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»Dafür gibt es eine simple Erklärung, Harry.« Mrs. H. spähte über Harrys Schulter, um die Notizen zu studieren. »Den Menschen da­mals ist die verderbliche Erfahrung der Psychologie erspart geblie­ben.«

»Wollen Sie nicht vorlesen, was er geschrieben hat?« Cynthia zückte Notizblock und Bleistift.

»Das hat Martha Randolph gesagt:>Das Elend der Sklaverei habe ich mein Lebtag ertragen, doch das ganze Ausmaß dieses bitteren Leidens ist mir nie zuvor bewußt gewesen. < Kimball hat darunter notiert, daß dies ein Brief vom 2. August 1825 ist, aus den Coolidge- Papieren in der Universität von Virginia.«

»Wer ist Coolidge?« Cooper schrieb auf ihren Block.

»Ellen Wayles hat einen Coolidge geheiratet.«

Cooper unterbrach: »Richtig, das haben Sie mir erzählt. Irgend­wann werde ich mit den Namen schon noch klarkommen. Hat Kim­ball etwas darüber vermerkt, warum das von Bedeutung war?«

»Hier steht:>Nach dem Verkauf von Colonel Randolphs Sklaven, um Schulden zu bezahlen. Verkauft wurde unter anderem Susan, Virginias Zofe<«, klärte Harry Cynthia auf. »Virginia war das sechste Kind von Thomas Mann Randolph und Martha Jefferson Randolph, die wir Patsy nennen, weil sie in der Familie so genannt wurde.«

»Könnten Sie mir einen kurzen Abriß der Geschichte geben? War­um hat der Colonel, offensichtlich gegen den Wunsch der anderen Familienmitglieder, Sklaven verkauft?«

»Wir haben vergessen, Ihnen zu sagen, daß Colonel Randolph Pat­sys Mann war.«

»Oh.« Sie notierte das. »Hatte Patsy denn in dieser Sache nicht auch ein Wörtchen mitzureden?«

»Coop, bis vor ein paar Jahrzehnten, bis in unsere Zeit hinein wa­ren Frauen im Staat Virginia die reinsten Leibeigenen.« Harry schob energisch die rechte Hand in die Tasche. »Thomas Mann Randolph konnte verdammt noch mal tun und lassen, was er wollte. Er war schon bei seiner Geburt mit großen Privilegien ausgestattet, erwies sich dann aber als schlechter Geschäftsmann. Am Ende hatte er sich seiner Familie so entfremdet, daß er Monticello im Morgengrauen zu verlassen pflegte und erst am Abend zurückkam.«

Mrs. Hogendobber legte ein gutes Wort für den Mann ein: »Er war das Opfer seiner eigenen Großzügigkeit. Immer hat er Freunden mit Geld ausgeholfen, und dann, pfft.« Sie machte eine wegwerfende Geste, wobei ihre Hand aussah wie ein zappelnder Fisch. »Verstrickt in Prozesse gegen seinen eigenen Sohn Jeff, der die Stütze der Fami­lie wurde und auf den sich sogar sein Großvater verließ.«

»Kennen Sie den Ausdruck>Er ist zu kurz gesprungen<?« fragte Harry Cooper. »Das war Thomas Mann Randolph.«

»Er war aber nicht der einzige. Schauen Sie nur, was aus Jeffersons zwei Neffen, Lilburne und Isham Lewis, geworden ist.« Mrs. Ho­gendobber liebte jede Art von Neuigkeiten oder Klatsch, egal aus welcher Zeit. »Sie haben am 15. Dezember 1811 einen Sklaven na­mens George getötet. Gottlob war ihre Mutter Lucy, Thomas Jeffer­sons Schwester, schon am 26. Mai 1810 gestorben, sonst wäre sie vor Scham vergangen. Jedenfalls, sie haben den unglücklichen Un­tergebenen getötet, und Lilburne wurde am 18. März 1812 angeklagt. Er hat sich am 10. April das Leben genommen, und sein Bruder Is­ham ist getürmt. Oh, es war schrecklich.«

»Ist das hier passiert?« Coopers Bleistift flog nur so über das Pa­pier.

»Im Grenzgebiet. Kentucky.« Mrs. Hogendobber nahm Harry den Block aus der Hand. »Darf ich?« Sie las. »Hier ist noch ein Zitat von Patsy, es geht immer noch um den Sklavenverkauf.Nichts kann gedeihen in einem solchen System der Ungerechtigkeit. < Fragen Sie sich nicht auch, wie die Geschichte dieser Nation aussähe, wenn Frauen von vornherein an der Regierung beteiligt gewesen wären? Frauen wie Abigail Adams, Dolley Madison oder Martha Jefferson Randolph.«

»Wir haben seit 1920 das Wahlrecht und sind immer noch nicht zu fünfzig Prozent an der Regierung beteiligt«, sagte Harry verbittert. »Ehrlich gesagt, unsere Regierung ist ein einziges Tohuwabohu von Widersprüchen, vielleicht tut man besser daran, sich von ihr fernzu­halten.«

»Ach, Harry, sie war schon zu Jeffersons Zeiten ein einziges To­huwabohu. Politik ist wie ein Hahnenkampf«, bemerkte Mrs. Ho­gendobber.

»Könnten Sie beide mir Jeffersons Einstellung zur Sklaverei um­reißen? Seine Tochter scheint sie jedenfalls verachtet zu haben.« Cooper fing an, an ihrem Radiergummi zu kauen, ertappte sich dabei und hörte wieder auf.

»Am besten fängt man mit der Lektüre seinerNotizen über Virginia an. Die wurden erst 1785 in Paris gedruckt, aber geschrieben hat er sie schon früher.«

»Mrs. Hogendobber, bei allem gebührenden Respekt, ich habe kei­ne Zeit, das alles zu lesen. Ich muß einen Mörder finden, der ein Geheimnis zu verbergen hat, und wir sind immer noch mit der Lei­che, vielmehr den Überresten, von 1803 befaßt.«

»Leichnam der Liebe«, entfuhr es Harry.

»So sehen wir ihn«, fügte Mrs. Hogendobber hinzu.

»Weil der Mann Medleys Geliebter war oder Sie das zumindest an­nehmen?« fragte Cooper.

»Ja, aber vermutlich war es mit der Liebe irgendwann vorbei.«

»Weil sie einen anderen liebte?« Für Cooper, daran gewöhnt, die Leute zu verhören, war es ganz natürlich, dies auch jetzt zu tun.

»Es war eine Form von Liebe. Vielleicht nicht von der romanti­schen Art.«

Cynthia seufzte. Fürs erste steckte sie wieder mal in einer Sackgas­se. »Okay. Eine von Ihnen muß mir etwas über Jefferson und die Sklaverei erzählen. Mrs. Hogendobber, Sie haben eine Begabung für Daten und dergleichen.«

»Buchführung trainiert das Zahlengedächtnis. Also, Thomas Jeffer­son wurde am 13. April 1743 geboren, nach der neuen Zeitrechnung. Sie wissen, alle außer den Russen sind vom Gregorianischen zum Julianischen Kalender übergegangen. Nach der alten Zeitrechnung ist er am 2. April geboren. Muß lustig gewesen sein für die Menschen in Europa und in der Neuen Welt, gewissermaßen zwei Geburtstage zu haben. Sehen Sie, Cynthia, er wurde in eine Welt der Sklaverei hin­eingeboren. Wer sich mit Geschichte befaßt, stellt fest, daß alle gro­ßen Zivilisationen eine ausgedehnte Periode der Sklaverei durchlau­fen haben. Es ist wohl die einzige Möglichkeit, die Arbeit getan zu bekommen und Kapital anzusammeln. Stellen Sie sich vor, die Pha­raonen hätten beim Bau der Pyramiden Arbeitskräfte bezahlen müs­sen.«

Cynthia hob die Augenbrauen. »So habe ich das noch nie gesehen.«

»Sklaven wurden vornehmlich Männer, die man vorher im Kampf besiegt hatte. Die Römer hatten viele griechische Sklaven, von denen die meisten viel gebildeter waren als ihre Herren, weswegen die Rö­mer von ihnen erwarteten, daß sie sie unterrichteten. Und die Grie­chen selbst hatten häufig griechische Sklaven, die sie im Kampf ge­gen andere Poleis, also Stadtstaaten, gefangengenommen hatten. Nun, unsere Sklaven waren auch nichts anderes als Besiegte. Daß es sie aber nach Amerika verschlug, kam so: Die Sklaven, die nach Amerika kamen, waren die Unterlegenen in afrikanischen Stammes­fehden, und sie wurden von den Häuptlingen der siegreichen Stämme an die Portugiesen verkauft. Schauen Sie, damals war die Welt sozu­sagen geschrumpft. Niederafrika stand in Verbindung mit Europa, und die Erzeugnisse Europas verlockten die Menschen überall. Nach einer Weile stiegen auch andere Europäer in den Handel ein und segelten mit ihrer menschlichen Fracht nach Südamerika, in die Ka­ribik und nach Nordamerika. Sie fingen sogar an, selbst auf Men­schenjagd zu gehen, wenn die Kriege abebbten. Der Bedarf an Ar­beitskräften in der Neuen Welt war enorm.«

»Mrs. Hogendobber, was hat das mit Thomas Jefferson zu tun?«

»Zweierlei. Erstens ist er in einer Gesellschaft aufgewachsen, in der die meisten Menschen Sklaverei für normal hielten. Und zweitens - und das plagt uns heute noch - waren die Besiegten, die Sklaven, keine Europäer, sondern Afrikaner. Sie konnten nicht mithalten. Verstehen Sie?«