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Cynthia kaute wieder auf ihrem Radiergummi. »Langsam verstehe ich.«

»Selbst wenn ein Sklave oder eine Sklavin sich die Freiheit erkauf­te oder freigelassen wurde oder wenn der afrikanische Mensch von vornherein frei war, so sah er doch nie wie ein Weißer aus. Anders als bei den Römern oder Griechen, deren Sklaven anderen europäi­schen Stämmen oder anderen weißen Völkern angehörten, war die Sklaverei in Amerika mit einem Stigma behaftet, weil sie automa­tisch mit der Hautfarbe in Verbindung gebracht wurde - mit furcht­baren Folgen.«

Harry warf ein: »Aber Jefferson glaubte an die Freiheit. Er fand Sklaverei grausam, doch ohne seine Sklaven konnte er nicht existie­ren. Er hat sie gut behandelt, und sie standen treu zu ihm, weil er, verglichen mit anderen Sklavenhaltern jener Zeit, ordentlich für sie sorgte. Aber er war in einer Zwickmühle. Er konnte sich nicht vor­stellen, seine Ansprüche herunterzuschrauben. Die Virginier sehen sich heute wie damals als englische Lords und Ladys. Damit ist ein sehr, sehr hoher Lebensstandard verbunden.«

»Der ihn ruiniert hat.« Mrs. Hogendobber nickte traurig mit dem Kopf. »Und noch seine Erben belastet hat.«

»Ja, aber das Interessanteste an Jefferson war, jedenfalls für mich, seine Erkenntnis, was die Sklaverei den Menschen antut. Er sagte, sie zerstöre den Unternehmungsgeist der Herren, während sie die Opfer erniedrige. Sie unterhöhle die Fundamente der Freiheit. Er glaubte fest daran, daß die Freiheit ein Geschenk Gottes und das Recht aller Menschen sei. Deshalb entwarf er einen Plan für eine allmähliche Abschaffung der Sklaverei. Natürlich hat keiner auf ihn gehört.«

»Haben sich auch andere Leute auf diese Weise ruiniert?«

»Sie müssen bedenken, daß die Generation, die im Unabhängig­keitskrieg gekämpft hat, zusehen mußte, wie ihre Währung immer mehr abgewertet wurde, bis sie am Ende ihre Kaufkraft völlig einge­büßt hatte. Das einzig wirklich Sichere war Landbesitz, schätze ich.« Mrs. Hogendobber überlegte laut: »Jefferson hat eine Menge verlo­ren. James Madison hat sich sein Leben lang mit hohen Schulden und mit den Widersprüchen der Sklaverei geplagt, und Dolley mußte nach seinem Tod Montpelier verkaufen, das Haus seiner Mutter, in dem sie später gewohnt hatten. A propos Sklaverei, einer von James' Sklaven, der Dolley wie eine Mutter liebte, gab ihr seine gesamten Ersparnisse, und er blieb bei ihr und arbeitete weiterhin für sie. Wie Sie sehen, waren die Gefühle zwischen Herrn oder Herrin und Skla­ven äußerst komplex. Die Menschen haben sich über einen Abgrund an Ungerechtigkeit hinweg geliebt. Ich fürchte, das ist uns verloren­gegangen.«

»Wir müssen lernen, uns als Gleiche zu lieben«, sagte Harry ernst und zitierte aus der Bill of Rights.>Dies halten wir für die unumstöß­liche Wahrheit: Alle Menschen sind von Natur gleichermaßen frei und unabhängig und besitzen gewisse angeborene Rechte; nämlich das Recht auf Leben und Freiheit und dazu die Möglichkeit, Glück und Sicherheit zu erstreben und zu erlangen.<«

»Geschichte. Auf dem College habe ich sie gehaßt. Sie beide lassen sie lebendig werden«, lobte Cynthia sie und ihren kurzen Exkurs über Jefferson.

»Sie ist lebendig. Diese Wände atmen. Alles, was jemals auf Erden getan oder unterlassen wurde, hat Auswirkungen auf uns. Alles!« ereiferte sich Mrs. Hogendobber.

Harry, von Mrs. Hogendobbers Ausführungen gebannt, hörte drau­ßen eine Eule schreien. Der tiefe, traurige Klang brach den Bann und erinnerte sie an Athene, die Göttin der Weisheit, der die Eule ge­weiht war. Die Weisheit war geboren aus der Nacht, aus Einsamkeit und tiefem Denken. Es war den Griechen und denen, die sich über Tausende von Jahren mythologischer Metaphern bedient hatten, so unendlich klar gewesen. Sie hatte es soeben erkannt. Sie wollte diese Offenbarung gerade mitteilen, als ihr Blick auf eine Ausgabe von Dumas Malones meisterhaften Aufsätzen über das Leben Thomas Jeffersons fiel. Es war der sechste und letzte Band,The Sage of Mon­ticello. Der Weise von Monticello.

»Ich kann mich nicht erinnern, dieses Buch hier gesehen zu ha­ben.«

Mrs. Hogendobber bemerkte das Buch auf dem Stuhl. Die anderen fünf Bände standen in den Milchkisten, die als Bücherregale dienten. »Ich auch nicht.«

»Hier.« Harry schlug eine Seite auf, die Kimball mit einem dieser kleinen grauen Karteireiter markiert hatte, wie man sie manchmal in Teebeutelschachteln findet. »Sehen Sie sich das an.«

Cynthia und Mrs. Hogendobber beugten sich über das Buch, in dem Kimball auf Seite 513 mit einem pinkfarbenen Textmarker fol­gende Stelle hervorgehoben hatte: »Alle fünf nach Jeffersons Verfü­gung freigelassenen Sklaven waren Mitglieder seiner Familie; andere waren schon vorher freigelassen worden, oder man hatte ihnen, falls sie als Weiße durchgehen konnten, gestattet fortzulaufen.«

»Gestattet fortzulaufen!« las Mrs. Hogendobber laut.

»Es ist kompliziert, Cynthia, aber dies bezieht sich auf die Familie Hemings. Thomas Jefferson war von seinen politischen Feinden, den Föderalisten, bezichtigt worden, eine langjährige Affäre mit Sally Hemings gehabt zu haben. Wir glauben das nicht, aber die Sklaven haben erklärt, daß Sally die Geliebte von Peter Carr war, Thomas Lieblingsneffen, den er wie einen Sohn aufgezogen hatte.«

»Aber der Clou hier ist, daß Sallys Mutter, ebenfalls eine schöne Frau, halb weiß war. Ihr Name war Betty, und ihr Geliebter, wieder­um laut mündlicher Sklavenüberlieferung und dem, was Thomas Jefferson Randolph gesagt hat, war John Wayles, der Bruder von Jeffersons Frau. Sie sehen, in was für einer Klemme Jefferson ge­steckt hat. Fünfzig Jahre hat der Mann mit dieser Schande über sei­nem Haupt gelebt.«

»Gestattet fortzulaufen«, flüsterte Harry. »Miranda, wir sind am zweiten Base.«

Cooper kratzte sich am Kopf. »Ja, aber wer schlägt den Ball?«

46

Die Bibliothek der Coles erbrachte wenig, was sie nicht schon wuß­ten. Mrs. Hogendobber fand einen rätselhaften Verweis auf Edward Coles, der James Madisons Sekretär und später der erste Gouverneur des Bezirks Illinois gewesen war. Edward, Ned genannt, hatte nie geheiratet oder Kinder gezeugt. Dieser Aufgabe waren andere Coles nachgekommen. Aber ein 1823 datierter Brief enthielt einen Hinweis auf eine Gefälligkeit, die Ned Patsy erwiesen hatte. Jeffersons Toch­ter? Die Gefälligkeit war nicht näher erläutert.

Als die kleine Gruppe von Forscherinnen ging, winkte Samson ih­nen fröhlich nach. Zuvor hatte er sie großzügig mit Erfrischungsge­tränken bewirtet. Lucinda winkte auch.

Sobald der Streifenwagen verschwunden war, ging Lucinda in die Bibliothek. Sie bemerkte, daß das Geschäftsbuch nicht an seinem Platz war. Sie war Harry, Miranda und Cynthia bei der Durchsicht der Aufzeichnungen nicht zur Hand gegangen, weil sie eine Verab­redung in Charlottesville hatte, und Samson war beinahe übereifrig darauf bedacht gewesen, die Gastgeberpflichten zu übernehmen.

Sie suchte die Bibliothek nach dem Ordner ab.

Samson kam hineingeschlendert, ein Glas mit vier Eiswürfeln und seinem Lieblingswhisky Dalwhinnie in der Hand. Er öffnete eine Schranktür und setzte sich in einen Ledersessel. Er schaltete den Fernseher ein, der in dem Schrank verborgen war. Er und Lulu konn­ten es nicht ertragen, ein Fernsehgerät im Raum stehen zu sehen. Sah zu sehr nach Mittelklasse aus.

»Samson, wo ist dein Geschäftsbuch?«

»Das hat nichts mit Jefferson oder seinen Nachkommen zu tun, meine Liebe.«

»Nein, aber es hat eine Menge mit Kimball Haynes zu tun.«

Er stellte den Ton ab, und sie riß ihm die Fernbedienung aus der Hand und schaltete den Fernseher ganz aus.

»Verdammt, was ist los mit dir?« Sein Gesicht lief rot an.

»Dasselbe könnte ich dich fragen. Ich erreiche dich kaum noch an deinem Mobiltelefon. Wenn ich dich dort anrufe, wo du angeblich hingehen wolltest, bist du nicht da. Ich bin vielleicht nicht die hellste Frau der Welt, Samson, aber die dümmste bin ich auch nicht.« »Ach, fang bloß nicht wieder mit diesen Parfüm-Vorhaltungen an. Das ist doch längst abgehakt.«