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»Eng ist es hier«, bemerkte Susan. »Ist das nur vorübergehend?«

Er schüttelte den Kopf. »Wir können nicht einfach drauflosbauen, und was hier im Laufe der Jahre angebaut wurde - naja, da wurde viel Schaden angerichtet. Außerdem bin ich sowieso meistens drau­ßen, da genügt mir das hier, und ein paar Bücher habe ich im ersten Stock vom Herrenhaus untergebracht - ich habe also etwas mehr Platz, als es scheint. Hier, sehen Sie sich das an.« Er griff in einen Haufen Hufeisen, die auf der Erde lagen, und reichte Harry ein enorm großes Eisen.

Sie nahm den verrosteten Gegenstand in die Hände und drehte ihn vorsichtig um. »Mit Stollen und Griff. Ich kann nicht erkennen, ob hinten auch Griffe waren, aber es ist möglich. Dieses Pferd hat schwer gearbeitet. Ein Zugpferd, das steht fest.«

»So, und jetzt sehen Sie sich mal das hier an.« Er gab ihr ein ande­res Hufeisen.

Harry und Susan stießen einen überraschten Ausruf aus. Das Eisen war leichter, es war für ein kleineres Pferd gemacht und hatte über dem hinteren Teil einen Bügel, der die zwei Schenkel des Eisens miteinander verband.

Harry legte ihrer Freundin das Hufeisen in die Hand. »Was meinst du, Susan?«

»Dazu brauchen wir Steve O'Grady.« Susan meinte den Tierarzt in der Nachbarschaft, einen Experten für Hufprobleme. Er war ein Kol­lege von Fair Haristeen, der sich auf Pferdezucht spezialisiert hatte. »Aber ich würde sagen, dieses Eisen gehörte auf jeden Fall einem Pferd aus einer Liebhaberzucht, einem Reitpferd. Es ist ein Bügel­hufeisen...«

»Weil das Pferd ein Problem hatte. Vielleicht mit dem Kronbein.« Harry tippte auf eine Degenerationserscheinung des Kronbeins gleich hinter dem Hufbein, dem Hauptknochen des Hufes, der oft ein Spezialeisen erforderte, um die Beschwerden zu lindern.

»Kann sein, aber der Hufschmied wollte dem Tier offensichtlich hinten mehr Trittfläche geben. Er hat den Auftrittspunkt hinter den normalen Absatzbereich verlegt.« Kimball legte seine Hand auf den Schreibtisch; mit den Fingern stellte er den vorderen und mit dem Handteller den hinteren Teil des Hufes dar und demonstrierte so, wie das Spezialeisen den Auftrittspunkt verlagern konnte.

Harry bewunderte die Detektivarbeit, die er an dem Hufeisen gelei­stet hatte. »Ich wußte gar nicht, daß Sie reiten.«

Kimball lächelte. »Tu ich gar nicht. Pferde sind mir zu groß.«

»Aber woher wissen Sie das dann? Nicht mal die meisten Reiter kümmern sich groß um Hufeisen und Beschlagen. Sie lernen nichts darüber.« Susan, eine passionierte Reiterin, die es wichtig fand, daß man sich in allen Aspekten der Pferdepflege auskannte und nicht einfach nur auf den Rücken des Pferdes sprang, war ungeheuer neu­gierig.

Er streckte die Hände aus. »Ich habe einen Fachmann gefragt.«

»Wen?«

»Dr. O'Grady.« Kimball lachte. »Aber ich mußte trotzdem noch herumtelefonieren und in Bibliotheken nachforschen, ob sich bei Hufeisen im Laufe der Jahrhunderte sehr viel geändert hat. Sehen Sie, das liebe ich so an dieser Arbeit. Nein, Arbeit ist nicht das rich­tige Wort, es ist ein magischer Weg, gleichzeitig in der Vergangen­heit und der Gegenwart zu leben. Ich meine, die Vergangenheit durchdringt stets die Gegenwart, sie ist immer bei uns, im Guten wie im Schlechten. An dem zu arbeiten, was man liebt - das ist die höch­ste Freude.«

»Es ist wundervoll«, stimmte Harry ihm zu. »Ich möchte nicht be­haupten, daß das, was ich mache, so erhaben ist wie Ihr Beruf, aber ich mag meine Arbeit auch, ich mag die Menschen, und vor allem mag ich Crozet.«

»Wir haben Glück gehabt.« Susan wußte nur zu gut, welchen Tri­but Unzufriedenheit fordern kann. Sie hatte gesehen, wie ihr Vater sich zur Arbeit schleppte, die er haßte. Sie hatte ihn verkümmern sehen. Er hatte so große Mühe damit gehabt, seine Familie zu ernäh­ren, daß er es versäumt hatte, bei seiner Familie zu sein. Susan hätte lieber weniger Sachen und dafür mehr von ihrem Dad gehabt. »Hausfrau und Mutter zu sein mag ja nicht nach viel aussehen, aber es war genau das, was ich wollte. Ich würde nicht eine Minute der ersten Jahre missen wollen, als die Kinder klein waren. Nicht eine Sekunde.«

»Dann sind sie es, die Glück gehabt haben«, sagte Harry.

Kimball, der ihr stumm beipflichtete, zog eine Schublade auf und nahm eine Porzellanscherbe mit einem blaßblauen Muster auf grau­em Hintergrund heraus. »Das habe ich vorige Woche in Hütte Num­mer vier gefunden.« Er drehte die Scherbe um, auf der Rückseite war eine Ziffer zu erkennen. »Ich bewahre sie hier auf, um damit herum­zuspielen und mir dabei meine Gedanken zu machen. Wie kam die­ses Stück feines Porzellan in eine Sklavenhütte? War es schon vorher zerbrochen? Hat die Bewohnerin der kleinen Hütte es selbst zerbro­chen - wir wissen, wer in Hütte Nummer vier gewohnt hat - und aus dem Herrenhaus mitgenommen, um das Mißgeschick zu vertuschen? Oder sind die Dienstboten, wenn Sie mir den Euphemismus verzei­hen, direkt zum Herrn gegangen, haben den Schaden gebeichtet und sind mit den Bruchstücken belohnt worden? Oder aber hat die Skla­vin es einfach nur genommen, um etwas Schönes zu haben, das sie sich ansehen konnte, um etwas zu besitzen, das einem reichen Wei­ßen gehörte, um sich für einen Moment als Angehörige der herr­schenden statt der beherrschten Klasse zu fühlen? Fragen über Fra­gen.«

Susan hob die Hand. »Ich habe eine, die Sie beantworten können.«

»Schießen Sie los.«

»Wo ist hier die Toilette?«

5

Larry Johnson hatte sich an seinem 65. Geburtstag zur Ruhe setzen wollen. Drei Jahre bevor er das Pensionsalter erreichte, hatte er einen Partner in seine Praxis aufgenommen, Dr. med. Hayden McIntyre, damit die Bewohner von Crozet sich an einen neuen Arzt gewöhnen konnten. Mit 71 Jahren praktizierte Larry immer noch. Er sagte, er könne die Langeweile des Ruhestandes nicht ertragen. Wie die mei­sten in einer anderen Zeit ausgebildeten Ärzte war er Mitglied der Gemeinde, nicht irgend so ein hochgestochener Außenseiter, der gekommen war, um den Kleinstädtern mit seinem überlegenen Wis­sen zu imponieren. Larry kannte auch die Geheimnisse: wer abge­trieben hatte, bevor Schwangerschaftsabbruch legal wurde, welche braven Bürger Syphilis gehabt hatten, wer heimlich trank, in welchen Familien eine Veranlagung zu Alkoholismus, Diabetes, Wahnsinn, sogar Gewalttätigkeit bestand. Er hatte im Laufe der Jahre viel gese­hen, und er verließ sich auf seinen Instinkt. Es war ihm ziemlich egal, ob das wissenschaftlich schlüssig war, und eine der Lektionen, die Larry gelernt hatte, war die, daß es tatsächlich so etwas gibt wie böses Blut.

»Lesen Sie die Zeitschriften, bevor Sie sie in unser Fach legen?« Der Doktor blätterte imNew Englandjournal of Mediane, das er soeben aus seinem Postfach gezogen hatte.

Harry lachte. »Es würde mich schon reizen, aber mir fehlt die Zeit.«

»Der Tag müßte sechsunddreißig Stunden haben.« Er nahm seinen flachen Filzhut vom Kopf und schüttelte die Regentropfen ab. »Wir versuchen alle, in zu wenig Zeit zu viel zu tun. Es geht immer nur ums Geld. Diese Haltung wird uns noch umbringen. Sie wird Ameri­ka umbringen.«

»Übrigens, gestern bin ich mit Susan oben in Monticello gewesen.«

»Bei Susan ist mal wieder ein Check-up fällig.«

»Ich werd's ihr ausrichten.«

»Verzeihung, ich wollte Sie nicht unterbrechen.« Er zuckte resi­gniert mit den Achseln. »Aber wenn ich nicht sofort sage, was mir in den Sinn kommt, vergesse ich es. Schwups, ist es weg.« Er hielt in­ne. »Ich werde alt.«

»Ha«, erklärte Mrs. Murphy.»Harry ist noch keine Fünfunddrei­ßig, und dauernd vergißt sie was. Zum Beispiel den Autoschlüssel.«

Tucker verteidigte ihr Frauchen. »Den hat sie bloß einmal verges­sen.«

»Ihr zwei seid ja mopsfidel.« Larry kniete sich hin, um Tucker zu streicheln, während Mrs. Murphy auf dem Schalter herumstrich. »Was wollten Sie mir von Monticello erzählen?«