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»Wenn du vorne hinausschleichst, geh ich zum Stall und lenke sie ab. Beeil dich!« Sie gab ihm einen schnellen Kuß. Sie konnte seine Absätze hören, als er über den Hartholzboden zur Haustür schritt. Ansley ging zur Hintertür.

Harry, die viel langsamer war als ihre vierbeinigen Gefährtinnen, war gerade bei dem Friedhof auf dem Hügel angekommen. Ansley erreichte den Stall, bevor Harry sie sah.

»Was hat sie in Blairs Haus gemacht?« fragte Tucker.

Mrs. Murphy blieb stehen, um Ansley zu beobachten.»Knallrot im Gesicht. Sie ist aufgeregt, und wir wissen, daß sie nicht hier ist, um Silber zu stehlen. Sie hat selber Unmengen davon.«

»Und wenn sie eine Kleptomanin ist?« Tucker legte den Kopf schief, als Ansley zu ihnen kam.

»Nee. Aber du könntest sie mal beschnuppern.«

»Tag, Mrs. Murphy. Hallo, Tucker«, rief Ansley den Tieren zu.

»Ansley, was machst du hier?« fragte Tucker, während sie sich mit der Nase an Ansleys Fesseln heranpirschte.

Ansley winkte Harry zu, die zurückwinkte. Dann bückte sie sich, um Tuckers große Ohren zu kraulen.

Harry lächelte diplomatisch. »Hallo, wie nett, daß man sich hier trifft.«

»Warren hat mich hergeschickt, ich soll mir Blairs Kreiselheuer mal ansehen. Er sagt, er möchte sich einen zulegen, und vielleicht will Blair ihn ja verkaufen.«

Ein Kreiselheuer wendet das Heu zum Trocknen und kann zwei Schwaden zu einem verwirbeln, damit man es leichter zu Ballen pressen kann. Drei oder vier kleine Metallräder werden von einem Traktor gezogen.

»Ich dachte, ihr rollt euer Heu.« »Warren sagt, er ist es leid, auf den Feldern auf riesige Rollen Wei­zenschrot zu gucken, und die Mitte ist immer verschwendet. Er will wieder Ballen pressen.«

»Noch ist es ja nicht soweit«, sagte Harry.

Ansley senkte die Stimme. »Er plant jetzt schon das Thanksgiving- Essen für die Familie. Ich denke, das kommt von seiner Trauer. Wenn er nämlich alles plant, kann nichts schiefgehen, er hat die Kontrolle über die Realität - obwohl man meinen sollte, davon hätte er bei seinem Vater genug gehabt.«

»Es braucht Zeit.« Harry wußte das. Sie hatte vor einigen Jahren beide Eltern verloren.

Mrs. Murphy, die sich auf den Hintern gesetzt hatte, stand auf und trabte zum Haus. »Sielügt.«

»Da hast du recht.« Der Hund legte einen Moment die Ohren an, dann folgte er ihr.»Laß uns herumschnüffeln.«

Die zwei Tiere kamen zur Hintertür. Die Nase dicht am Boden, schnupperte Tucker angestrengt. Mrs. Murphy verließ sich ebenso­sehr auf ihre Augen wie auf ihre Nase.

Tucker nahm die Witterung mühelos auf.»Ich rieche Samson Co­les.«

»Das ist es also.« Mrs. Murphy spazierte zwischen den Tulpen herum. Sie liebte das Gefühl, wenn die Stengel ihr Fell streiften.»Sie muß sich ja unendlich langweilen.«

27

Die Ruhe in Eagle's Rest ging Ansley auf die Nerven. Sie bereute, gesagt zu haben, daß sie die laute Musik der Jungen nicht vertragen konnte. So unerträglich die auch war, sie war immer noch besser als diese Stille.

Um sieben Uhr abends waren die Söhne gewöhnlich in ihren Zim­mern und lernten. Daß Breton und Stuart bei dem Lärm arbeiten konnten, faszinierte Ansley. Sie überboten sich gegenseitig mit den Dezibeln der diversen Bands. Am Ende hatte sie es so geregelt, daß Stuart in der ersten Lernstunde von sechs bis sieben seine Musik spielen durfte. Bretons Lieblingsbands kamen dann von sieben bis acht zum Zug.

Ansley und Warren überwachten die Einhaltung dieser sogenannten Studierzeiten. Breton und Stuart erzielten gute Noten, aber Ansley meinte, sie müßten wissen, wie wichtig ihre schulischen Leistungen auch für ihre Eltern waren, daher die Überwachung. Ansley sagte oft zu ihnen: »Wir haben unsere Arbeit zu tun, und ihr habt eure Schul­arbeit.«

Als sie die Stille schließlich nicht mehr ertrug, stieg Ansley die Wendeltreppe zum oberen Flur hinauf. Sie warf einen Blick in Bre­tons Zimmer. Dann ging sie in Stuarts Zimmer. Ihr Ältester saß an seinem Schreibtisch. Breton hockte im Schneidersitz auf Stuarts Bett. Bretons Augen waren gerötet. Ansley sah darüber hinweg.

»Hallo, Jungs.«

»Hi, Mom«, antworteten sie einstimmig.

»Ist was?«

»Nein.« Wieder einstimmig.

»Oh.« Pause. »Irgendwie komisch ohne Big Daddy, der wegen eu­rer Musik rumbrüllt, was?«

»Er kommt nie wieder.« Breton atmete stockend. »Ich kann's nicht glauben, daß er nie wiederkommt. Zuerst war es, als wäre er einfach nur in Urlaub gefahren, weißt du?«

»Ich weiß«, sagte Ansley mitfühlend.

Stuart, der normalerweise eine schlechte Haltung hatte, setzte sich zur Abwechslung gerade. »Wißt ihr noch, wie wir unsere Familien­geschichte aufgesagt haben?« Er imitierte die Stimme seines Großva­ters: »Der erste Randolph, der seinen Fuß in die Neue Welt setzte, war ein Kamerad von Sir Walter Raleigh. Er ist in die alte Heimat zurückgekehrt. Sein Sohn, den die Geschichten über die Neue Welt angestachelt hatten, kam 1632 herüber, und so sproß ein Zweig unse­res Stammbaums diesseits des Atlantiks. Er hatte seine Braut mitge­bracht, Jemima Hessletine. Ihr erstgeborenes Kind, Nancy Randolph, starb im Winter 1634 im Alter von sechs Monaten; das zweitgebore­ne, Raleigh Randolph, hat überlebt. Von diesem Sohn stammen wir ab.«

Ansley verschlug es vor Staunen den Atem. »Wort für Wort.«

Stuart lächelte matt. »Mom, wir haben es so gut wie jeden Tag ge­hört.«

»Ja. Ich wollte, ich könnte ihn noch mal hören - dabei finde ich diesen ganzen Stammbaumquatsch fürchterlich.«

Wieder schossen Breton Tränen in die Augen. »Wen interessiert das schon?«

Ansley setzte sich neben Breton und legte ihm den Arm um die Schultern. Ihr war, als hätte er abgenommen, seit sie ihn das letzte Mal umarmt hatte. »Mein Herz, wenn du älter wirst, wirst du diese Dinge zu schätzen wissen.«

»Warum nehmen das alle so wichtig?« fragte Breton unschuldig.

»Aus guter Familie zu sein ist in diesem Leben von Vorteil. Es öff­net einem viele Türen. Das Leben ist so schon schwer genug, Breton, also sei dankbar für diese Gnade.«

»Geh nach Montana«, riet Stuart ihm. »Da kümmert sich kein Mensch um so was. Deswegen hat Big Daddy wohl den Westen nie gemocht. Weil er sich nicht allen gegenüber als Boß aufspielen konnte.«

Ansley seufzte. »Wesley war gern der dickste Frosch im Teich.«

Breton sah seine Mutter an. »Mom, machst du dir was aus diesem Abstammungsquatsch?«

»Sagen wir's mal so: Lieber haben und nicht brauchen als brauchen und nicht haben.«

Als sie das verdaut hatten, stellte Breton noch eine Frage: »Mom, ist es immer so, wenn jemand gestorben ist?«

»Wenn es jemand war, den man geliebt hat, ja.«

28

Medley Orion hatte Monticello während der allgemeinen Konfusion nach Thomas Jeffersons Tod im Jahre 1826 verlassen. Kimball ver­brauchte auf den kurvigen Landstraßen einen Tank Benzin nach dem anderen, immer auf der Suche nach Stammbäumen, Sklavenlisten, irgendwas, das ihm weiterhelfen konnte. In den guterhaltenen Tage­büchern von Tinton Venable waren einige Hinweise auf Medleys Geschick als Näherin aufgetaucht.

Gefesselt von dem Mordfall und von Medley selbst, war Kimball sogar zur Kongreßbibliothek gefahren, um die Aufzeichnungen von Dr. William Thornton und seiner in Frankreich geborenen Ehefrau durchzulesen. Thornton verstand sich wie Jefferson als Universalta­lent. Jefferson hatte reinrassige Pferde gezüchtet, das Kapitol und das Oktagonhaus in Washington, D. C. entworfen, war ein eingefleisch­ter Föderalist gewesen und hatte die Zerstörung Washingtons im Jahre 1814 überlebt. Seine Bemühungen, während dieses Großbran­des die Stadt zu retten, hatten zu einer erbitterten Feindschaft zwi­schen ihm und dem Bürgermeister von Washington geführt. Thorn­tons Ehefrau Anna Maria ließ stündlich sein Lob erschallen wie eine zeitgenau eingestellte Kirchenglocke. Als sie 1802 in Monticello zu Besuch war, schrieb sie: »Das ganze Haus hat eher etwas Grandio­ses, Erhabenes denn Komfortables. Eine Stätte, die man lieber hin und wieder betrachten statt bewohnen möchte.«