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77.

Von den SeelenMartern. — Bei irgend welchen Martern, die Einer einem fremden Leibe zufügt, schreit jetzt Jedermann laut auf; die Ernpörung gegen einen Menschen, der dessen fähig ist, bricht sofort los; ja, wir zittern schon bei der Vorstellung einer Marter, welche einem Menschen oder Thiere zugefügt werden könnte, und leiden ganz unerträglich, von einer fest bewiesenen Thatsache dieser Art zu vernehmen. Aber man ist noch weit entfernt, in Betreff der Seelen-Martern und der Entsetzlichkeit ihrer Zufügung ebenso allgemein und bestimmt zu empfinden. Das Christenthum hat sie in einem unerhörten Maasse zur Anwendung gebracht und predigt diese Art Folter noch fortwährend, ja, es klagt ganz unschuldig über Abfall und Lauwerden, wenn es einen Zustand ohne solche Martern antrifft, — Alles mit dem Ergebniss, dass die Menschheit sich gegen den geistigen Feuertod, die geistigen Foltern und Folterwerkzeuge heute noch mit der gleichen ängstlichen Geduld und Unentschlossenheit benimmt, wie ehemals gegen die Grausamkeit am Leibe von Mensch und Thier. Die Hölle ist wahrlich kein bloses Wort geblieben: und den neu geschaffenen wirklichen Höllenängsten hat auch eine neue Gattung des Mitleidens entsprochen, ein grässliches centnerschweres, früheren Zeiten unbekanntes Erbarmen mit solchen» unwiderruflich zur Hölle Verdammten«, wie es zum Beispiel der steinerne Gast gegen Don Juan zu erkennen giebt und welches in den christlichen Jahrhunderten wohl zum Öfteren schon Steine zum Wehklagen gebracht hat. Plutarch giebt ein düsteres Bild vom Zustand eines Abergläubischen innerhalb des Heidenthums: diess Bild wird harmlos, wenn man den Christen des Mittelalters dagegen hält, welcher muthmaasst, er möchte der» ewigen Qual «nicht mehr entrinnen können. Ihm zeigen sich entsetzliche Ankündiger: vielleicht ein Storch, der eine Schlange im Schnabel hält und noch zögert, sie zu verschlucken. Oder die Natur wird plötzlich bleich, oder es fliegen glühende Farben über den Boden hin. Oder die Gestalten von verstorbenen Anverwandten nahen, mit Gesichtern, welche Spuren furchtbarer Leiden tragen. Oder die dunklen Wände im Zimmer des Schlafenden erhellen sich und auf ihnen zeigen sich in gelbem Qualme Marterwerkzeuge und ein Gewirr von Schlangen und Teufeln. Ja, welche entsetzliche Stätte hat das Christenthum schon dadurch aus der Erde zu machen gewusst, dass es überall das Crucifix aufrichtete und dergestalt die Erde als den Ort bezeichnete,»wo der Gerechte zu Tode gemartert wird«! Und wenn die Gewalt grosser Bussprediger einmal all das heimliche Leiden der Einzelnen, die Marter des Kämmerleins «in die Öffentlichkeit trieb, wenn zum Beispiel ein Whitefield predigte» wie ein Sterbender zu Sterbenden«, bald heftig weinend, bald laut stampfend und leidenschaftlich, mit den einschneidendsten und plötzlichsten Tönen, und ohne Scheu davor, die ganze Wucht eines Angriffs auf eine einzelne anwesende Person zu richten und sie auf eine furchtbare Weise aus der Gemeinde auszusondern, — wie schien sich da jedesmal die Erde wirklich in die» Wiese des Unheils «umwandeln zu wollen! Man sah dann ganze zusammengeströmte Massen wie unter dem Anfall Eines Wahnsinns; Viele in Krämpfen der Angst; Andre lagen da, ohne Bewusstsein, bewegungslos: Einige zitterten heftig oder durchschnitten die Luft mit durchdringendem, stundenlang anhaltendem Geschrei. überall ein lautes Athmen, wie von Leuten, die halberwürgt nach Lebensluft schnappten.»Und wirklich, sagt ein Augenzeuge einer solchen Predigt, waren fast alle zu Gehör kommenden Laute diejenigen von Menschen, die in bitterer Qual sterben.«— Vergessen wir nie, wie erst das Christenthum es war, das aus dem Sterbebett ein Marterbett gemacht hat, und dass mit den Scenen, welche auf ihm zeither gesehen wurden, mit den entsetzlichen Tönen, welche hier zum ersten Male möglich erschienen, die Sinne und das Blut zahlloser Zeugen für ihr Leben und das ihrer Nachkommen vergiftet worden sind! Man denke sich einen harmlosen Menschen, der es nicht verwinden kann, einmal solche Worte gehört zu haben:»Oh Ewigkeit! Oh dass ich keine Seele hätte! Oh dass ich nie geboren wäre! Ich bin verdammt, verdammt, auf immer verloren. Vor sechs Tagen hättet ihr mir helfen können. Aber es ist vorbei. Ich gehöre jetzt dem Teufel, ich will mit ihm zur Hölle gehen. Brechet, brechet, arme steinerne Herzen! Wollt ihr nicht brechen? Was kann noch mehr geschehen für steinerne Herzen? Ich bin verdammt, damit ihr gerettet werdet! Da ist er! Ja, da ist er! Komm, guter Teufel! Komm!«—

78.

Die strafende Gerechtigkeit. — Unglück und Schuld, — diese beiden Dinge sind durch das Christenthum auf Eine Wage gesetzt worden: sodass, wenn das Unglück gross ist, das auf eine Schuld folgt, jetzt immer noch unwillkürlich die Grösse der Schuld selber darnach zurückbemessen wird. Diess aber ist nicht antik, und desshalb gehört die griechische Tragödie, in der so reichlich und doch in so anderem Sinne von Unglück und Schuld die Rede ist, zu den grossen Befreierinnen des Gemüths, in einem Maasse, wie es die Alten selber nicht empfinden konnten. Sie waren so harmlos geblieben, zwischen Schuld und Unglück keine» adäquate Relation «anzusetzen. Die Schuld ihrer tragischen Heroen ist wohl der kleine Stein, über welchen diese stolpern und desswegen sie wohl den Arm brechen oder sich ein Auge ausschlagen: die antike Empfindung sagte dazu:»Ja, er hätte etwas bedachtsamer und weniger übermüthig seinen Weg machen sollen!«Aber erst dem Christenthum war es vorbehalten, zu sagen:»Hier ist ein schweres Unglück, und hinter ihm muss eine schwere, gleichschwere Schuld verborgen liegen, ob wir sie schon nicht deutlich sehen! Empfindest du Unglücklicher nicht so, so bist du verstockt, — du wirst noch Schlimmeres zu erleben haben!«— Sodann gab es im Alterthum wirklich noch Unglück, reines, unschuldiges Unglück; erst im Christenthum wird alles Strafe, wohlverdiente Strafe: es macht die Phantasie des Leidenden auch noch leidend, sodass er bei allem Übel-ergehen sich moralisch verwerflich und verworfen fühlt. Arme Menschheit! — Die Griechen haben ein eigenes Wort für die Empörung über das Unglück des Andern: dieser Affect war unter christlichen Völkern unstatthaft und hat sich wenig entwickelt, und so fehlt ihnen auch der Name für diesen männlicheren Bruder des Mitleidens.

79.

Ein Vorschlag. — Wenn unser Ich, nach Pascal und dem Christenthume, immer hassenswerth ist, wie dürften wir es auch nur gestatten und annehmen, dass Andre es liebten — sei es Gott oder Mensch! Es wäre wider allen guten Anstand, sich lieben zu lassen und dabei recht wohl zu wissen, dass man nur Hass verdiene, — um von anderen, abwehrenden Empfindungen zu schweigen. — »Aber diess ist eben das Reich der Gnade.«— So ist euch eure Nächstenliebe eine Gnade? Euer Mitleid eine Gnade? Nun, wenn euch diess möglich ist, so thut noch einen Schritt weiter: liebt euch selber aus Gnade, — dann habt ihr euren Gott gar nicht mehr nöthig, und das ganze Drama von Sündenfall und Erlösung spielt sich in euch selber zu Ende!

80.

Der mitleidige Christ. — Die Kehrseite des christlichen Mitleidens am Leiden des Nächsten ist die tiefe Beargwöhnung aller Freude des Nächsten, seiner Freude an Allem, was er will und kann.

81.

Humanität des Heiligen. — Ein Heiliger war unter die Gläubigen gerathen und konnte ihren beständigen Hass auf die Sünde nicht mehr aushalten. Zuletzt sagte er:»Gott hat alle Dinge geschaffen, nur die Sünde nicht: was Wunder, dass er ihr nicht gewogen ist? — Aber der Mensch hat die Sünde geschaffen — und er sollte diess sein einziges Kind verstossen, blos weil es Gott, dem Grossvater der Sünde, missfällt! Ist das human? Alle Ehre Dem, dem Ehre gebührt! — aber Herz und Pflicht sollten doch zuerst für das Kind sprechen — und zuzweit erst für die Ehre des Grossvaters!»

82.

Der geistliche Überfall. — »Das musst du mit dir selber ausmachen, denn es gilt dein Leben, «mit diesem Zurufe springt Luther heran und meint, wir fühlten uns das Messer an den Hals gelegt. Wir aber wehren ihn mit den Worten eines Höheren und Bedachtsameren von uns ab:»Es steht bei uns, über Diess und Das keine Meinung zu bilden und so unsrer Seele die Unruhe zu ersparen. Denn die Dinge selbst können ihrer Natur nach uns keine Urtheile abnöthigen.»

83.

Arme Menschheit! — Ein Tropfen Blut zu viel oder zu wenig im Gehirn kann unser Leben unsäglich elend und hart machen, dass wir mehr an diesem Tropfen zu leiden haben, als Prometheus an seinem Geier. Aber zum Schrecklichsten kommt es erst, wenn man nicht einmal weiss, dass jener Tropfen die Ursache ist. Sondern» der Teufel«! Oder» die Sünde«! —

84.

Die Philologie des Christenthums. — Wie wenig das Christenthum den Sinn für Redlichkeit und Gerechtigkeit erzieht, kann man ziemlich gut nach dem Charakter der Schriften seiner Gelehrten abschätzen: sie bringen ihre Muthmaassungen so dreist vor wie Dogmen und sind über der Auslegung einer Bibelstelle selten in einer redlichen Verlegenheit. Immer wieder heisst es» ich habe Recht, denn es steht geschrieben — «und nun folgt eine unverschämte Willkürlichkeit der Auslegung, dass ein Philologe, der es hört, mitten zwischen Ingrimm und Lachen stehen bleibt und sich immer wieder fragt: ist es möglich! ist diess ehrlich? Ist es auch nur anständig? — Was in dieser Hinsicht immer noch auf protestantischen Kanzeln an Unredlichkeit verübt wird, wie plump der Prediger den Vortheil ausbeutet, dass ihm hier Niemand in's Wort fällt, wie hier die Bibel gezwickt und gezwackt und die Kunst des Schlecht-Lesens dem Volke in aller Form beigebracht wird: das unterschätzt nur Der, welcher nie oder immer in die Kirche geht. Zuletzt aber: was soll man von den Nachwirkungen einer Religion erwarten, welche in den Jahrhunderten ihrer Begründung jenes unerhörte philologische Possenspiel um das alte Testament aufgeführt hat: ich meine den Versuch, das alte Testament den Juden unter dem Leibe wegzuziehen, mit der Behauptung, es enthalte Nichts als christliche Lehren und gehöre den Christen als dem wahren Volke Israeclass="underline" während die Juden es sich nur angemaasst hätten. Und nun ergab man sich einer Wuth der Ausdeutung und Unterschiebung, welche unmöglich mit dem guten Gewissen verbunden gewesen sein kann: wie sehr auch die jüdischen Gelehrten protestirten; überall sollte im alten Testament von Christus und nur von Christus die Rede sein, überall namentlich von seinem Kreuze, und wo nur ein Holz, eine Ruthe, eine Leiter, ein Zweig, ein Baum, eine Weide, ein Stab genannt wird, da bedeute diess eine Prophezeiung auf das Kreuzesholz: selbst die Aufrichtung des Einhorns und der ehernen Schlange, selbst Moses, wenn er die Arme zum Gebet ausbreitet, ja selbst die Spiesse, an denen das Passahlamm gebraten wird, — alles Anspielungen und gleichsam Vorspiele des Kreuzes! Hat diess jemals Jemand geglaubt, der es behauptete? Man erwäge, dass die Kirche nicht davor erschrak, den Text der Septuaginta zu bereichern (z. B. bei Psalm 961 V. 10), um die eingeschmuggelte Stelle nachher im Sinne der christlichen Prophezeiung auszunützen. Man war eben im Kampfe und dachte an die Gegner, und nicht an die Redlichkeit.