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Als Mrs. Murphy und Tucker Larrys Betrübnis bemerkten, setzten sie sich neben ihn und drückten ihre kleinen Körper an seinen. In jedem Menschenleben gibt es Momente, wo die Seele von der Har­pune des Schicksals geritzt und dem Menschen Gelegenheit gegeben wird, durch seinen Schmerz die Welt auf neue Weise zu sehen. Dies war ein solcher Augenblick, und durch seine Tränen sah Larry die zwei pelzigen Köpfe und streichelte sie, während er überlegte, wie oft im Leben wir von Liebe und Verständnis umgeben und zu selbst­bezogen, zu sehr auf uns Menschen fixiert sind, um zu erkennen, was die Götter uns geschenkt haben.

44

Ein warmer Südwind erfüllte die Herzen mit der Hoffnung, daß der Frühling nun wirklich gekommen war. Schneestürme konnten Mit­telvirginia noch im April heimsuchen, und sogar im Mai hatten ein­mal schwere Schneefälle die Felder zugedeckt, aber das kam selten vor. Der letzte Frost kam gewöhnlich Mitte April, aber es gab auch schon vorher warme Tage. Dann überzogen die blühenden Glyzinen Scheunen und Pergolen mit Lavendel und Weiß. Dies war Mrs. Mur­phys liebste Jahreszeit.

Sie aalte sich zusammen mit Pewter und Tucker am Hintereingang des Postamtes in der Sonne. Sie aalte sich obendrein in der köstli­chen Genugtuung, Pewter die Neuigkeit von den Büchern in dem Versteck mitzuteilen. Pewter war wütend, aber immerhin hatte ihre kurze Abwesenheit etwas Gutes bewirkt: Market hatte sich mit Ellie Wood Baxter versöhnt. Die graue Katze war wieder gnädig aufge­nommen, aber wenn sie das WortSchweinebraten noch einmal zu hören bekäme, würde sie kratzen und beißen.

Die Gasse hinter den Häusern füllte sich mit Autos, weil die Park­plätze vorn schon alle besetzt waren. An den ersten wirklich milden Tagen im Frühling sahen sich die Menschen anscheinend immer veranlaßt, Blumenzwiebeln, Blumensträuße und pastellfarbene Pul­lover zu kaufen.

Samson Coles fuhr durch das östliche Ende der Gasse. Am westli­chen Ende bog Warren Randolph ein. Sie parkten nebeneinander hinter Market Shifletts Laden.

Tucker hob den Kopf, ließ ihn aber sofort wieder auf die Pfoten sinken. Mrs. Murphy beobachtete das Geschehen aus zusammenge­kniffenen Augen. Pewter interessierte das alles nicht im geringsten.

»Wie läuft es mit den Diamonds?« fragte Warren, während er seine Wagentür schloß.

»Sie schwanken zwischen Midale und Fox Haven.«

Warren stieß einen Pfiff aus. »Gibt 'ne schöne Provision mein Freund.«

»Und wie geht's dir so?«

Warren zuckte die Achseln. »Okay. Ist nicht immer einfach. Und Ansley - ich hatte sie um ein bißchen Frieden und Ruhe gebeten, und was tut sie? Läßt Kimball Haynes die Familienpapiere sichten. Klar, er war ein netter Kerl, aber das ist nicht der Punkt.«

»Ich konnte ihn nicht leiden«, sagte Samson. »Lucinda hat mit mir dasselbe Ding abgezogen wie Ansley mit dir. Er hätte zu mir kom­men sollen, nicht zu meiner Frau. Ein Arschkriecher - aber den Tod hab ich ihm deswegen noch lange nicht gewünscht.«

»Aber jemand anders.«

Samson wechselte abrupt das Thema: »Hast du dir schon überlegt, ob du kandidieren willst?«

»Ich kämpfe noch mit mir, aber ich fühle mich schon stärker. Könnte durchaus sein, daß ich's mache.«

Samson klopfte ihm auf den Rücken. »Paß auf, daß die Presse Pa­pas Testament nicht in die Finger bekommt. Sag mir Bescheid. Ich werde einer deiner glühendsten Anhänger, dein Wahlkampfmanager, was du willst.«

»Klar, ich laß es dich wissen, sobald ich's selber weiß.« Warren steuerte auf das Postamt zu, während Samson durch den Hinterein­gang in Markets Laden trat. Mit bemerkenswerter Selbstbeherr­schung tat Warren, als ob nichts geschehen wäre, aber in diesem Augenblick wußte er, daß Ansley sein Vertrauen mißbraucht hatte und ihn auch in anderer Hinsicht betrog.

Es kam Samson nicht in den Sinn, daß er sich verplappert hatte, aber er gab ja im Geiste auch schon die Provisionssumme aus dem Geschäft mit den Diamonds aus, bevor er den Handel überhaupt abgeschlossen hatte. Und überdies würde es möglicherweise mit den heimlichen Treffen und den Lügen bald ein Ende haben. Vielleicht wollte er unbewußt, daß Warren die Wahrheit erfuhr. Dann könnten sie mit dem Versteckspiel Schluß machen, und Ansley würde ganz ihm gehören.

45

Da Kimball die meisten seiner persönlichen Papiere in seinem Ar­beitszimmer im ersten Stockwerk von Monticello aufbewahrt hatte, achtete der Sheriff darauf, daß nichts verändert wurde. Aber da Harry und Mrs. Hogendobber das Material kannten und erst vor kurzem hier bei Kimball gewesen waren, erlaubte der Sheriff ihnen und De­puty Cooper den Zutritt, um sicherzugehen, daß nichts angerührt oder entfernt worden war.

Oliver Zeve beklagte sich aufgebracht bei Sheriff Shaw, die drei Damen, so reizend sie sein mochten, seien keine Wissenschaftlerin­nen und hätten hier wirklich nichts zu suchen.

Shaw, fast am Ende seiner Geduld, sagte zu Oliver, er solle froh sein, daß Harry und Mrs. Hogendobber Kimballs Papiere kannten und seine eigenartige Kurzschrift entziffern konnten. Mit einem knappen Kopfnicken gab Oliver sich geschlagen; er erbat sich je­doch, daß Mrs. Murphy und Tucker zu Hause blieben. Wenigstens hier konnte er sich durchsetzen.

Shaw mußte zudem noch Fair beschwichtigen, der »die Mädels«, wie er sie nannte, unbedingt begleiten wollte. Der Sheriff meinte, das würde Oliver vollends zur Verzweiflung bringen; aber in Cynthias Begleitung seien die Damen außer Gefahr, versicherte er Fair.

Oliver war deswegen so nervös, weil er in den vergangenen zwei Tagen Fernsehinterviews und eine wahre Belagerung durch Journali­sten hatte über sich ergehen lassen müssen. Er war kein glücklicher Mensch. Vor lauter Unbehagen hatte er den Tod eines geschätzten Kollegen fast aus den Augen verloren.

Mrs. Hogendobber ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Es scheint nichts verändert zu sein.«

Harry stand vor Kimballs gelbem Schreibblock und bemerkte etli­che neue Notizen, die Kimball in seiner engstehenden Schrift hinge­kritzelt hatte. Sie nahm den Block in die Hand. »Er zitiert hier einen Ausspruch, den Martha Randolph zu ihrem vierten Kind, Ellen Way­les Coolidge, gesagt hat.« Harry dachte laut: »Merkwürdig, daß Martha und ihr Mann ihr viertes Kind Ellen Wayles genannt haben, obwohl ihr drittes Kind ebenfalls Ellen Wayles hieß - es war mit elf Monaten gestorben. Es heißt doch, das bringt Unglück.«

Mrs. Hogendobber warf ein: »Hat es aber nicht. Ellen Coolidge hatte ein gutes Leben. Ann Cary dagegen, das arme Kind, die hat gelitten.«

Cynthia lächelte. »Sie reden, als würden Sie diese Menschen ken­nen.«

»Das tun wir auch in gewisser Weise«, erwiderte Harry. »Als wir mit Kimball gearbeitet haben, hat er uns ununterbrochen Dinge er­zählt und uns dadurch buchstäblich jahrelanges Lesen erspart. Da es kein Telefon gab, haben die Menschen sich damals ausführlich ge­schrieben, wenn sie getrennt waren. Ich wünschte, wir würden das heute auch tun. In ihren Briefen haben sie unschätzbare Beschrei­bungen, Beobachtungen und Ansichten hinterlassen. Sie haben au­ßerdem großen Wert auf treffende gegenseitige Beurteilungen gelegt - ich glaube, sie kannten einander besser, als wir uns heute kennen.«