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»Paddy, komm mit rein. Harry mag dich.«

»Ja, mach, daß du hier rauskommst, du Nichtsnutz«, rief Simon vom Heuboden herunter.

Die Eule steckte den Kopf unter ihrem Flügel hervor, dann zog sie ihn wieder zurück. Sie beteiligte sich selten an den Gesprächen der anderen Tiere, da sie die Nachtschicht schob.

Der Hund sprang voraus.

Der befrackte Kater und die getigerte Katze schlenderten gemäch­lich zur Haustür. Es schickte sich nicht, sich allzu aufgeregt zu zei­gen.

»Wünschst du dir manchmal, wir wären noch zusammen?« fragte Paddy.»Ich schon.«

»Paddy, die Beziehung mit dir war wie Dünger für meine Charak­terfehler.« Ihr Schwanz schnellte in die Senkrechte, als Harry ihren Namen rief.

»Heißt das, daß du mich nicht leiden kannst?«

»Nein, es heißt, daß ich mich in der damaligen Situation nicht lei­den konnte. Komm jetzt, Abendessen.«

20

Die zwei oberen Stockwerke von Monticello, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren, dienten dem langbeinigen Kimball Haynes als Refugium und Arbeitszimmer. Die wertvollen Jefferson- Dokumente befanden sich größtenteils in der Raritätenabteilung der Alderman-Bibliothek in der Universität von Virginia, in der Kon­greßbibliothek sowie der Virginia-Staatsbibliothek in Richmond. Monticello selbst verfügte nur über eine bescheidene Bibliothek.

Zu Kimballs Vergnügungen gehörte es, in dem rechteckigen Raum über dem Gewächshaus zu sitzen, das die achteckige Bibliothek mit Jeffersons privatem Studierzimmer verband. Hier hatte Kimball sich einen bequemen Ohrensessel hingestellt und eine Privatbibliothek eingerichtet, die unter anderem Kopien von Berichten enthielt, die Jefferson oder seine weißen Angestellten eigenhändig verfaßt hatten. Er vertiefte sich in Kontobücher, Gästebücher und Wetterberichte des Jahres 1803. Da jenes Jahr mit Jeffersons erster Amtsperiode als Präsident zusammenfiel, hatte es der große Mann bei den Aufzeich­nungen an Sorgfalt fehlen lassen. Erbsen, Tomaten und Mais waren angebaut worden wie immer. An einer Kutsche war eine Achse ge­brochen. Die Reparatur war teuer. Das Vieh erforderte ständige Pfle­ge. Ein Gast, der im November in einem Zimmer im zweiten Stock untergebracht gewesen war, hatte sich beklagt, daß er schrecklich fror. Die Beschwerde war berechtigt, denn dort oben gab es keine Kamine.

Zu fortgeschrittener Stunde hörte Kimball das erste Zirpen des Frühlings. Er liebte diese Laute mehr als Mozartklänge. Er blätterte in den Kopien, die von der Erde an seinen Händen schon ganz schwarz waren. Eingefressener Schmutz gehörte zum Berufsrisiko eines Archäologen. Er arbeitete seit Jahren mit diesen Papieren, und in die Sammlung seltener Bücher der Universität von Virginia begab er sich nur, wenn er seine Hände geschrubbt hatte, bis sie sich roh anfühlten.

Nachdem er sich eingehend mit den Zahlen befaßt hatte, ließ Kim­ball die Blätter auf den Boden fallen und lehnte sich in dem alten Sessel zurück. Er schwenkte ein Bein über eine Armlehne. Fakten, Fakten, Fakten und nicht ein einziger Hinweis. Wer immer in Hütte Nummer vier vergraben worden war, ein Händler war es nicht. Ein Kesselflicker, Stellmacher, Frischfischlieferant oder auch ein Juwe­lier hätte nicht so kostbare Kleider getragen.

Es war der Leichnam eines vornehmen Herrn. Der derselben Ge­sellschaftsklasse angehörte wie der Präsident. 1803.

Nun wußte Kimball zwar, daß das nicht das Todesjahr des Mannes sein mußte, aber ungefähr stimmte die Zeit. Was sich in jenem Jahr politisch ereignet hatte, mochte mit dem Mord in Zusammenhang stehen, aber Kimballs Menschenkenntnis sagte ihm, daß die Men­schen in Amerika sich selten aus politischen Gründen umbrachten. Morde hatten persönlichere Motive.

Er wußte von einem Skandal im Jahr 1802, der Jefferson ins Mark getroffen hatte. John Walker, mit dem er von Kind an befreundet war, hatte Jefferson beschuldigt, seiner Frau Avancen gemacht zu haben. John Walker zufolge hatte die Affäre 1768 begonnen, als Jefferson noch nicht verheiratet war. Walker behauptete aber, sie habe bis 1779 angedauert, bis sieben Jahre nach Jeffersons Hochzeit mit Martha Wayles Skeleton am 1. Januar 1772. Das Kuriose an diesem Skandal war, daß Mrs. Walker erst nach 1784, als Jefferson in Frankreich war, beschloß, ihren Mann mit der Enthüllung ihrer Untreue zu belasten.

Kimball wußte auch, daß Jefferson und Walker nach Jeffersons Rückkehr aus Frankreich politisch getrennte Wege gegangen waren. Harry Lee von der leichten Kavallerie, der Vater von Robert E. Lee, hatte sich später erboten, zwischen den zwei einstigen Freunden zu vermitteln. Da Harry Lee Thomas Jefferson verabscheute, stand das Ergebnis dieser Bemühungen von vornherein fest. Die Lage ver­schlimmerte sich, als James Thomas Callender, eine boshafte Klatschbase, die Flammen schürte. Zu dieser Zeit wurden die infa­men Behauptungen, Jefferson schlafe mit seiner Sklavin Sally, in Umlauf gesetzt.

Bis zum Januar 1805 war dieses Gerücht so weit verbreitet, daß das New-England Palladium sich veranlaßt sah, Jeffersons Moral in aller Deutlichkeit in Frage zu stellen. Offensichtlich sei Mr. Jefferson am Wert der Familie nicht gelegen.

Es flogen die Fetzen. Es gibt kaum einen stärkeren Cocktail als die Mixtur aus Politik und Sex. Die Getränke gingen im wahrsten Sinne des Wortes auf Kosten des Hauses. Der Kongreß suhlte sich im Klatsch. Daran hat sich bis heute nichts geändert, dachte Kimball.

Irgendwann gab Jefferson zu, Mrs. Walker umworben zu haben, was die Sache noch undurchsichtiger machte. Als echter Gentleman nahm Jefferson alle Schuld an der Affäre auf sich, die, wie er beton­te, vor seiner Heirat stattgefunden habe. Damals mußte ein Mann sich zur Schande bekennen, egal, was tatsächlich passiert war. Gab er der Dame die Schuld, war er kein Mann.

Wegen seiner ehrenhaften Haltung ließen sogar Jeffersons politi­sche Feinde ihm die Affäre durchgehen. Alle sahen sie ihm nach, ausgenommen John Walker. Erst als Walker auf seinem Gut Belvoir in Keswick im Sterben lag, räumte er ein, daß Jefferson ebenso Op­fer der Sünde wie Sünder war. Aber da war es zu spät.

Die Sally-Hemings-Geschichte indes hatte dem Präsidenten ge­schadet. Ein Weißer, der mit einer Schwarzen schlief - das stellte ein besonders mysteriöses Rätsel dar. So etwas durfte ein Gentleman nicht zugeben. Es hätte seine Ehefrau zugrunde gerichtet und endlose Witze über ihn entstehen lassen. Ein einziges rothaariges afroameri­kanisches Kind in Monticello, und schon waren die Puppen am Tan­zen. Ein buchstäblicher Schuß ins Schwarze. Das kleine Wortspiel war in den frühen 1800er Jahren von Maine bis South Carolina ver­breitet. Oh, wie müssen sie in den Wirtshäusern gelacht haben. »Ein Schuß ins Schwarze.«

Es war dem Fall Jefferson nicht eben förderlich, daß in Monticello tatsächlich einige hellhäutige Afroamerikaner zur Welt kamen, die eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Master hatten. Allerdings war Thomas, wie Kimball wußte, nicht der einzige Mann weit und breit, in dessen Adern Jefferson-Blut floß.

Wenn nun ein Vetter eine Affäre mit Sally gehabt hätte? Dem ari­stokratischen Ehrenkodex verpflichtet, hätte Jefferson trotzdem schweigen müssen, sonst hätte er der Ehefrau des Lebemannes un­endliches Leid zugefügt. Ein Gentleman hat eine Dame immer zu schützen, ungeachtet, in welcher Beziehung er zu ihr steht. Ein Gentleman konnte sich auch bemühen, eine farbige Dame zu schüt­zen, indem er schwieg, ihr Geld gab und andere Gefälligkeiten er­wies. Schweigen war das Schlüsselwort.

Eines war gewiß: Wenn der Master mit einer Sklavin schlafen wollte, hatte die Frau keine andere Wahl, als ja zu sagen. Aus dieser Wahrheit kam das lyrische Herzeleid, von dem schwarze Frauen von einer Generation zur anderen sangen. Auch weißen Frauen brach es das Herz.