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Vor sechs Monaten wäre es ihr nicht in den Sinn gekommen, der Posthalterin zu helfen. Aber Mim hatte ein neues Kapitel in ihrem Leben aufgeschlagen. Sie wollte wärmer, gütiger, großzügiger sein. Es war nicht leicht, über Nacht eine Lebensweise abzuschütteln, die man sechs Jahrzehnte gepflegt hatte. Den Grund dieser Kehrtwen­dung bewahrte sie im wahrsten Sinne des Wortes in ihrer Brust. Sie hatte Larry Johnson zu einer Routineuntersuchung aufgesucht. Er hatte einen Knoten gefunden. Larry, die Diskretion in Person, ver­sprach, es nicht einmal Jim zu sagen. Mim war nach New York City geflogen und hatte sich im Columbia-Presbyterian-Krankenhaus operieren lassen. Sie hatte allen erzählt, sie mache ihre halbjährliche Einkaufstour. Da sie jedes Frühjahr und jeden Herbst nach New York flog, genügte diese Erklärung. Der Knoten wurde entfernt, er war bösartig. Immerhin war die Krankheit rechtzeitig erkannt wor­den. Mims Körper zeigte keine weiteren Anzeichen von Krebs. In­zwischen sind die Behandlungsmethoden recht gut, und Mim war nach einer Woche wieder zu Hause, und da sie tatsächlich einige Einkäufe getätigt hatte, ahnte niemand etwas. Bis Jim mal ins Bade­zimmer kam, als sie in der Wanne saß. Sie erzählte ihm alles. Er schluchzte. Das erschütterte sie dermaßen, daß sie auch schluchzte. Sie begriff immer noch nicht, wie ihr Mann ihr chronisch untreu sein und sie gleichzeitig so lieben konnte, aber daß er sie liebte, das wuß­te sie jetzt. Sie beschloß, ihm nicht mehr böse zu sein. Sie beschloß sogar, bei gesellschaftlichen Anlässen nicht weiter so zu tun, als hätte er kein Faible für andere Frauen. Er war, wie er war, und sie war, wie sie war, aber sie konnte sich ändern, und sie gab sich Mühe. Ob Jim sich ändern wollte, war seine Sache.

»Erde an Mrs. Sanburne - wo sind Sie mit Ihren Gedanken?« fragte Harry laut.

»Was? Oh, ich war wohl gerade auf einem anderen Stern.«

»Wir wollen Kimball helfen, die Korrespondenz und Aufzeichnun­gen von Jeffersons Kindern und Enkelkindern durchzulesen«, erklär­te Harry ihr.

»Ich lese mit links«, sagte Miranda. »Oh, das klingt irgendwie ver­kehrt, was?«

Nach dem Essen begleitete Lucinda Mim zu ihrem silbersandfarbe­nen Bentley Turbo R - eine sensationelle Neuerwerbung. Lulu ent­schuldigte sich zum zweiten Mal überschwenglich für ihren Aus­bruch während Wesleys Trauerfeier. Nach dem Mittagessen bei Mim hatte sie ihre Gastgeberin nur so mit Entschuldigungen überschüttet. Sie hatte auch bei Reverend Jones gebeichtet, aber er erteilte ihr die Absolution und war überzeugt, daß die Randolphs ihr auch vergeben würden, wenn sie sich entschuldigte. Das tat sie. Mim hörte ihr zu. Lulu fuhr fort, sich zu entschuldigen. Es war, als hätte sie die erste Olive aus dem Glas gefummelt, worauf alle anderen herauspurzelten. Sie sagte, sie hätte geglaubt, an Samson das Parfüm einer anderen Frau zu riechen. Sie sei gereizt gewesen. Später habe sie in seinem Badezimmer eine neue Flasche Safari von Ralph Lauren gefunden.

»Heutzutage kann man Herren- und Damenparfüm nicht mehr au­seinanderhalten«, sagte Mim. »Es gibt keinen Unterschied mehr. Die füllen die Ingredienzien in verschiedene Flaschen, erfinden männlich klingende Namen und fertig. Was wäre wohl, wenn ein Mann Da­menparfüm benutzen würde? Ob ihm über Nacht Brüste wachsen würden?« Sie lachte über ihren eigenen Scherz.

Lulu lachte auch. »Komisch, das Schlimmste für einen Mann ist es, wenn man ihn als weibisch beschimpft, und doch behaupten die Männer, uns zu lieben.«

Mim zog die rechte Augenbraue hoch. »So habe ich das noch nie gesehen.«

»Ich sehe eine ganze Menge.« Lulu seufzte. »Ich bin so was von mißtrauisch. Ich weiß, daß er mich betrügt. Ich weiß bloß nicht, mit

wem.«

Mim schloß ihren Wagen auf, blieb einen Moment stehen und drehte sich um. »Lucinda, ich weiß nicht, ob es überhaupt so wichtig ist. Die ganze Stadt weiß, daß mein Jim über Jahre seine kleinen Amouren hatte.«

»Mim, ich wollte keine alten Wunden aufreißen«, stammelte Lulu aufrichtig zerknirscht.

»Vergiß es. Ich bin älter als du. Es trifft mich nicht mehr so sehr, oder es trifft mich anders. Aber laß dir eins gesagt sein: Manche Männer sind Fechtmeister. Das ist das einzige Wort, das mir dafür einfällt. Sie rasseln mit dem Säbel. Sie brauchen Verfolgung und Eroberung, um sich lebendig zu fühlen. Es wiederholt sich, aber aus einem mir unerfindlichen Grund langweilt sie die Wiederholung nicht. Ich schätze, es gibt ihnen das Gefühl, jung und stark zu sein. Das heißt nicht, daß Samson dich nicht liebt.«

Tränen schimmerten in Lucindas grünen Augen. »Ach, Mim, wenn das doch nur wahr wäre, aber so ein Mann ist Samson nicht. Wenn er eine Affäre hat, dann ist es etwas Ernstes und er liebt die Frau.«

Mim wartete mit der Antwort. »Meine Liebe, das einzige, was du tun kannst, ist, dich um dich selbst kümmern.«

30

»Wenn Sie sich noch eine Zigarette anzünden, muß ich mir auch eine ins Gesicht stecken«, witzelte Deputy Cynthia Cooper.

»Da.« Sheriff Shaw warf ihr sein Päckchen Chesterfield zu. Sie fing es mit der linken Hand auf. »Gut gehalten«, sagte er.

Sie klopfte mit ihrem langen, eleganten Finger auf das Päckchen, und eine schlanke weiße Zigarette glitt heraus. Cynthia klimperte mit den Wimpern, als sie das schwere Tabakaroma einatmete. Dieses üble Kraut, die Geißel der Lungen, diese Droge, das Nikotin, aber oh, wie es die Nerven beruhigte und wie es half, die Schatzkammern des wunderbaren Staates Virginia zu füllen. »Verdammt, ich liebe das Zeug.«

»Glauben Sie, daß wir jung sterben?«

»Jung?« Cynthia zog die Augenbrauen hoch. Rick mußte lachen, schließlich war er schon in den mittleren Jahren.

»He, Sie wollen doch eines Tages noch weiter befördert werden, oder, Deputy?«

»Der reinste Kindskopf, dieser Rick Shaw.« Sie steckte sich die Zi­garette in den Mund und zündete sie mit einem Redbud-Streichholz an.

Sie inhalierten in seligem Schweigen; der blaue Dunst wand sich zur Decke wie ein losgelassener Flaschengeist.

»Coop, was halten Sie von Oliver Zeve?«

»Er hat das Ergebnis aufgenommen, wie ich es erwartet hatte. Mit einem nervösen Zucken.«

Rick grunzte. »Seine Presseerklärung war ein Muster an Zurückhal­tung. Aber nichts, absolut nichts wird Big Marilyn Sanburne von ihrer Verfolger-Theorie abbringen. Die Frau ist gut. Sie ist wirklich gut.« Rick schätzte ihre Sachkenntnis, obwohl er Mim nicht leiden konnte. »Ich ruf sie am besten gleich an.«

»Eine gute Taktik, Boß.«

Rick rief in der Villa der Sanburnes an. Der Butler holte Mim. »Mrs. Sanburne, hier spricht Rick Shaw.«

»Ja, Sheriff?«

»Ich möchte Ihnen den Bericht aus Washington durchgeben, betreffs der menschlichen Überreste, die in Monticello gefunden wurden.« Er hörte ein rasches Einatmen. »Es handelt sich um das Skelett einer weißen männlichen Person, zwischen 32 und 35 Jahren alt. Gesundheitszustand gut. Der linke Oberschenkelknochen ist in der Kindheit gebrochen gewesen und verheilt. Möglicherweise hat das Opfer leicht gehinkt. Das Opfer war 1,77m groß, was zwar bei weitem nicht an Jeffersons 1,93m heranreichte, aber für damalige Verhältnisse dürfte es trotzdem groß gewesen sein; nach der Kno­chendichte zu urteilen, war der Mann vermutlich kräftig gebaut. Es gibt keine Degenerationserscheinungen an den Knochen, und er hatte sehr gute Zähne. Er wurde durch einen kräftigen Schlag auf den Hin­terkopf getötet. Das Tatwerkzeug konnte noch nicht bestimmt wer­den. Der Tod ist höchstwahrscheinlich auf der Stelle eingetreten.«

Mim fragte: »Woher weiß man, daß der Mann ein Weißer war?«

»Wissen Sie, Mrs. Sanburne, die Bestimmung der Rasse anhand von Knochenresten kann tatsächlich manchmal etwas knifflig sein. Menschen weisen untereinander mehr Ähnlichkeiten als Unterschie­de auf. Die Rassen haben mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen. Man könnte sagen, daß Rasse mehr mit Kultur zu tun hat als mit körperlichen Merkmalen. Wie dem auch sei, die forensische For­schung beginnt mit der Bestimmung der Knochenstruktur und der Skelettproportionen, unter besonderer Berücksichtigung der Ausprä­gung der Wangenknochen, sodann untersucht man die Breite der Nasenöffnung und Form und Abstand der Augenhöhlen. Ein weiterer Faktor ist das Vorstehen des Kiefers. Der Kiefer eines Weißen zum Beispiel steht im allgemeinen nicht so weit vor wie der eines Schwarzen. Das Vorstehen des Ober- und Unterkiefers bei Menschen afrikanischen Ursprungs wird in der Fachwelt als Prognatie oder Progenie bezeichnet. Bei vielen Skeletten von Weißen findet sich außerdem eine zusätzliche Naht im Schädel, die vom oberen Teil des Nasenbogens bis zum Scheitel verläuft. Noch aufschlußreicher ist vielleicht der Krümmungsgrad der langen Knochen, insbesondere der Oberschenkelknochen. Skelette von Weißen weisen normalerweise eine größere Krümmung am Oberschenkelhals auf.«