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Da Oliver Zeve keine schlagfertige Antwort einfiel, wandte er sich wieder den Verpflegungskörben zu. Aber er murmelte vor sich hin: »Mord in Monticello. Großer Gott.«

9

Auf der Rückfahrt nach Crozet in Mrs. Hogendobbers Falcon - Mrs. Murphy lag erschöpft auf Harrys Schoß und Tucker schlief voll­kommen erschöpft auf dem Rücksitz - rotierten Harrys Gedanken wie ein Elektromixer.

»Ich warte.«

»Hm?«

»Harry, ich kenne Sie von klein auf.« Mrs. Hogendobber tippte sich an die Schläfe. »Was ist los?«

»Oliver. Er hat früher in einer Werbeagentur gearbeitet. Sie wissen schon, das sind diese Leute, die es so hinbiegen können, daß Sher­mans Marsch wie unbefugtes Betreten aussieht.«

»Ich kann seine Situation verstehen. Ich glaube nicht, daß sie so schlimm ist, wie er denkt. Aber ich bin ja auch nicht dafür verant­wortlich, daß genug Geld da ist, um die Rechnung für das neue Dach von Monticello zu bezahlen. Er muß an den Ruf des Projektes den­ken.«

»Also, an der Mulberry Row ist ein Mann ermordet worden. Er hat­te Geld in den Taschen; ich wüßte gern, wieviel es nach heutigen Maßstäben war.«

»Kimball wird es ausrechnen.«

»Er trug einen breiten goldenen Ring. Er war keineswegs ärmlich. Was hat er bloß in Medley Orions Hütte gemacht?«

»Ein Kleid für seine Frau abgeholt.«

»Oder was Schlimmeres.« Harry runzelte die Stirn.

»Deswegen ist Oliver so außer sich. Ein Sklave hätte keine Bro­katweste oder einen goldenen Ring am Finger gehabt. Das Opfer war weiß und wohlhabend. Wenn ich mir darüber Gedanken mache, wer­den es andere auch tun, sobald über die Geschichte berichtet wird.«

»Und das wird bald sein, nehme ich an.«

»Mim wird kochen vor Wut.« Harry mußte lächeln.

»Sie weiß es schon«, klärte Mrs. Hogendobber sie auf.

»Verdammt, Sie wissen wirklich über alles Bescheid.«

»Nein, über jeden.« Mrs. H. lächelte. »Kimball hat es erwähnt, als ich ihm, natürlich hinter vorgehaltener Hand, gesagt habe, daß man es Mim sagen muß.«

»Oh.« Harry unterbrach sich, dann kam sie in Fahrt: »Also, ich meine, wenn ich an weiße Männer in Sklavinnenhütten denke, dann denken auch andere daran. Das Opfer muß es nicht unbedingt mit Medley getrieben haben, aber wer weiß? Die Leute urteilen vor­schnell. Und damit wird der ganze Schlamassel mit Sally Hemings wieder aufgewärmt. Armer Thomas Jefferson. Man wird das wohl nie auf sich beruhen lassen.«

»Seine sogenannte Affäre mit der schönen Sklavin Sally war eine Erfindung der Föderalisten. Sie haben ihn gehaßt und gefürchtet. Sie wollten unter allen Umständen verhindern, daß Jefferson Präsident wurde. An der Geschichte ist kein wahres Wort.«

Harry, die sich da nicht so sicher war, überlegte weiter: »Komisch, nicht? Ein Mann wurde vor hundertneunzig Jahren ermordet, falls es 1803 geschah, und wir sind darüber beunruhigt. Es ist wie ein Echo aus der Vergangenheit.«

»Ja.« Miranda runzelte die Stirn. »Weil es etwas Entsetzliches ist, wenn ein Mensch einen anderen ermordet. Wer diesen Mann getötet hat, hat ihn gekannt. War es Haß? Liebe? Liebe, die in Haß um­schlug? Angst vor einer Strafe? Was kann jemanden dazu getrieben haben, diesen Mann zu töten, der mächtig gewesen sein muß? Eins kann ich Ihnen sagen.«

»Was?«

»Der Teufel hat seine Krallen in beide geschlagen, in den Mörder und in das Opfer.«

10

»Ich hab's Marilyn Sanburne ja gesagt, bei ihrem Mulberry-Row- Projekt kommt nichts Gutes heraus.« Angewidert warf Wesley Ran­dolph die Morgenzeitung auf den Eßtisch. Der Kaffee in der Royal- Doulton-Tasse schwappte bedenklich. Wesley hatte soeben den Fundbericht, dem offensichtlich Oliver Zeves Erklärung zugrunde lag, zu Ende gelesen. »Schlafende Hunde soll man nicht wecken«, brummte er.

»Reg dich ab«, sagte Ansley mit schleppender Stimme. Sie hatte sich amüsiert, wenn ihr Schwiegervater seine Ahnentafel herunterbe­tete, damals, als Warren ihr den Hof machte, aber nach achtzehn Ehejahren konnte sie sie genauso gut aufsagen wie Wesley. Ihre beiden Söhne Breton und Stuart, vierzehn und sechzehn Jahre alt, kannten sie ebenfalls auswendig. Sie hatte Wesleys ewige Vergan­genheits-Verklärung satt.

Warren nahm die Zeitung, die sein Vater hingeworfen hatte, und las den Artikel.

»Big Daddy, man hat in einer Sklavenhütte ein Skelett ausgegra­ben. Vermutlich mehr Staub als Knochen. Ich finde, Oliver Zeve hat eine vernünftige Presseerklärung abgegeben.>Das Interesse wird einen Tag lang anschwellen und dann abflauen. Wenn dir die Sache so am Herzen liegt, geh dich doch selbst vom Drang des Irdischen überzeugend«. Ansley lächelte müde, als sie ausHamlet zitierte.

Warren war immer noch empfänglich für Ansleys Schönheit, aber er spürte ihre Abneigung gegen ihn. Sie zeigte sie natürlich nicht offen. Taktvoll, wie sie war, wahrte Ansley, was ihren Mann anging, die strengen Regeln des Anstands. »Du nimmst die Geschichte nicht ernst genug, Ansley.« Er wollte seinem alten Herrn mit dieser Äuße­rung einen Gefallen tun.

»Mein Lieber, Geschichte interessiert mich nicht im geringsten. Das Gestern ist tot. Ich lebe heute, und ich will morgen leben - und was unsere Familie für Monticello spendet, kommt dem Heute zugu­te. Auf daß wir zum Gedeihen der größten Attraktion von Albemarle beitragen!«

Wesley schüttelte den Kopf. »Durch diese archäologischen Arbei­ten in den Dienstbotenquartieren« - er blies seine roten Backen auf - »werden die Leute aufgewiegelt. Als nächstes wird noch eine Ver­sammlung von Negern. «

»Afroamerikanern«, säuselte Ansley.

»Ist mir scheißegal, wie du sie nennst!« sagte Wesley aggressiv. »Ich finde, daß>farbig< immer noch die höflichste Bezeichnung ist! Wie auch immer du sie nennst, sie werden sich organisieren, sie werden unter einer Terrasse in Monticello kampieren, und ehe man sich's versieht, werden sie Jefferson seine sämtlichen Leistungen streitig machen. Sie werden behaupten,sie hätten sie vollbracht.«

»Aber sie haben die meiste Arbeit geleistet, das steht fest. Hatte er nicht an die zweihundert Sklaven auf seinen diversen Besitztümern?« Während Ansley ihren Schwiegervater mit diesen Worten provozier­te, hielt Warren den Atem an.

»Kommt sehr drauf an, in welchem Jahr«, fauchte Wesley. »Woher weißt du das überhaupt?«

»Aus Mims Vortrag.«

»Mim Sanburne ist die größte Nervensäge, die diese Gegend seit dem 17. Jahrhundert heimgesucht hat. In kürzester Zeit wird man Jefferson besudelt, in den Schmutz gezogen, zum Schurken gemacht haben. Mim und ihre Mulberry Row! Sie soll nicht an die Dienstbo­tenfrage rühren! Verdammt, ich wünschte, ich hätte ihr nie einen Scheck gegeben.«

»Aber das ist doch ein Teil der Geschichte.« Ansley genoß die Auseinandersetzung.

»Welcher Geschichte?«

»Der Geschichte von Amerika, Big Daddy.«

»Ach, Scheiße!« Er warf ihr einen wütenden Blick zu, dann lachte er. Sie war der einzige Mensch in seinem Leben, der es wagte, sich mit ihm anzulegen - und das gefiel ihm.

Warren, dessen schlechte Laune in Langeweile umgeschlagen war, trank seinen Orangensaft und nahm sich den Sportteil vor.

Wesley zog die buschigen Augenbrauen zusammen. »Und wie ist deine Meinung?«

»Hm?«

»Warren. Big Daddy möchte wissen, was du von der Sache mit der Leiche in Monticello hältst.« »Ich - äh - was soll ich sagen? Hoffen wir, daß diese Entdeckung uns helfen wird, das Leben in Monticello, die Strapazen und die Nöte der damaligen Zeit besser zu verstehen.«

»Wir sind nicht deine Wählerschaft. Ich bin dein Vater!

Willst du etwa bestreiten, daß eine Leiche im Garten oder, verflixt, wo war das noch mal« - er griff nach der Titelseite, um nachzusehen -, »daß eine Leiche in Hütte Nummer vier eine schlechte Nachricht ist?«