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»Wie steht es mit der Suche nach dem Opfer? Daß er womöglich hinkte, müßte doch weiterführen. Irgendwo muß doch irgendwer gewußt haben, daß ein hinkender Mann Medley Orion besuchte. Und er war kein Händler.«

»Es ist verblüffend.« Miranda lehnte sich an die andere Seite des Schalters. »Aber ich bin es in Gedanken immer wieder durchgegan­gen, und ich glaube, es hat etwas mit uns zu tun. Mit der Gegenwart. Jemand kennt diese Geschichte.«

Mim klopfte mit ihrer Post auf den Schalter. »Und wenn wir es he­rausfinden, platzt eine Bombe.« Sie griff sich einen Brieföffner vom Schalter und öffnete ihre private Post. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie auf einen Brief, der aus einem neutralen, in Charlottesville abgestempelten Umschlag fiel. Auf das Papier waren Buchstaben aufgeklebt. »Laß die Toten die Toten begraben.« Mim wurde bleich, dann las sie es laut vor.

»Da haben wir's«, sagte Harry. »Eine Bombe.« »Ich verbitte mir so eine billige Dramatik!« Mim knallte den Brief auf den Schalter.

»Billig oder nicht, wir sollten lieber vorsichtig sein«, bemerkte Mi­randa leise.

35

Warren zum Trotz erlaubte Ansley Kimball Haynes, die Familienpa­piere zu lesen. Sie öffnete sogar den Tresor. Als sie von Lulus Ärger mit Samson gehört hatte, war sie zu dem Schluß gekommen, daß Frauen zusammenhalten müßten. Zumal sie absolut nichts Unrechtes in Lulus Verhalten sah.

Als sie später darüber nachdachte, wurde ihr klar, daß sie sich mit Lulu verbunden fühlte, weil sie Samson gemeinsam hatten. Ansley wußte, daß ihr der bessere Teil von ihm gehörte. Samson, ein eitler, gutaussehender Mann, legte im Bett Lebensfreude und Phantasie an den Tag. Als junger Mann war er pausenlos in die Bredouille gera­ten. Am häufigsten wurde erzählt, wie er einmal in betrunkenem Zustand mit seinem Motorrad einen Lattenzaun durchbrochen hatte. Als er sich von dem Schrotthaufen aufrappelte, hatte er geflucht: »Die blöde Stute hat den Zaun verweigert.« Warren war an diesem Tag auf seiner schnittigen Triumph 750cc mitgefahren.

Sie mußten wilde junge Draufgänger gewesen sein, forsch, aber lie­benswürdig und zu allen Schandtaten bereit. Warren hatte die Wild­heit mit seinem Juraexamen abgelegt, Samson hatte einen kleinen Rest davon behalten, wirkte aber in Gesellschaft seiner Frau eher eingeschüchtert.

Ansley fragte sich, was geschehen würde, wenn Lucinda dahinter­käme. Lucinda war für sie wie eine Schwester. Eigentlich hätte sie Lucinda als ihre Rivalin hassen müssen.

Aber warum sollte sie? Sie wollte Samson ja nicht für immer und ewig, sie wollte nur ab und zu mal seinen Körper.

Je mehr sie darüber nachdachte, weshalb sie Kimball Zugang zu den Papieren gewährte, um so klarer wurde ihr, daß Wesleys Tod eine Pandorabüchse geöffnet hatte. Ansley hatte unter der Fuchtel des alten Herrn gestanden, Warren ebenso, und mit den Jahren hatte sie die Achtung vor ihrem Mann verloren, weil sie ihn vor seinem Vater kuschen sah. Wesley hatte durchaus seine Qualitäten gehabt, aber zu seinem Sohn war er zu hart gewesen.

Schlimmer war, daß die Männer Ansley immer aus dem Geschäft ausgeschlossen hatten. Sie war kein Dummkopf. Sie hätte etwas über Landwirtschaft oder Pferdezucht lernen können. Sie hätte vielleicht sogar neue Ideen einbringen können, aber nein, sie wurde potentiel­len Kunden immer nur als hübscher Köder hingehalten. Sie servierte Getränke, sie hielt die Ehefrauen bei Laune. Auf hohen Absätzen stand sie eine Cocktailparty nach der anderen durch. Ihre Achilles­sehne wurde immer kürzer. Sie kaufte sich für jede elegante Wohltä­tigkeitsveranstaltung an der Ostküste und in Kentucky ein neues Kleid. Sie spielte ihre Rolle, bekam aber nie gesagt, daß sie ihre Sa­che gut machte. Die Männer nahmen sie als selbstverständlich und hatten keine Ahnung, wie schwer es war, ausgeschlossen zu sein, während andererseits von einem erwartet wurde, liebenswürdig zu Leuten zu sein, die so entsetzlich langweilig waren, daß sie besser nie hätten geboren werden sollen. Ansley war zu jung für so ein Le­ben. Frauen um die Sechzig oder Siebzig mochten sich damit abfin­den. Vielleicht machte es einigen sogar Spaß, als Schmuckstück zu dienen, die unbesungene Hälfte des sprichwörtlichen Ehegespanns zu sein. Ihr nicht.

Sie wollte mehr. Wenn sie Warren verließ, würde er anfangs ge­kränkt sein und sich sodann den gewieftesten Scheidungsanwalt Vir­ginias nehmen, mit dem ausdrücklichen Ziel, sie in die Knie zu zwingen. Reiche Männer, die ein Scheidungsverfahren laufen hatten, waren selten großzügig, es sei denn, sie waren diejenigen, die in flagranti erwischt wurden.

Ansley hatte eine Stinkwut im Bauch. Wesley Randolph hatte ein­mal zu oft mit seinen Vorfahren angegeben, namentlich mit Thomas Jefferson. Warren war zwar nicht ganz so schlimm, tutete aber in dasselbe Horn. Brauchten sie das, weil sie selbst nicht viel leisteten? Hatten sie diese Vorfahren deshalb nötig? Wäre Warren nicht das Kind reicher Eltern gewesen, würde er vermutlich von Sozialhilfe leben. Ihr Mann war nicht entscheidungsfähig. Er konnte nicht selb­ständig denken. Und nun, da Poppa nicht mehr da war, um ihm zu sagen, wie und wann er sich den Hintern abwischen sollte, war War­ren in Panik geraten. Ansley hatte ihren Mann noch nie so niederge­schlagen gesehen.

Sie kam nicht auf den Gedanken, daß er vielleicht niedergeschlagen war, weil sie ihn betrog. Sie dachte, sie und Samson seien zu schlau für ihn.

Ansley kam auch nicht auf den Gedanken, daß das Leben eines Reichen nicht unbedingt besser war als das eines Armen, abgesehen vom leiblichen Wohl.

Warren war vollkommen unselbständig, wie ein Kleinkind, das lau­fen lernt. Er würde noch oft auf die Nase fallen. Aber er gab sich wenigstens Mühe. Er vertiefte sich in die Familienpapiere, er sah die Bücher durch, er ließ Sitzungen mit Anwälten und Wirtschaftsprü­fern über sich ergehen, in denen es um seinen Wertpapierbestand, die Grundsteuer, die Erbschaftssteuer und wer weiß was noch alles ging. Ansley hatte so lange darauf gewartet, daß er sein eigener Herr wur­de, daß sie nicht erkennen konnte, wie er sich bemühte.

Sein Gesichtsausdruck, als sie ihm sagte, daß Kimball die Famili­enpapiere aus den Jahren 1790 bis 1820 gelesen hatte, bereitete ihr bittere Genugtuung.

»Wie konntest du das tun, obwohl ich dir gesagt habe, du sollst ihn und alle anderen heraushalten - wenigstens so lange, bis ich zu einer klaren Entscheidung gekommen bin. Ich bin noch - unsicher.« Er schien eher erschüttert als wütend.

»Weil ich finde, daß du egoistisch bist, und dein Vater war das auch. Es hat ohnehin nicht viel gebracht.«

Er faltete die Hände wie zum Gebet und stützte das Kinn auf die Fingerspitzen. »Ich bin nicht so dumm, wie du denkst, Ansley.«

»Ich habe nie gesagt, daß du dumm bist«, antwortete sie hitzig.

»Das brauchtest du gar nicht.«

Da die Söhne in ihren Zimmern waren, hielten sie die Stimmen ge­senkt. Warren machte auf dem Absatz kehrt und ging in den Stall. Ansley setzte sich hin und beschloß, die Familienpapiere zu lesen. Als sie einmal angefangen hatte, konnte sie nicht mehr aufhören.

36

Das trübe Licht, das die Regenwolken durchließen, verblich lang­sam, als die Sonne hinter den Bergen unterging. Dann wurde es schnell dunkel, und Kimball war froh, daß er von den Randolphs gleich nach Hause gefahren war. Er wollte seinen erfolgreichen Nachforschungen den letzten Schliff geben, bevor er sie Sheriff Shaw und Mim Sanburne präsentierte. Er hoffte, sie auch im Fernse­hen präsentieren zu können, denn die Medien würden bestimmt nach Monticello zurückkehren. Oliver würde darüber natürlich nicht er­baut sein, aber diese Geschichte war zu gut, um sie geheimzuhalten.

Ein Klopfen an der Tür holte ihn von seinem Schreibtisch.

Er ging verwundert öffnen. »Hallo. Kommen Sie doch herein und.«