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85.

Feinheit im Mangel. — Spottet nur nicht über die Mythologie der Griechen, weil sie so wenig eurer tiefsinnigen Metaphysik gleicht! Ihr solltet ein Volk bewundern, das seinem scharfen Verstande hier gerade Halt gebot und lange Zeit Tact genug hatte, der Gefahr der Scholastik und des spitzfindigen Aberglaubens auszuweichen!

86.

Die christlichen Interpreten des Leibes. — Was nur immer von dem Magen, den Eingeweiden, dem Herzschlage, den Nerven, der Galle, dem Samen herkomme — alle jene Verstimmungen, Entkräftungen, Überreizungen, die ganze Zufälligkeit der uns so unbekannten Maschine! — Alles das muss so ein Christ wie Pascal als ein moralisches und religiöses Phänomen nehmen, mit der Frage, ob Gott oder Teufel, ob gut oder böse, ob Heil oder Verdammniss darin ruhen! Oh über den unglücklichen Interpreten! Wie er sein System winden und quälen muss! Wie er sich selber winden und quälen muss, um Recht zu behalten!

87.

Das sittliche Wunder. — Das Christenthum kennt im Sittlichen nur das Wunder: die plötzliche Veränderung aller Werthurtheile, das plötzliche Aufgeben aller Gewohnheiten, die plötzliche unwiderstehliche Neigung zu neuen Gegenständen und Personen. Es fasst dieses Phänomen als die Wirkung Gottes und nennt es den Act der Wiedergeburt, es giebt ihm einen einzigen unvergleichlichen Werth, — Alles, was sonst Sittlichkeit heisst und ohne Bezug zu jenem Wunder ist, wird dem Christen damit gleichgültig, ja vielleicht sogar, als Wohlgefühl, Stolzgefühl, ein Gegenstand der Furcht. Im neuen Testament ist der Kanon der Tugend, des erfüllten Gesetzes aufgestellt: aber so, dass es der Kanon der unmöglichen Tugend ist: die sittlich noch strebenden Menschen sollen sich im Angesichte eines solchen Kanons ihrem Ziele immer ferner fühlen lernen, sie sollen an der Tugend verzweifeln und sich endlich dem Erbarmenden an's Herz werfen, — nur mit diesem Abschlusse konnte das sittliche Bemühen bei einem Christen noch als werthvoll gelten, vorausgesetzt also, dass es immer ein erfolgloses, unlustiges, melancholisches Bemühen bleibe; so konnte es noch dazu dienen, jene ekstatische Minute herbeizuführen, wo der Mensch den Durchbruch der Gnade «und das sittliche Wunder erlebt: — aber nothwendig ist dieses Ringen nach Sittlichkeit nicht, denn jenes Wunder überfällt nicht selten gerade den Sünder, wenn er gleichsam vom Aussatze der Sünde blüht; ja, es scheint selber der Sprung aus der tiefsten und gründlichsten Sündhaftigkeit in ihr Gegentheil etwas Leichteres und, als sinnfälliger Beweis des Wunders, auch etwas Wünschbareres zu sein. — Was übrigens ein solcher plötzlicher vernunftloser und unwiderstehlicher Umschlag, ein solcher Wechsel von tiefstem Elend und tiefstem Wohlgefühl physiologisch zu bedeuten habe (ob vielleicht eine maskirte Epilepsie?), — das mögen die Irrenärzte erwägen, welche ja dergleichen» Wunder«(zum Beispiel als Mordmanie, Manie des Selbstmordes) reichlich zu beobachten haben. Der verhältnissmässig» angenehmere Erfolg «im Falle des Christen macht keinen wesentlichen Unterschied. —

88.

Luther der grosse Wohlthäter. — Das Bedeutendste, was Luther gewirkt hat, liegt in dem Misstrauen, welches er gegen die Heiligen und die ganze christliche vita contemplativa geweckt hat: seitdem erst ist der Weg zu einer unchristlichen vita contemplativa in Europa wieder zugänglich geworden und der Verachtung der weltlichen Thätigkeit und der Laien ein Ziel gesetzt. Luther, der ein wackerer Bergmannssohn blieb, als man ihn in's Kloster gesperrt hatte und hier, in Ermangelung anderer Tiefen und» Teufen«, in sich einstieg und schreckliche dunkle Gänge bohrte, — er merkte endlich, dass ein beschauliches heiliges Leben ihm unmöglich sei und dass seine angeborene» Activität «in Seele und Leib ihn zu Grunde richten werde. Allzulange versuchte er mit Kasteiungen den Weg zum Heiligen zu finden, — endlich fasste er seinen Entschluss und sagte bei sich:»es giebt gar keine wirkliche vita contemplativa! Wir haben uns betrügen lassen! Die Heiligen sind nicht mehr werth gewesen, als wir Alle.«— Das war freilich eine bäuerische Art, Recht zu behalten, — aber für Deutsche jener Zeit die rechte und einzige: wie erbaute es sie, nun in ihrem Lutherischen Katechismus zu lesen:»ausser den zehn Geboten giebt es kein Werk, das Gott gefallen könnte, — die gerühmten geistlichen Werke der Heiligen sind selbsterdachte.»

89.

Zweifel als Sünde. — Das Christenthum hat das Äusserste gethan, um den Cirkel zu schliessen und schon den Zweifel für Sünde erklärt. Man soll ohne Vernunft, durch ein Wunder, in den Glauben hineingeworfen werden und nun in ihm wie im hellsten und unzweideutigsten Elemente schwimmen: schon der Blick nach einem Festlande, Schon der Gedanke, man sei vielleicht nicht zum Schwimmen allein da, schon die leise Regung unserer amphibischen Natur — ist Sünde! Man merke doch, dass damit die Begründung des Glaubens und alles Nachdenken über seine Herkunft ebenfalls schon als sündhaft ausgeschlossen sind. Man will Blindheit und Taumel und einen ewigen Gesang über den Wellen, in denen die Vernunft ertrunken ist!

90.

Egoismus gegen Egoismus. — Wie Viele schliessen immer noch:»es wäre das Leben nicht auszuhalten, wenn es keinen Gott gäbe!«(oder, wie es in den Kreisen der Idealisten heisst:»es wäre das Leben nicht auszuhalten, wenn ihm die ethische Bedeutsamkeit seines Grundes fehlte!«) — folglich müsse es einen Gott (oder eine ethische Bedeutsamkeit des Daseins) geben! In Wahrheit steht es nur so, dass, wer sich an diese Vorstellungen gewöhnt hat, ein Leben ohne sie nicht wünscht: dass es also für ihn und seine Erhaltung nothwendige Vorstellungen sein mögen, — aber welche Anmaassung, zu decretiren, dass Alles, was für meine Erhaltung nothwendig ist, auch wirklich das ein müsse! Als ob meine Erhaltung etwas Nothwendiges sei! Wie, wenn Andere umgekehrt empfänden! wenn sie gerade unter den Bedingungen jener beiden Glaubensartikel nicht leben möchten und das Leben dann nicht mehr lebenswerth fänden! — Und so steht es jetzt!

91.

Die Redlichkeit Gottes. — Ein Gott, der allwissend und allmächtig ist und der nicht einmal dafür sorgt, dass seine Absicht von seinen Geschöpfen verstanden wird, — sollte das ein Gott der Güte sein? Der die zahllosen Zweifel und Bedenken fortbestehen lässt, Jahrtausende lang, als ob sie für das Heil der Menschheit unbedenklich wären, und der doch wieder die entsetzlichsten Folgen bei einem Sich-vergreifen an der Wahrheit in Aussicht stellt? Würde es nicht ein grausamer Gott sein, wenn er die Wahrheit hätte und es ansehen könnte, wie die Menschheit sich jämmerlich um sie quält? — Aber vielleicht ist es doch ein Gott der Güte, — und er konnte sich nur nicht deutlicher ausdrücken! So fehlte es ihm vielleicht an Geist dazu? Oder an Beredtsamkeit? Um so schlimmer! Dann irrte er sich vielleicht auch in dem, was er seine» Wahrheit «nennt, und er ist selber dem» armen betrogenen Teufel «nicht so fern! Muss er dann nicht beinahe Höllenqualen ausstehen, seine Geschöpfe um seiner Erkenntniss willen so, und in alle Ewigkeit fort noch schlimmer, leiden zu sehen und nicht rathen und helfen zu können, ausser wie ein Taubstummer, der allerhand vieldeutige Zeichen macht, wenn seinem Kinde oder Hunde die schrecklichste Gefahr auf dem Nacken sitzt? — Einem derartig schliessenden und bedrängten Gläubigen wäre wahrlich zu verzeihen, wenn ihm das Mitleiden mit dem leidenden Gott näher läge, als das Mitleiden mit den» Nächsten«, — denn es sind nicht mehr seine Nächsten, wenn jener Einsamste, Uranfänglichste auch der Leidendste, Trostbedürftigste von Allen ist. — Alle Religionen zeigen ein Merkmal davon, dass sie einer frühen unreifen Intellectualität der Menschheit ihre Herkunft verdanken, — sie alle nehmen es erstaunlich leicht mit der Verpflichtung, die Wahrheit zu sagen: sie wissen noch Nichts von einer Pflicht Gottes, gegen die Menschheit wahrhaftig und deutlich in der Mittheilung zu sein. — über den» verborgenen Gott «und über die Gründe, sich so verborgen zu halten und immer nur halb mit der Sprache an's Licht zu kommen, ist Niemand beredter gewesen, als Pascal, zum Zeichen, dass er sich nie darüber hat beruhigen können: aber seine Stimme klingt so zuversichtlich, als ob er einmal mit hinter dem Vorhang gesessen hätte. Er hatte die Witterung einer Unmoralität in dem» deus absconditus «und die grösste Scham und Scheu davor, sich diess einzugestehen: und so redete er, wie Einer, der sich fürchtet, so laut als er konnte.

92.

Am Sterbebette des Christenthums. — Die wirklich activen Menschen sind jetzt innerlich ohne Christenthum, und die mässigeren und betrachtsameren Menschen des geistigen Mittelstandes besitzen nur noch ein zurechtgemachtes, nämlich ein wunderlich vereinfachtes Christenthum. Ein Gott, der in seiner Liebe Alles so fügt, wie es uns schliesslich am besten sein wird, ein Gott, der uns unsere Tugend wie unser Glück giebt und nimmt, sodass es im Ganzen immer recht und gut zugeht und kein Grund bleibt, das Leben schwer zu nehmen oder gar zu verklagen, kurz, die Resignation und Bescheidenheit zur Gottheit erhoben, — das ist das Beste und Lebendigste, was vom Christenthum noch übrig geblieben ist. Aber man sollte doch merken, dass damit das Christenthum in einen sanften Moralismus übergetreten ist: nicht sowohl» Gott, Freiheit und Unsterblichkeit «sind übrig geblieben, als Wohlwollen und anständige Gesinnung und der Glaube, dass auch im ganzen All Wohlwollen und anständige Gesinnung herrschen werden: es ist die Euthanasie des Christenthums.