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»Aus Dummheit.«

»Die Antwort ist selten geschmacklos.«

»Sei nicht so gereizt, ich war wirklich dumm. Ich war unreif. Ich hatte Angst, etwas zu versäumen. Eine Rose nicht gerochen, eine Straße nicht gegangen, dieser ganze Blödsinn. Ich weiß nur, daß ich das Erwachsenwerden noch nachholen mußte, als wir schon verhei­ratet waren - ich hatte mich in meiner eigentlichen Jugend so tief in die Lehrbücher vergraben, daß ich viel von der Lebenserfahrung versäumt hatte, durch die man erwachsen wird. Ich habe mich sozu­sagen selbst versäumt.«

Harry hörte auf, Ziegel zu verlegen, und setzte sich Fair gegenüber.

Er fuhr fort: »Mit wenigen Ausnahmen, wie etwa den Saab zu Schrott zu fahren, habe ich getan, was von mir erwartet wurde. Schätze, das tun die meisten von uns in Crozet. Ich glaube nicht, daß ich mich selbst sehr gut kannte, oder vielleicht wollte ich mich nicht kennenlernen. Ich hatte Angst vor dem, was ich herausfinden wür­de.«

»Zum Beispiel? Was hättest du an dir selbst bemängeln können? Du siehst gut aus, bist der Beste in deinem Fach und kannst gut mit Leuten umgehen.«

»Ich sollte öfter herkommen.« Er wurde rot. »Harry, ist dir das noch nie passiert, daß du auf der Garth Road fuhrst oder mitten in der Nacht aufgewacht bist und dich gefragt hast, verdammt, was tust du eigentlich, und warum tust du es?«

»Doch.«

»Hat mir Angst gemacht. Ich habe mich gefragt, ob ich so schlau bin, wie alle behaupten. Ich bin's nicht. Ich bin gut in meinem Fach, aber auf anderen Gebieten bin ich manchmal dumm wie Bohnen­stroh. Ich bin immer wieder an Grenzen gestoßen, und da ich in dem Glauben erzogen wurde, keine haben zu dürfen, bin ich vor ihnen davongelaufen - vor dir, vor mir. Damit war nichts gewonnen. Boom Boom war eine fürchterliche Geschmacksverirrung. Und ihre Vor­gängerin.«

Harry unterbrach ihn: »Die war doch ganz hübsch.«

»Aber das reicht nicht. Jedenfalls, eines Morgens bin ich aufge­wacht, und mir war klargeworden, daß ich meine Ehe ruiniert hatte. Ich hatte dem Menschen weh getan, den ich am meisten liebte, ich hatte meine Eltern und mich selbst enttäuscht, und ich hatte mich vor anderen zum Narren gemacht. Gott sei Dank sind meine Patienten Tiere. Ich glaube, nicht, daß Menschen zu mir gekommen wären. Ich war in einem schlimmen Zustand. Ich habe sogar daran gedacht, mich umzubringen.«

»Du?« Harry war verblüfft.

Er nickte. »Und ich war zu stolz, um Hilfe zu bitten. He, ich bin Fair Haristeen, und ich hab mich in der Hand. Männer, die eins neunzig groß sind, brechen nicht zusammen. Wir schuften uns viel­leicht zu Tode, aber wir brechen nicht zusammen.«

»Was hast du gemacht?«

»Heiligabend bin ich zu unserem Reverend nach Hause gegangen. Weihnachten bei Mom und Dad, entsetzlich. Nichts als Verbitterung und gereizte Stimmung.« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin von zu Hause geflohen. Ich weiß nicht, ich bin bei Herb aufgekreuzt, und er hat sich hingesetzt und mit mir geredet. Er sagte mir, daß niemand vollkommen ist. Ich solle es langsam angehen, immer einen Tag nach dem anderen. Er hat mir keine Predigt gehalten. Er sagte mir, ich solle auf die Menschen zugehen und mich nicht hinter meinem Äußeren verstecken, hinter einer Maske, verstehst du?«

Sie verstand. »Ja.«

»Dann habe ich etwas gemacht, das eigentlich gar nicht zu mir paßt.« Er spielte mit der Kante der Gummimatte. »Ich bin zu einem Therapeuten gegangen.«

»Das darf doch nicht wahr sein.«

»Doch, wirklich, und du bist die einzige, der ich es erzähle. Ich ar­beite jetzt seit zwei Jahren mit ihm, und ich mache Fortschritte. Ich werde langsam, hm, ein Mensch.«

Das Telefon unterbrach Fair. Harry sprang auf und ging in die Sat­telkammer. Sie hörte Mrs. Hogendobber fast schon, ehe sie den Hö­rer abnahm. Mrs. H. sagte ihr, daß Kimball Haynes soeben von Hei­ke Holtz aufgefunden worden sei. Zweimal sei auf ihn geschossen worden. Als er nicht zu einer Verabredung gekommen und auch nicht ans Telefon gegangen sei, habe sie sich Sorgen gemacht und sei zu ihm gefahren.

Harry, aschfahl geworden, legte den Hörer einen Moment hin. »Fair, Kimball Haynes ist ermordet worden.« Sie kehrte zu Mrs. H. zurück. »Wir sind gleich da.«

38

Ein mit Törtchen und frischem Apfelkuchen beladener Teetisch er­regte Tuckers, Mrs. Murphys und Pewters Interesse. Die Menschen waren im Augenblick zu aufgewühlt, um zu essen. Mrs. Hogendob­ber, eine erstklassige Bäckerin, probierte gern neue Rezepte aus, bevor sie damit zu Essens- und Wohltätigkeitsveranstaltungen der >Kirche zum Heiligen Licht< ging. Harry, die als Versuchskaninchen diente, profitierte am meisten davon. Würde Harry ihre kalorien­verbrennende Schwerarbeit auf der Farm einstellen, sie würde dick wie eine Zecke. Mrs. H. hatte die Leckereien am nächsten Tag mit zur Arbeit bringen wollen, aber jetzt war alles durcheinandergeraten.

»So ein intelligenter junger Mann. Er hatte alles, was das Leben le­benswert macht.« Miranda wischte sich die Augen. »Wer hätte einen Grund gehabt, Kimball umzubringen?«

Sie saß zwischen Fair und Harry auf dem Sofa.

Harry tätschelte ihre Hand, eine unbeholfene Geste, aber für Um­armungen oder Zuneigungsbekundungen hatte Mrs. Hogendobber nichts übrig. »Ich weiß es nicht, aber ich glaube, er hat seine Nase zu tief in fremde Angelegenheiten gesteckt.«

Mrs. Hogendobber hob den Kopf. »Meinen Sie diesen Mord in Monticello?«

»Nicht unbedingt. Ich weiß nicht, was ich meine«, seufzte Harry.

Fairs Baritonstimme tönte durch den Raum: »Die Stadt Crozet steckt voller Geheimnisse, die viele Generationen zurückreichen.«

»Stecken nicht alle Städte voller Geheimnisse? Die Regeln für das Leben scheinen die wahre menschliche Natur nicht zu berücksichti­gen.« Harry roch an dem Apfelkuchen. Pewter duckte sich und machte sich bereit zum Sprung auf den Teewagen. »Pewter, nicht.«

»Das ißt doch sowieso niemand«, erwiderte die Katze frech.»War­um gutes Essen verkommen lassen?«

Aufgebracht, weil Pewter sich nicht nur weigerte, von der Stelle zu weichen, sondern abermals mit dem Hinterteil wackelte, um zum Sprung anzusetzen, stand Harry auf und verjagte die Katze von dem Teewagen. Pewter lief ein paar Schritte, dann setzte sie sich trotzig hin.

»Duprovozierst sie«, warnte Mrs. Murphy.

»Was soll sie schon machen? Mir den Kuchen ins Gesicht klat­schen?« Pewter näherte sich listig dem mit süßen Sachen beladenen Teewagen.

»Hört mal, laßt uns was davon essen, bevor Pewter meine Geduld erschöpft hat.« Harry schnitt drei Stück Kuchen ab. Der köstliche, schwere Apfelduft erfüllte das Zimmer, als das Messer die Füllung des Kuchens aufschnitt.

»Oh, Miranda, das sieht herrlich aus.« Harry verteilte die drei Tel­ler. Sie setzte sich, um zu essen, aber die auf den Teewagen zu­schleichende Pewter störte den ohnehin schon zur Genüge gestörten Frieden. Harry gab nach und schnitt ein schmales Stück für die zwei Katzen und ein weiteres für Tucker ab.

»Sie verwöhnen die Tiere«, sagte Mrs. Hogendobber.

»Sie sind ausgezeichnete Vorkoster. Wenn sie etwas nicht fressen wollen, weiß man, daß es schlecht ist - was von Ihrem Gebäck selbstverständlich niemand behaupten wird.«

»Wie oft habe ich mir schon gewünscht, ich würde nicht so gern backen.« Sie klopfte sich auf den Bauch.

Sie genossen den Kuchen, bis ihre Gedanken zu Kimball zurück­kehrten. Während sie redeten, stand Harry auf und schenkte Kaffee ein. Sie fühlte sich oft besser, wenn sie sich bewegen konnte. Harrys Mutter hatte immer gesagt, sie habe Pfeffer im Hintern, aber das

stimmte nicht; sie konnte einfach besser denken, wenn sie herum­ging.

»Klasse, absolute Spitze, Mrs. H.«, lobte Fair.