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»Sie hätten sie weggeben können, nachdem Thomas gestorben war.« Mrs. Hogendobber rutschte auf ihrem Stuhl hin und her; ihre Gedanken überschlugen sich. »Medley wurde von einer oder von beiden Töchtern beschützt. Marthaund Maria.«

Kimball fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. »Warum?«

»Warum, warum.« Harry schrie beinahe. »Warum hat nicht ein einziges Familienmitglied vorgeschlagen, Sally und Betsey Hemings zum Teufel zu jagen? Mein Gott, man hat Jefferson wegen seiner angeblichen Affäre die Hölle heiß gemacht. Bedenken Sie, Kimball, auch wenn es zweihundert Jahre her ist, Politik bleibt Politik, und die Menschen haben sich erstaunlich wenig geändert.«

»Eine Vertuschung?« flüsterte Kimball.

»Ah« - Mrs. Hogendobber hob den Zeigefinger wie eine Schulleh­rerin -, »nicht Vertuschung, sondern Stolz. Hätte man die Hemings, sagen wir,>entlassen<, wäre das ein Schuldbekenntnis gewesen.«

»Aber sie hier auf dem Hügel zu behalten hat doch den Klatsch­mäulern bestimmt erst recht Nahrung gegeben«, platzte Kimball frustriert heraus.

»Schon, aber Jefferson ist nicht darauf eingegangen. Wenn er schweigt, was können sie dann schon machen? Sie können Geschich­ten erfinden. Die Zeitungen heutzutage sind voll von solchen Mut­maßungen, die als Tatsachen verkauft werden. Aber Jefferson war ihnen mit seiner Gelassenheit überlegen, er hat ihnen einfach den Wind aus den Segeln genommen. Ich will damit sagen, er ist nie vor dem Feind in die Knie gegangen, und er hat bewußt die Entschei­dung getroffen, die Hemings nicht zu feuern.«

»Harry, diese Sklavinnen kamen vom Landsitz seiner Mutter.«

»Ja, Kimball, na und?«

»Er war ein sehr anhänglicher Mensch. Als sein bester Freund Dabney Carr in jungen Jahren starb, hat Jefferson die Familiengruft für ihn angelegt, und dann hat er sich an sein Grab gelehnt und gele­sen, um ihm nahe zu sein.«

Harry hob die Hände, als wollte sie um einen Waffenstillstand bit­ten. »Okay, okay, dann versuchen wir es mal so: Sallys und Betseys Mutter, Betty Hemings, war halb weiß. Sie war nicht wie die anderen Sklaven, denn ihr Vater war ein englischer Kapitän. Thomas Jeffer­son ließ Sallys und Betseys Brüder Bob und James 1790 frei. Mit Ausnahme einer weiteren Tochter, Thenia, die von James Monroe gekauft wurde, sind alle Hemings in Monticello geblieben. Sie stan­den in dem Ruf, tüchtige Arbeiter und intelligent zu sein. Sally kam nie frei, aber Jefferson ließ ihre Tochter 1822 gehen. Das entnehme ich zumindest diesen Papieren.«

»Das weiß ich alles«, sagte Kimball gereizt.

»Ich nicht.« Mrs. Hogendobber machte Harry ein Zeichen, fortzu­fahren.

»Jefferson verfügte, daß Sallys Söhne Madison und Eston nach Vollendung ihres 21. Lebensjahres freigelassen werden sollten. Das hätte er bestimmt nicht getan, wenn er nicht sicher gewesen wäre, daß sie sich auch so ihren Lebensunterhalt verdienen konnten. Sonst wäre es grausam gewesen, sie in die Welt zu schicken, stimmt's?«

»Stimmt.« Kimball ging auf und ab.

»Und die Liebhaber von Sally und Betsey waren vielleicht gar nicht die Brüder Carr. Die Sklaven sagten, daß John Wayles Sally zu seiner, wie soll ich sagen, Lebensgefährtin machte, nachdem seine dritte Frau gestorben war, und daß Sally sechs Kinder von ihm hatte. John Wayles war Martha Jeffersons Bruder, T. J.'s Schwager. Jeffer­son hat für jedes Mitglied seiner Familie die Verantwortung über­nommen. Er hat Martha über alles geliebt. In diesem Licht ergibt seine Fürsorge einen Sinn. Andere sagten freilich, John Wayles sei der Liebhaber von Betty Hemings gewesen, dann wären Sally und Betsey Marthas Cousinen. Wir werden es wohl nie genau erfahren, aber der springende Punkt ist, daß Sally und Betsey eine Verwandt­schafts- oder innige Herzensbeziehung mit T.J. hatten.«

Kimball setzte sich wieder hin. Er sprach langsam. »Das klingt lo­gisch. Dadurch wäre er gezwungen gewesen, zu den Vaterschaftsver­leumdungen zu schweigen.«

»John Wayles war nicht imstande, mit einer solchen Kalamität fer­tig zu werden. Jefferson schon.« Mrs. Hogendobber hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. »Und selbst wenn sie Jefferson gekränkt haben, die Verleumder, seine Macht konnten sie nicht beschneiden.«

»Warum nicht?« Kimball war verblüfft.

»Hätten sie all die weißen Rammler aus dem Dornengestrüpp auf­scheuchen sollen?« Mrs. Hogendobber lachte. »Die Frage ist nicht, welche Südstaaten-Gentlemen mit Sklavinnen geschlafen haben, die Frage ist, wer es nicht getan hat.«

»Oh, jetzt verstehe ich.« Kimball rieb sich das Kinn. »Die Yankees konnten ordentlich wettern, aber die Südstaatler hielten den Mund und sahen sozusagen in die andere Richtung.«

»Na klar, sie hätten doch Jefferson nicht für ihre eigenen Sünden ans Kreuz genagelt.« Harry lachte. »Die Nordstaatler hätten das Kreuzigen besorgt, aber sie konnten ihn nie richtig packen. Er war viel zu schlau, um zu reden, und er hat immer diejenigen in Schutz genommen, die schwächer waren als er.«

Mrs. Hogendobber lächelte. »Er hatte sehr, sehr breite Schwingen.«

»Und wo bleibt Medley Orion bei alledem?« Kimball stand auf und fing wieder an, auf und ab zu gehen.

»Sie könnte mit den Hemings verwandt gewesen sein oder auch nicht. Gemäß ihrer Beschreibung als>hell< war sie offensichtlich viertel, wenn nicht halb weiß. Und ihr Liebhaber war ein Weißer. Der Liebhaber ist der Schlüssel. Er wurde beschützt«, sagte Harry.

»Das glaube ich nicht. Ich denke, Medley war diejenige, die be­schützt wurde. Ich kann's nicht beweisen, aber meine weibliche In­tuition sagt mir, daß das Opfer Medleys weißer Liebhaber war.«

»Was?« Kimball blieb abrupt stehen.

»Die Jeffersons haben vielen Menschen ihr Wohlwollen erwiesen: Wayles, falls er der Geliebte von Betty Hemings oder ihrer Tochter Sally war, den Carrs, falls sie in die Geschichte verwickelt waren. Die Leiche in Hütte Nummer vier war kein Familienmitglied. Die Abwesenheit des Mannes oder sein Tod muß irgendwo bemerkt worden sein. Jemand mußte dafür eine Erklärung abgeben. Sehen Sie nicht, wer immer der Mann ist - oder war, sollte ich wohl besser sagen - , als die Jeffersons dahinterkamen, hat er ihnen nicht ge­paßt.«

Sie hielt inne, um Atem zu holen, und Kimball warf ein: »Aber deswegen einen Mord billigen?«

Mrs. Hogendobber senkte eine Sekunde den Kopf, dann blickte sie hoch. »Es gibt schlimmere Sünden als Mord, Kimball Haynes.«

32

Warren Randolph knöpfte sein Hemd zu, während Larry Johnson an dem kleinen Waschbecken im Sprechzimmer lehnte. Larry war drauf und dran, Warren zu sagen, daß es des Todes seines Vaters bedurft hatte, um ihn zu dieser Generaluntersuchung zu zwingen, aber er sagte es nicht.

»Die Ergebnisse der Blutuntersuchung werden nächste Woche da­sein.« Larry schloß den Ordner mit der farbigen Plastikkennzeich­nung. »Sie sind gesund, ich rechne nicht mit irgendwelchen Proble­men, aber« - er drohte mit dem Finger - »das letzte Mal haben Sie sich Blut abzapfen lassen, als Sie aufs College gegangen sind. Sie sollten jedes Jahr zur Untersuchung kommen!«

Warren sagte betreten: »In letzter Zeit fühle ich mich nicht wohl. Ich bin müde, aber ich kann nicht schlafen. Ich schleppe mich dahin und bin vergeßlich. Ich würde noch meinen Kopf vergessen, wenn er nicht fest auf meinen Schultern säße.«

Larry legte Warren die Hand auf die Schulter. »Sie haben einen schweren Verlust erlitten. Die Trauer nimmt Sie sehr mit - es schwirrt einem plötzlich so vieles im Kopf herum.«

Bei dem Doktor konnte Warren seinem Herzen Luft machen. Wenn man seinem Hausarzt, der einen seit der Geburt kennt, nicht trauen konnte, wem dann? »Ich kann mich nicht erinnern, mich nach Mut­ters Tod so miserabel gefühlt zu haben.«