von dem Zoologen Frank Buckland bekommen«, sagte ich und strich zärtlich über den Schädel. »Ich habe ihn Yorick getauft.«

Ich verriet dem Inspektor nicht, dass Buckland, in hohem Alter, Tar dieses Geschenk in Anbetracht seiner zu erwartenden großen Zukunft geschenkt hatte. »Der leuchtenden Zukunft der Wissenschaft«, hatte Buckland auf seine Karte geschrieben.

Ich hielt die Bleistiftspitze ans obere Ende der Wirbelsäule, schob den Stift langsam unter den Schädel und wiederholte dabei Pembertons Worte in der Garage:

»›Ein bisschen schräg ansetzen … dann durch splenius capitus und semispinalis capitis hinein, das Band zwischen Atlas und Axis anpieken, und dann die Nadel vorsichtig über das …«

»Vielen Dank, Flavia«, sagte der Inspektor abrupt. »Das reicht schon. Bist du ganz sicher, dass er das gesagt hat?«

»Genau das waren seine Worte«, antwortete ich. »Ich musste in Gray’s Anatomie für Medizinstudenten nachschlagen. In der Kinderenzyklopädie sind zwar viele Bildtafeln, aber nicht annähernd so viele Einzelheiten verzeichnet.«

Inspektor Hewitt rieb sich das Kinn.

»Dr. Darby findet bestimmt die Einstichstelle in Bonepennys Nacken«, sagte ich hilfsbereit. »Wenn er weiß, wo er nachsehen muss. Er könnte auch die Nebenhöhlen untersuchen. Tetrachlorkohlenstoff ist luftbeständig und dürfte, da der Mann ja nicht mehr geatmet hat, dort noch nachzuweisen sein. - Und außerdem«, fügte ich hinzu, »könnten Sie ihm sagen, dass Bonepenny, kurz bevor er sich zu seinem Spaziergang nach Buckshaw aufgemacht hat, im Dreizehn Erpel noch was getrunken hat.«

Der Inspektor sah immer noch verwirrt aus.

»Die Wirkung von Tetrachlorkohlenstoff wird durch Alkohol intensiviert«, erklärte ich.

»Und«, fragte er mit einem lässigen Lächeln, »hast du auch eine plausible Erklärung dafür, weshalb sich das Zeug immer noch in seinen Nebenhöhlen befinden sollte? Ich bin zwar kein Chemiker, aber soweit ich weiß, verflüchtigt sich Tetrachlorkohlenstoff sehr schnell.«

Ich hatte eine plausible Erklärung dafür, aber die wollte ich nicht unbedingt publik machen, schon gar nicht gegenüber der Polizei. Bonepenny hatte einen besonders üblen SchnupfenVale ins Gesicht hauchte, an mich weitergegeben hatte. Herzlichen Dank auch, Horace, dachte ich.

Ich vermutete, dass Bonepennys verstopfte Nasenhöhlen sehr wohl den injizierten Tetrachlorkohlenstoff, der in Wasser und demzufolge auch in Rotz unlöslich ist, aufgespeichert haben konnten. Obendrein hatte auch der Schnupfen das Einsaugen von Luft behindert.

»Nein«, sagte ich. »Aber Sie könnten ja veranlassen, dass das Labor in London den Test durchführt, der in der Britischen Pharmakopöe vorgeschlagen wird.«

»Ich müsste lügen, wenn ich mich an den so aus dem Stegreif erinnern sollte«, sagte Inspektor Hewitt.

»Eine sehr hübsche Prozedur«, sagte ich. »Man überprüft damit den Grenzwert von freiem Chlor, wenn Jod aus Kadmiumjodid gelöst wird. Damit sind Sie doch sicher vertraut. Ich würde Ihnen anbieten, es selbst durchzuführen, aber ich glaube nicht, dass Scotland Yard damit einverstanden wäre, Teile von Bonepennys Gehirn einer Elfjährigen auszuhändigen.«

Inspektor Hewitt wollte gar nicht mehr aufhören, mich anzustarren.

»Na schön«, sagte er schließlich. »Dann werfen wir jetzt mal einen Blick drauf.«

»Worauf denn?«, fragte ich und setzte meine gekränkte Unschuldsmiene auf.

»Auf das, was du getan hast. Schauen wir es uns mal an.«

»Aber … ich habe überhaupt nichts getan«, sagte ich. »Ich …«

»Verkauf mich nicht für dumm, Flavia. Niemand, der jemals das Vergnügen hatte, deine Bekanntschaft zu machen, würde jemals daran zweifeln, dass du deine Hausaufgaben gemacht hast.«

Ich grinste verlegen.

»Es ist hier drüben«, sagte ich und ging zu einem Ecktisch, auf dem ein Glasbehälter stand, der mit einem feuchten Geschirrhandtuch zugedeckt war.

Ich zog das Tuch weg.

»Herr im Himmel!«, entfuhr es dem Inspektor. »Was im Namen des …«

Er starrte den rosig grauen Klumpen an, der ruhig in dem Behälter schwamm.

»Das ist ein Stück Gehirn«, sagte ich. »Hab ich aus der Speisekammer geklaut. Mrs Mullet hat es gestern bei Carnforth gekauft. Für unser heutiges Abendessen. Sie wird bestimmt sehr wütend auf mich sein.«

»Und du hast …?«, fragte er und wedelte mit der Hand.

»Ja, ganz genau. Ich habe zwei einhalb Kubikzentimeter Tetrachlorkohlenstoff injiziert. Genauso viel, wie in Bonepennys Spritze passte.

Das menschliche Gehirn wiegt im Durchschnitt drei Pfund«, fuhr ich fort, »das des Mannes vielleicht ein bisschen mehr. Ich habe deshalb noch mal extra 150 Gramm abgeschnitten.«

»Woher weißt du das denn?«, fragte der Inspektor.

»Das steht in einem von Arthur Mees Büchern. Im Kinderlexikon, glaube ich.«

»Und du hast dieses … Gehirn auf die Nachweisbarkeit von Tetrachlorkohlenstoff hin getestet?«

»Ja. Aber erst fünfzehn Stunden, nachdem ich es eingespritzt hatte. Ungefähr so viel Zeit müsste zwischen dem Zeitpunkt, an dem es in Bonepennys Gehirn gespritzt wurde, und der Autopsie vergangen sein.«

»Und?«

»Immer noch ganz deutlich nachzuweisen«, sagte ich. »Ein Kinderspiel. Selbstverständlich habe ich P-Amino-Dimethylanilin benutzt. Das ist ein ziemlich neuer Test, aber sehr elegant. Stand ungefähr vor fünf Jahren in der Fachzeitschrift The Analyst. Ziehen Sie sich einen Hocker her, dann zeig ich’s Ihnen.«

»Ich glaube, das bringt eh nichts.« Inspektor Hewitt kicherte.

»Bringt nichts? Natürlich bringt es was. Ich habe es schon einmal gemacht.«

»Ich meine damit, dass du mich hier nicht mit deinem Laborkram durcheinanderbringen und dich ganz bequem um die Briefmarke herumdrücken kannst. Letztendlich geht es doch allein darum, oder nicht?«