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Die grüne Kuppel von Montalto am nördlichen Ende von Carter's Ridge verschwand immer wieder aus dem Blick. Tiefhängende Wol­ken krochen durch das Flachland und stiegen jetzt, da die Sonne herauskam, langsam höher.

Mim bewunderte Thomas Jefferson. Sie las begierig alles, was er geschrieben hatte und was andere über ihn verfaßt hatten. Sie wußte, daß er Montalto am 14. Oktober 1777 gekauft hatte. Jefferson hatte mehrere Entwürfe für ein Observatorium gezeichnet, das er auf Mon­talto bauen wollte. Er war voller Ideen, er zeichnete ohne Ende. Oft erinnerte er sich noch Jahre später an alte Entwürfe, die er dann fer­tigstellte. Er brauchte wenig Schlaf, so daß er mehr vollbringen konnte als die meisten anderen Menschen.

Mim, die süchtig nach Schlaf war, fragte sich, wie er das durchhal­ten konnte. Vielleicht hatte er mit seinen Projekten die Einsamkeit bekämpfen wollen und sich deshalb um fünf Uhr morgens an den Schreibtisch gesetzt. Oder vielleicht waren seine Gedanken so schnell gerast, daß sie sich nicht abschalten ließen - und er hatte beschlossen, sie dann lieber kreativ einzusetzen. Andere Männer wären vielleicht herumgestreunt und hätten sich Ärger eingehandelt.

Nicht, daß Jefferson nicht auch seine Portion Ärger oder Kummer zuteil geworden wäre. Sein Vater starb, als Thomas vierzehn war. Seine geliebte freche ältere Schwester Jane starb, als er zweiund­zwanzig war. Seine Frau starb am 6. September 1782, als er neun­undzwanzig war, nachdem er sie in den vier letzten qualvollen Mo­naten ihres Lebens zu Hause gepflegt hatte. Nach ihrem Tod zog er sich drei Wochen in sein Zimmer zurück. Danach machte er stunden- und tagelange Ausritte, als könnte sein Pferd ihn forttragen vom Tod, von der Last seines erdrückenden Schmerzes.

Mim war, als würde sie diesen Mann kennen. Ihre Sorgen waren nicht mit Jeffersons Kummer zu vergleichen, dennoch hatte sie das Gefühl, seine Verluste verstehen zu können. Sie verstand seine Lei­denschaft für Architektur und Landschaftsgestaltung. Das mit der Politik war für sie schon schwerer zu verstehen. Als Gattin des Bür­germeisters von Crozet schüttelte sie allen Bewohnern der Gemeinde die Hand, bewirtete sie, lächelte ihnen zu. und alle wollten etwas von ihr.

Wie konnte dieser hochintelligente Mann sich einem so undankba­ren Beruf widmen?

Eine Tonprobe im Hintergrund weckte sie aus ihrem Tagtraum. Little Marilyn holte ihrer Mutter einen Spiegel. Mim musterte sich kritisch. Nicht schlecht. Sie räusperte sich. Als ein Produktionsassi­stent auf sie zukam, stand sie auf.

Mim, Kimball und Oliver sollten in der überregionalen Vormittags­show>Wake-up Call< über die Leiche diskutieren.

Mim solle alle Anspielungen auf Rassenmischung übergehen, hatte Samson Coles ihr am Telefon gesagt. Als sie Wesley Randolph an­rief, hatte er ihr geraten, nachdrücklich darauf hinzuweisen, daß Jef­ferson zur Todeszeit des Unglücklichen vermutlich in Washington war. Als Mim sagte, sie müßten vielleicht den Pathologiebericht aus Washington abwarten, hatte ihr Rivale und Freund mißbilligend ge­sagt: »Warten? Auf keinen Fall. Bloß nicht aufrichtig sein, Mim. Hier geht es um Politik, auch wenn sie Jahrhunderte zurückliegt. In der Politik werden deine Tugenden gegen dich verwendet. Es gibt eine private Moral und eine öffentliche Moral. Das versuche ich Warren immer wieder klarzumachen. Ansley versteht es, aber mein Sohn gewiß nicht. Du kannst denen sagen, was du willst, solange es sich gut anhört - und denk dran: Angriff ist die beste Verteidigung.«

Mim, die gelassen bei den hinter der Kamera aufgestellten Schein­werfern stand, beobachtete Kimball Haynes, der auf die Fundstelle der Leiche deutete.

Little Marilyn beobachtete den Monitor. Ein Foto von dem Skelett erschien auf dem Bildschirm. »Das ist ungehörig«, wütete Mim. »Man soll eine Leiche nicht vorzeigen, bevor die nächsten Angehö­rigen verständigt sind.«

Eine Hand ergriff ihren Arm und führte sie zu ihrer Markierung. Der Tontechniker befestigte ein winziges Mikrophon am Kragen ihres Kaschmirpullovers. Sie warf ihre Jacke ab. Ihre dreireihige Kette aus edlen Perlen lag schimmernd auf dem jagdgrünen Pullover.

Der Talkmaster glitt zu ihr herüber, ließ sein berühmtes Lächeln aufblitzen und streckte die rechte Hand aus. »Mrs. Sanburne, Kyle Kottner mein Name, ich freue mich sehr, daß Sie heute morgen bei uns sein können.«

Er hielt inne, lauschte auf seine Kopfhörer und drehte sich zu der Kamera mit dem roten Licht. »Ich habe hier jetzt Mrs. James San­burne, die Präsidentin der Freunde der Restauration und die treibende Kraft bei dem Mulberry-Row-Projekt. Mrs. Sanburne, erzählen Sie uns vom Leben der Sklaven zur Zeit Thomas Jeffersons.«

»Mr. Jefferson nannte seine Leute Dienstboten. Viele von ihnen wurden von Familienangehörigen geschätzt, und unter dem Personal gab es zahlreiche äußerst tüchtige Leute. Jeffersons Dienstboten hingen an ihm, weil er an ihnen hing.«

»Aber ist das nicht ein Widerspruch, Mrs. Sanburne, daß einer der Väter der Freiheit Sklaven hielt?«

Mim, die sich gut vorbereitet hatte, gab sich ernst und nachdenk­lich. »Mr. Kottner, als Thomas Jefferson vor dem Unabhängigkeits­krieg als junger Mann im Abgeordnetenhaus war, sagte er, er habe sich um die Freilassung der Sklaven bemüht, sei aber damit geschei­tert. Ich glaube, der Krieg hat ihn von diesem Thema abgelenkt. Wie Sie wissen, wurde er nach Frankreich geschickt, wo seine Anwesen­heit für unsere Kriegsanstrengungen unerläßlich war. Frankreich war der beste Freund, den wir damals hatten.« Kyle wollte sie unterbre­chen, aber Mim lächelte strahlend. »Und nach dem Krieg standen die Amerikaner vor der gewaltigen Aufgabe, eine neue, andere Regie­rung zu bilden. Wäre Jefferson später geboren worden, ich glaube, er hätte dieses heikle Problem erfolgreich angepackt.«

Erstaunt, weil eine Frau aus einem Ort, den er mit dem Styx gleich­setzte, sich ihm überlegen zeigte, sprang Kyle zu einem anderen Thema über. »Haben Sie eine Theorie, was die Leiche von Hütte Nummer vier betrifft?«

»Ja. Ich glaube, der Mann war ein leidenschaftlicher Gegner Jeffer­sons. Was man heute einen Verfolger nennen würde. Und ich glaube, ein Bediensteter hat ihn getötet, um das Leben des großen Mannes zu schützen.«

Ein Tumult brach aus. Alle fingen auf einmal an zu reden. Mim un­terdrückte ein Lächeln.

Harry, Mrs. Hogendobber, Susan und Market sahen sich die Sen­dung in dem tragbaren Fernsehapparat an, den Susan mit ins Postamt gebracht hatte. Mrs. Murphy, Tucker und Pewter glotzten ebenfalls in die Röhre.

»Aalglatt.« Harry klatschte bewundernd in die Hände.

»Ein Verfolger! Woher hat sie das bloß?« Market kratzte sich an seinem kahl werdenden Kopf.

»Aus der Zeitung«, antwortete Susan. »Das muß man ihr lassen, sie hat die ganze Sklavenfrage umgekrempelt. Sie hat den Interviewer gelenkt statt umgekehrt. Bis die Wahrheit ans Licht kommt, wenn überhaupt, führt Mim die Medien an der Nase herum.«

»Die Wahrheit wird ans Licht kommen«, sagte Miranda im Brust­ton der Überzeugung. »Das tut sie immer.«

Pewters Schnurrhaare zuckten vor und zurück.»Hat zufällig je­mand einen glasierten Doughnut? Ich hab Hunger.«

»Nein«, antwortete Tucker.»Pewter, du hast keinen Sinn für myste­riöse Geschichten.«

»Das ist nicht wahr«, verteidigte sie sich.»Aber ich kriege Mim täglich live zu sehen. Sie auch noch im Fernsehen zu erleben ist doch nichts Besonderes.« Pewter, die von Mrs. Murphy eine schlagfertige Erwiderung erwartete, war enttäuscht, als keine kam.»Auf welchem Planeten bist du gerade?«