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»Ich für mein Teil würde das urkomisch finden. Ich möchte wissen, ob Jefferson die Vorstellung gefallen würde, daß sein Heim ein Mu­seum ist. Ich wette, ein Haus voller Kinder, Lachen, zerbrochenem Geschirr und verwohnten Möbeln wäre ihm lieber.«

»Ihm schon, aber die Amerikaner brauchen Heiligtümer. Sie wollen sehen, wie ihre großen Männer gelebt haben. Sie hatten kein fließen­des Wasser im Haus, und im Winter war die einzige Heizung der Kamin. Es gab keine Waschmaschinen, Kühlschränke, Öfen, Fernse­her.«

»Das mit dem Fernseher wäre heute allerdings ein Segen«, sagte Mrs. Murphy voller Verachtung.

»Kein Telefon, kein Telegraf, kein Fax, keine Autos, keine Flugzeu­ge...«

»Klingt immer besser.« Die Katze schmiegte sich an den Hund.

»Alles still bis auf die Naturgeräusche. Denk nur, die Menschen ha­ben sich tatsächlich hingesetzt und richtig miteinander geredet. Sie waren darauf angewiesen, sich gegenseitig mit ihren Konversations­künsten zu unterhalten. Und was machen die Leute heute? Sie sitzen im Wohnzimmer - ist das nicht ein dämliches Wort? Jedes Zimmer ist doch zum Wohnen da. Da hocken sie vor dem Fernseher, und wenn sie sich unterhalten, müssen sie gegen die blöde Glotze anre­den.«

»Ach, Mrs. Murphy, ganz so barbarisch können sie doch nicht sein.«

»Hmpf«, erwiderte die Katze. Sie sah das Menschentier nicht als Krone der Schöpfung.

Tucker kratzte sich am Ohr.»Ich bin erstaunt, daß du dich so in Geschichte auskennst.«

»Ich hör zu und hör mich um. Ich kenne die Geschichte der Menschheit und unsere Geschichte, und wie man 's auch dreht und wendet, ich bin eine Amerikatze.«

»Und da drüben ist ein Ameristinktier.« Tucker lief zur Eingangs­tür, die gerade weit genug offenstand, daß sie sich hineinzwängen konnte, während ein dickes Stinktier am Rasenrand sich in der ent­gegengesetzten Richtung davonmachte.

Mrs. Murphy folgte ihr. Die zwei rannten zu der schmalen Stiege hinter dem Zimmer, dasNorth Square Room< genannt wurde, schwenkten nach links und sprangen hinauf zu Kimballs provisori­schem Arbeitszimmer.

Harry, Mrs. Hogendobber und Kimball tränten die Augen. Sie hat­ten so viele Unterlagen gesichtet, wie sie konnten. Martha Jefferson, die Tochter des zukünftigen Präsidenten, hatte am 23. Februar 1790 Thomas Mann Randolph geheiratet. Aus dieser Ehe waren zwölf Kinder hervorgegangen; elf von ihnen hatten das Erwachsenenalter erreicht, und die meisten waren uralt geworden. Das letzte, Virginia Jefferson Randolph, geboren 1801, war 1882 gestorben. Marthas Kinder hatten ihrerseits fünfunddreißig Nachkommen hervorge­bracht. Maria, Marthas Schwester, hatte durch ihren Sohn Francis Eppes, der zweimal verheiratet war, dreizehn Enkelkinder, so daß deren Generation achtundvierzig Häupter zählte. Auch sie waren fruchtbar und mehrten sich - aber nicht alle hatten Nachwuchs. Eini­ge hatten nie geheiratet, dennoch waren die Abkömmlinge insgesamt zahlreich.

Mrs. Hogendobber rieb sich die Nase. »Es ist, als würden wir eine Nadel in einem Heuhaufen suchen.«

»Aber welche Nadel?« warf Harry ein.

»Und in welchem Heuhaufen? Martha oder Maria?« Auch Kimball war am Rande der Erschöpfung.

»Irgend jemand muß sich doch über Medley oder ihr Kind geäußert haben.« Harry sah ihre Freundinnen hereinkommen. »Was habt ihr zwei denn getrieben?«

»Wir hatten eine geschichtliche Besprechung«, antwortete Mrs. Murphy.

»Ja, sehr tiefschürfend.« Tucker ließ sich vor die Füße ihrer Mutter fallen.

»Die traurige Wahrheit ist, daß Schwarze damals offenbar nicht erwähnenswert waren.« Mrs. Hogendobber schüttelte den Kopf.

»Es gibt aber reichlich Hinweise auf Jupiter, Jeffersons Leibwäch­ter, und auf King, Sally und Betsey Hemings - die Liste ließe sich ewig fortsetzen. Medley dagegen kommt bloß in einer Fußnote vor.« Kimball zog an seiner Unterlippe, eine alte Angewohnheit von ihm, wenn er angestrengt nachdachte. »Was ist mit Madison Hemings? Er muß eine Sensation ausgelöst haben. Thomas Jeffersons Ebenbild - aber mit dunkelbrauner Hautfarbe. Er hat die Gäste beim Essen be­dient. Wetten, er hat ihnen einen ordentlichen Schrecken eingejagt?« Harry fragte sich, wie es auf die Leute gewirkt haben mußte, einen jungen Mulatten in Livree zu sehen, in dem unverkennbar das Blut des Präsidenten floß.

»Er war 1805 geboren, und als alter Mann behauptete er, Jeffersons Sohn zu sein. Er sagte, Sally, seine Mutter, hätte es ihm erzählt.« Kimball sprang auf. »Aber das war vielleicht bloß der Wunsch, im Mittelpunkt zu stehen. Und Jefferson hatte massenhaft männliche Verwandte, von denen jeder einzelne dazu imstande gewesen wäre, mit Sally oder ihrer hübschen Schwester Betsey zu schlafen. Und wie steht es mit den anderen weißen Beschäftigten auf der Planta­ge?«

»Thomas Jefferson Randolph, Marthas ältester Sohn, der von 1792 bis 1875 lebte, behauptete, Sally sei Peter Carrs bevorzugte Geliebte und Sallys Schwester Betsey die Geliebte von Sam Carr gewesen. Peter und Sam waren Jeffersons Neffen, die Söhne von Dabney Carr und Martha Jeffersons jüngerer Schwester. Und wild wie die Ratten waren sie, die zwei.« Kimball lächelte bei der Vorstellung eines schwarzen Harems mit einem einzigen weißen Sultan, oder in diesem Fall mit zweien.

»Ob Sally und Betsey das wohl so großartig fanden?« Harry konnte sich diese Frage nicht verkneifen.

»Hm« - Kimball blinzelte - »naja, vielleicht nicht, aber, Harry, erotische Phantasien gehören nun mal zum Leben eines Mannes. Ich meine, wir alle sehen uns in unserer Vorstellung gerne in den Armen einer schönen Frau.«

»Ja, ja«, brummte Harry. »Gegen die Phantasie ist nichts einzu­wenden, aber gegen das Tun, wenn man verheiratet ist. Aber naja, diese Debatte ist uralt.« »Ich verstehe, was Sie meinen«, lenkte Kimball ein.

»Und wer hat mit Medley geschlafen?« Mrs. Murphy schlug mit dem Schwanz.»Wenn sie wirklich so hübsch war, wie von ihr be­hauptet wird, wird sie doch sicher dem einen oder anderen weißen Mann den Kopf verdreht haben.«

Kimball bewunderte Mrs. Murphy. »Wie laut sie schnurrt.«

Tucker wackelte mit ihrem Schwanz, in der Hoffnung, beachtet zu werden.»Du solltest sie mal rülpsen hören.«

»Eifersüchtig«, stellte Mrs. Hogendobber lakonisch fest.

»Sie hat dich durchschaut, Stummelchen«, neckte Mrs. Murphy ih­re Freundin, die nicht antwortete, weil Kimball sie gerade streichelte.

»Irre ich mich, oder gibt es da so eine Art stillschweigende Verein­barung, über Medley Orion und ihr Kind nichts preiszugeben?« Wie ein Jagdhund witterte Harry eine schwache, ganz schwache Fährte.

Kimball und Mrs. Hogendobber starrten sie an.

»Ist das nicht offensichtlich?« meinte Kimball.

»Das Offensichtliche ist eine trügerische Versuchung.« Mrs. Ho­gendobber, die ja mit Harry arbeitete, schwenkte jetzt ebenfalls auf Harrys Linie ein. »Wir haben etwas übersehen.«

»Der Master von Monticello hat vielleicht nicht gewußt, was mit Medley los war oder wer den Mann umgebracht hat, aber ich gehe jede Wette ein, daß Martha es wußte, und deswegen hat sie Medley bei sich aufgenommen. Man hätte sie ohne weiteres verkaufen kön­nen. Die Jeffersons hätten diese Sklavin loswerden können, wenn sie ihnen lästig geworden wäre.«

»Harry, die Jeffersons haben ihre Sklaven nicht verkauft.« Kimball hörte sich beinahe an wie Mim. Er irrte sich aber. Jefferson hatte seine Sklaven sehr wohl verkauft, aber nur, wenn er wußte, daß sie in gute Hände kamen. Jefferson hatte mit seiner Taktik mehr Rück­sichtnahme gezeigt als viele andere Sklavenbesitzer, doch die Ver­äußerung von Menschen war schon einigen von Jeffersons Zeitge­nossen gefühllos und gewinnsüchtig erschienen.