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»Glaub ja nicht, dass du einfach so davonkommst«, sagte sie leise.

»Hä?« Verwirrte Unschuld war meine Spezialität.

»Was für einen Hexentrank hast du in ihren Lippenstift gemischt?«

»Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du sprichst«, sagte ich.

»Sieh dich bloß mal im Spiegel an«, sagte Daffy. »Und pass auf, dass er nicht zerspringt.«

Ich drehte mich um und ging langsam zum Kamin, wo ein beschlagenes Überbleibsel aus dem Regency betrübt über dem Sims hing und das Zimmer widerspiegelte.

Ich beugte mich näher heran und musterte mein Spiegelbild. Zuerst sah ich lediglich mein gewöhnliches brillantes Ich, meine hellblauen Augen, meinen blassen Teint, aber als ich länger hinschaute, fielen mir weitere Einzelheiten an dem übel zugerichteten quecksilbrigen Abbild meiner selbst auf.

Da war ein Fleck an meinem Hals. Ein feurig roter Fleck! An der Stelle, an der Feely mich geküsst hatte!

Ich stieß einen gequälten Schrei aus. »Feely hat gesagt, sie hätte dir alles heimgezahlt, kaum dass sie fünf Sekunden in der Grube gewesen ist.«

Noch ehe Daffy sich wieder auf den Bauch gerollt und ihrer blöden Mantel-und-Degen-Geschichte zugewandt hatte, hatte mein neuer Plan Gestalt angenommen.

Einmal, als ich ungefähr neun war, führte ich Tagebuch darüber, wie es war, eine de Luce zu sein, oder zumindest diese eine besondere de Luce. Ich dachte viel darüber nach, wie ich mich dabei fühlte und kam schließlich zu dem Schluss, dass Flavia de Luce zu sein in etwa so war wie ein Sublimat zu sein: wie der schwarze kristalline Rest, den die violetten Joddämpfe auf dem kalten Glas eines Reagenzglases zurücklassen. Damals hielt ich das für die perfekte Beschreibung, und während der vergangenen zwei Jahre ist nichts passiert, was mich dazu gebracht hätte, meine Meinung zu ändern.

Wie bereits gesagt, den de Luces fehlt etwas. Irgendeine chemische Verbindung oder auch der Mangel daran fesselt ihre Zungen, sobald sie Gefahr laufen, Zuneigung zu jemandem zu

Den Beweis dafür hatte Feely geliefert, als sie mir mein Tagebuch stahl, das Metallschloss mit einem Büchsenöffner aus der Küche aufbrach und dann laut daraus vorlas, wobei sie sich in den Kleidern, die sie der Vogelscheuche unseres Nachbarn gestohlen hatte, oben auf die große Treppe stellte.

Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf, als ich mich Vaters Arbeitszimmer näherte. Davor blieb ich stehen, weil ich nicht genau wusste, ob ich meinen Plan wirklich umsetzen wollte.

Dann klopfte ich unsicher an die Tür. Es dauerte sehr lange, bis Vaters Stimme »Herein« sagte.

Ich drehte den Türknauf und trat ein. Vater saß am Tisch neben dem Fenster und schaute kurz von seinem Vergrößerungsglas auf, dann wandte er sich wieder der Betrachtung einer magentaroten Marke zu.

»Darf ich was sagen?«, fragte ich, wobei mir bewusst wurde, dass es eine merkwürdige Frage war. Trotzdem schienen mir diese Worte die einzig richtigen zu sein.

Vater legte das Glas auf den Tisch, nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. Er sah müde aus.

Ich fasste in meine Tasche und zog ein Stück blaues Schreibpapier heraus, in das ich den Rächer von Ulster eingeschlagen hatte. Ganz langsam, wie ein Bittsteller, ging ich auf ihn zu, legte das Papier auf den Schreibtisch und trat wieder zurück.

Vater faltete es auf.

»Herr der Gerechten!«, sagte er. »Das ist ja A A!«

Er setzte die Brille wieder auf, nahm seine Juwelierlupe zur Hand und betrachtete die Briefmarke ganz genau.

Jetzt, dachte ich, bekomme ich meine Belohnung. Ich konzentrierte

»Wo hast du die her?«, fragte er schließlich mit dieser sanften Stimme, die den Zuhörer wie einen Schmetterling auf eine Nadel spießt.

»Gefunden«, antwortete ich.

Vaters Blick war militärisch, unerbittlich.

»Bonepenny muss sie verloren haben«, sagte ich. »Sie ist für dich.«

Vater studierte mein Gesicht, wie ein Astronom eine Supernova studiert.

»Das ist sehr anständig von dir, Flavia«, sagte er schließlich mit einiger Anstrengung.

Und gab mir den Rächer von Ulster wieder zurück.

»Aber du musst sie seinem rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben.«

»König Georg?«

Vater nickte. Ich fand, dass er dabei ein bisschen traurig aussah.

»Ich weiß nicht, wie die Marke in deinen Besitz gekommen ist, und ich möchte es auch nicht wissen. Nachdem du allein so weit gekommen bist, solltest du es auch allein zu Ende bringen.«

»Inspektor Hewitt will, dass ich sie ihm gebe.«

Vater schüttelte den Kopf.

»Das ist nett von ihm«, sagte er, »aber auch typisch Behörde. Nein, Flavia, die gute alte AA hier ist schon durch zu viele Hände gegangen, einige davon waren sauber, die meisten leider schmutzig. Du musst dafür sorgen, dass sich die deinen als die würdigsten von allen erweisen.«

»Aber wie schreibt man denn dem König?«

»Ich zweifle nicht daran, dass du Mittel und Wege finden wirst«, sagte Vater. »Und mach bitte die Tür zu, wenn du gehst.«

»Miss Flavia«, sagte er, lüftete den Hut und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn.

»Wie adressiert man eigentlich einen Brief an den König?«, fragte ich.

Dogger lehnte die Schaufel vorsichtig ans Gewächshaus.

»Theoretisch oder tatsächlich?«

»Tatsächlich.«

»Hmmm«, machte er. »Ich glaube, da schaue ich besser irgendwo nach.«

»Halt«, sagte ich. »Mrs Mullets Hundert Alltagsfragen und Antworten für den anspruchsvollen Haushalt. Sie hat das Buch in der Speisekammer.«

»Sie ist eben zum Einkaufen ins Dorf gegangen«, sagte Dogger. »Wenn wir uns beeilen, kommen wir vielleicht mit dem Leben davon.«

Kurz darauf drängten wir uns in die Speisekammer.

»Hier ist es«, sagte ich aufgeregt, als ich das Buch in meinen Händen aufklappte. »Aber warte … das hier ist schon vor sechzig Jahren erschienen. Stimmen die Angaben da überhaupt noch?«

»Aber sicher«, meinte Dogger. »Im Königshaus ändern sich die Dinge nicht so schnell wie bei unsereinem. Ist wohl auch besser so.«

Der Salon war leer. Daffy und Feely trieben sich irgendwo anders herum, wo sie höchstwahrscheinlich ihren nächsten Angriff planten.

Ich fand ein anständiges Blatt Papier in einer Schublade, tauchte die Feder ins Tintenfass und schrieb mir die Anrede aus Mrs Mullets fettfleckigem Buch ab, wobei ich versuchte, so schön wie möglich zu schreiben:

Königliche Hoheit,

Euer allergnädigste Majestät,

Anbei findet Ihr einen Gegenstand von beträchtlichem

Wert, der Eurer Majestät gehört und in diesem Jahr

gestohlen wurde. Wie er in meine Hände geraten ist

(eine hübsche Redewendung, fand ich), ist weiter un

wichtig, aber ich kann Eurer Majestät versichern,

dass der Verbrecher festgenommen wurde.

»Gefasst«, sagte Dogger, der mir über die Schulter schaute.

Ich verbesserte es.

»Was noch?«

»Nichts«, sagte Dogger. »Nur noch unterschreiben. Könige bevorzugen Knappheit.«

Ganz vorsichtig, um ja keinen Flecken auf das Papier zu machen, schrieb ich das Briefende ab:

Ich verbleibe in tiefster Verehrung als

Euer Majestät treueste Untertanin

Flavia de Luce (Miss)

»Perfekt«, sagte Dogger.

Ich faltete den Brief sorgfältig und fuhr die Falte extra mit dem Daumen nach. Dann schob ich ihn in einen von Vaters besten Umschlägen und schrieb die Adresse drauf:

Seine Königliche Hoheit König Georg VI.

Buckingham Palace, London S.W.I.