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Vielleicht hätte damals ein wohlhabender Mensch bei einem so hef­tigen Gewitter eine Kerze angezündet, um es sich im Zimmer etwas heimeliger zu machen. Ein Feuer hätte im Kamin zu kämpfen gehabt, weil trotz des Rauchfangs starker Abwind von oben drückte. Aber ein wenig Licht und Heiterkeit hätten den Raum erfüllt, und ver­schreckten Kindern konnte man Geschichten von den nordischen und griechischen Göttern erzählen. Von Thor, der seinen gewaltigen Hammer warf, oder von Zeus, der einen Blitzstrahl auf die Erde schleuderte wie einen blauen Speer.

»Wie mag es bei so einem Gewitter in Hütte Nummer vier gewesen sein?« fragte sich Kimball. Die Tür wäre geschlossen gewesen. Viel­leicht hatte Medley Kerzen gehabt. Man hatte zwar keine Spur davon in ihrer Hütte gefunden, aber bei anderen Ausgrabungen war man auf Talgkerzen gestoßen, und die Schmiede und die Tischlerei hatten für die Männer, die nach dem Dunkelwerden dort arbeiteten, bestimmt welche gehabt. Die Feuerstellen in den Dienstbotenquartieren waren nicht so ausgeklügelt konstruiert gewesen wie die Kamine im Her­renhaus. Regen und Wind waren durch die Rauchabzüge hinabge­strömt und hatten Staub und Unrat durch das Zimmer geweht. Med­ley hatte wenigstens einen Holzfußboden gehabt. Manche Hütten hatten nur gestampfte Lehmböden gehabt, so daß die Füße morgens, wenn es kalt war, auf gefrorene Erde getreten waren. Vielleicht wäre Medley Orion in einer solchen Nacht ins Bett gekrochen und hätte sich die Decke über den Kopf gezogen.

Kimball arbeitete fieberhaft, um Einzelheiten von Medleys Leben zusammenzufügen. Dies war eine andere Art von Archäologie. Je mehr er über die Frau erführe, desto näher würde er einer Lösung kommen, dachte er. Dann überlegte er hin und her und fragte sich, ob sie wohl unschuldig gewesen war. Jemand war in ihrer Hütte umge­bracht worden, aber vielleicht hatte sie nichts davon gewußt. Nein. Unmöglich. Die Leiche mußte nachts vergraben worden sein. Sie hatte es gewußt, das stand fest.

Der Regen umhüllte Monticello wie ein wirbelnder Silbervorhang. Kimball, der dankbar war, daß er die Zeit hatte, dazusitzen und zu sinnieren - das Männerwort für träumen -, wußte, daß er weitersu­chen mußte. Ihm war klargeworden, daß er den Rat einer oder meh­rerer Freundinnen brauchte. Verglichen mit Männern, mordeten Frauen selten. Was mochte eine Sklavin dazu getrieben haben, einen Mann zu töten, noch dazu einen weißen?

23

Von dem Ernst ihres Unterfangens erfüllt, hatte Mim Lucinda Coles, Miranda Hogendobber, Port Haffner und Ellie Wood Baxter eingela­den, dazu Susan Tucker und Mary Minor Haristeen von der jüngeren Generation. Little Marilyn, sozusagen die Gesellschaftspriesterin, war ebenfalls da, um Mim zu helfen. Ansley Randolph wäre auch eingeladen worden, aber das schickte sich nicht, weil Wesley Ran­dolph noch keine drei Tage unter der Erde lag.

Kimball Haynes hatte um Unterstützung gebeten, weil er finanziell in Verlegenheit war. War er auch politisch nicht so gerissen wie Oli­ver, so besaß er doch eine gewisse Schläue. Ohne sie bringt man es nicht weit in dieser Welt. Nach der Regennacht in Monticello hatte er es für die klügste Taktik gehalten, sich an Mim Sanburne zu wenden. Schließlich war auch sie berührt von dem, was sich in Monticello abspielte. Sie konnte Geld aus Steinen pressen. Sie lehnte keine noch so schwierige Aufgabe ab. Sie kannte alle Welt, und das war mehr wert, als alles zu wissen. Obendrein genoß Mim es, im Mittelpunkt zu stehen.

Mim war hellauf begeistert, als Kimball sich telefonisch mit ihr verabredete, weil er meinte, sie halte den Schlüssel zur Lösung des Problems in der Hand. Er betonte, sie habe einen tiefen Einblick in die weibliche Denkweise. Da war's um sie geschehen. Wenn Mim schon einen tiefen Einblick in die weibliche Denkweise hatte, sollten auch ihre Freundinnen davon erfahren. Je eher, desto besser.

Obwohl Mim wütend auf Samson war, hegte sie keine feindseligen Gefühle gegen Lulu, abgesehen davon, daß sie es ihr verübelte, mit­ten im Beerdigungsgottesdienst die Beherrschung verloren zu haben. Andererseits fühlte Mim eine Art Seelenverwandtschaft mit Lucinda, da sie überzeugt war, daß Samson nichts Gutes im Schilde führe. Mim wäre allerdings durchaus imstande, Lucinda zu benutzen, um Samson zur Vernunft zu bringen, wenn sich die Gelegenheit böte. Sie würde abwarten und Tee trinken.

Kaviar, gehackte Eier und Zwiebeln, frischer Lachs, elf verschie­dene Sorten Käse und Cracker, Karottenscheiben, mit Frischkäse gefüllte Zuckerschoten, knackiger Blumenkohl und Endiviensalat mit Speckstückchen dienten als Magenöffner, wie Mim sich ausdrückte. Alle waren schwer beeindruckt von diesem Mittagsmahl. Mim hatte ein göttliches Rezept für Hummerravioli aufgetan, die so köstlich waren, daß keine der Anwesenden ein Wort über ihre Diät verlor. Rucola und ein Stückchen Melone boten dem Gaumen den richtigen Kontrast. Wer ein megakalorienreiches Dessert wollte, konnte einen Himbeerbecher mit Vanillesahnesoße schlemmen, und für Schokoladenfans gab es die bewährte Schokoladentorte.

Mim hatte das Obst von New York City einfliegen lassen, wo sie bei einem superschicken Delikatessengeschäft ein Kundenkonto hatte. Am Ende schwebten alle im siebten Himmel. Für diejenigen, die nach dem Essen einen Wiederbelebungstrunk benötigten, stand eine ganze Reihe Schnäpse bereit.

Susan wählte einen trockenen Sherry. Sie erklärte, der rauhe Wind sei ihr in die Knochen gefahren. Irgendwer mußte ja den Sturm auf die Kristallkaraffen auf den Silbertabletts eröffnen. Lucinda wäre eher gestorben, als daß sie als erste dem Alkohol zugesprochen hätte, deshalb befand Susan, daß sie Lulu jetzt quasi das Leben retten muß­te. Miranda lehnte Alkohol ab, ebenso Harry und Ellie Wood, die siebzig und kerngesund war.

»Ich fühle mich immer wohl mit vollem Bauch.« Mrs. Hogendob­ber ließ sich von dem Hausmädchen in schwarzem Kleid mit gestärk­ter weißer Schürze und Häubchen eine Tasse siedendheißen Kaffee servieren.

»Mim, du hast dich selbst übertroffen! Auf dein Wohl!« Lulu hob ihr Glas; die anderen Damen und Kimball taten es ihr nach oder klopften mit ihren Löffeln an die Cartier-Porzellantassen.

»Aber das war doch ein Kinderspiel.« Mim freute sich über die Anerkennung. Für sie mochte es ein Kinderspiel gewesen sein, aber die Köchin hatte es fast umgebracht. Es war natürlich auch für Mim kein Kinderspiel, aber indem sie ihre Leistung herunterspielte, mehr­te sie ihren sagenhaften Ruf. Sie wußte, nicht eine Dame hier im Raum hätte ein solches Mittagessen zustande gebracht, schon gar nicht in letzter Minute.

»Ansley ist ganz apathisch vor Kummer.« Port, eine von Mims gu­ten Freundinnen, hielt inne, als das Mädchen ihr einen Kognak von der Farbe dunklen Topases reichte.

»Ist das wahr?« Ellie Wood beugte sich vor. »Ich hatte keine Ah­nung, daß sie Wesley so gern hatte. Ich dachte, sie hätten sich die meiste Zeit in der Wolle gehabt.«

»Hatten sie auch«, bestätigte Port forsch. »Sie ist apathisch vor Kummer, weil sie zu Hause bleiben mußte. Ich mußte ihr schwören, daß ich sie gleich anrufe, wenn wir hier fertig sind, und ihr alles be­richte, auch was wir anhatten.«

»Ach du liebe Zeit«, stieß Harry freimütig hervor.

Miranda kam ihr zu Hilfe. »Sie haben Ihre Jugend, Harry, und Ju­gend braucht keinen Schmuck.« Harry machte sich nichts aus Mode. Wenn sie eine wichtige Verabredung hatte, zwängten Susan und Miranda sie in ein angemessenes Outfit. Wenn Harry meinte, sich schick machen zu müssen, bügelte sie eine Falte in ihre Levi's 501.

»Ich weiß nicht«, frotzelte Susan über ihre ehemalige Schulkame­radin. »Wir sind über dreißig.«