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167.

Die unbedingten Huldigungen. — Wenn ich an den gelesensten deutschen Philosophen, an den gehörtesten deutschen Musiker und an den angesehensten deutschen Staatsmann denke, so muss ich mir eingestehen: es wird den Deutschen, diesem Volke der unbedingten Gefühle, jetzt recht sauer gemacht, und zwar von ihren eigenen grossen Männern. Es giebt da dreimal ein prachtvolles Schauspiel zu sehen: jedesmal einen Strom, in seinem eigenen, selbstgegrabenen Strombette, und so mächtig bewegt, dass es öfter scheinen könnte, als wollte er den Berg hinaufströmen. Und dennoch, wie weit man seine Verehrung auch treiben möge: wer möchte nicht gern anderer Meinung sein, als Schopenhauer, im Ganzen und Grossen! — Und wer könnte jetzt Einer Meinung mit Richard Wagner sein, im Ganzen und im Kleinen? so wahr es auch sein mag, was Jemand gesagt hat, dass. überall, wo er Anstoss nimmt und wo er Anstoss giebt, ein Problem vergraben liegt, — genug, er selber bringt es nicht an das Licht. — Und endlich, wie Viele möchten von ganzem Herzen mit Bismarck Einer Meinung sein, wenn er selber nur mit sich Einer Meinung wäre oder auch nur Miene machte, es fürderhin zu sein! Zwar: ohne Grundsätze, aber mit Grundtrieben, ein beweglicher Geist im Dienste starker Grundtriebe, und eben desshalb ohne Grundsätze, — das sollte an einem Staatsmanne nichts Auffälliges haben, vielmehr als das Rechte und Naturgemässe gelten; aber leider war es bisher so durchaus nicht deutsch! ebenso wenig, als Lärm um Musik, und Missklang und Missmuth um den Musiker, ebenso wenig, als die neue und ausserordentliche Stellung, welche Schopenhauer wählte: nämlich weder über den Dingen, noch auf den Knieen vor den Dingen — beides hätte noch deutsch heissen können — , sondern gegen die Dinge! Unglaublich! Und unangenehm! Sich in Eine Reihe mit den Dingen stellen und doch als ihr Gegner, zu guterletzt gar als der Gegner seiner selber! — was kann der unbedingte Verehrer mit einem solchen Vorbilde anfangen! Und was überhaupt mit drei solchen Vorbildern, die unter einander selber nicht Frieden halten wollen! Da ist Schopenhauer ein Gegner der Musik Wagner's, und Wagner ein Gegner der Politik Bismarck's, und Bismarck ein Gegner aller Wagnerei und Schopenhauerei! Was bleibt da zu thun! Wohin sich mit seinem Durste nach der» Huldigung in Bausch und Bogen «flüchten! Könnte man sich vielleicht aus der Musik des Musikers einige hundert Tacte guter Musik auslesen, die sich Einem an's Herz legen und denen man sich gern an's Herz legt, weil sie ein Herz haben, — könnte man mit diesem kleinen Raub bei Seite gehen und den ganzen Rest vergessen? Und ein eben solches Abkommen in Hinsicht des Philosophen und des Staatsmannes ausfindig machen, — auslesen, sich an's Herz legen und namentlich den Rest vergessen? Ja, wenn nur das Vergessen nicht so schwer wäre! Da gab es einen sehr stolzen Menschen, der durchaus nur von sich selber Etwas annehmen wollte, Gutes und Schlimmes: als er aber das Vergessen nöthig hatte, konnte er es sich selber nicht geben, sondern musste dreimal die Geister beschwören; sie kamen, sie hörten sein Verlangen, und zuletzt sagten sie:»nur diess gerade steht nicht in unserer Macht!«Sollten die Deutschen sich die Erfahrung Manfred's nicht zu Nutze machen? Warum erst noch die Geister beschwören! Es ist unnütz, man vergisst nicht, wenn man vergessen will. Und wie gross wäre» der Rest«, den man hier, von diesen drei Grössen der Zeit, vergessen müsste, um fürderhin ihr Verehrer in Bausch und Bogen sein zu können! Da ist es doch räthlicher, die gute Gelegenheit zu benutzen und etwas Neues zu versuchen: nämlich in der Redlichkeit gegen sich selber zuzunehmen und aus einem Volke des gläubigen Nachsprechens und der bitterbösen blinden Feindseligkeit ein Volk der bedingten Zustimmung und der wohlwollenden Gegnerschaft zu werden; zunächst aber zu lernen, dass unbedingte Huldigungen vor Personen etwas Lächerliches sind, dass hierin Umlernen auch für Deutsche nicht unrühmlich ist, und dass es einen tiefen, beherzigenswerthen Spruch giebt:»Ce qui importe, ce ne sont point les personnes: mais les choses. «Dieser Spruch ist wie Der, welcher ihn sprach, gross, brav, einfach und schweigsam, — ganz wie Carnot, der Soldat und der Republicaner. — Aber darf man jetzt so von einem Franzosen zu Deutschen sprechen, noch dazu von einem Republicaner? Vielleicht nicht; ja, vielleicht darf man nicht einmal daran erinnern, was Niebuhr seiner Zeit den Deutschen sagen durfte: Niemand habe ihm so sehr den Eindruck der wahren Grösse gegeben, als Carnot.

168.

Ein Vorbild. — Was liebe ich an Thukydides, was macht, dass ich ihn höher ehre, als Plato? Er hat die umfänglichste und unbefangenste Freude an allem Typischen des Menschen und der Ereignisse und findet, dass zu jedem Typus ein Quantum guter Vernunft gehört: diese sucht er zu entdecken. Er hat eine grössere praktische Gerechtigkeit, als Plato; er ist kein Verlästerer und Verkleinerer der Menschen, die ihm nicht gefallen oder die ihm im Leben wehe gethan haben. Im Gegentheiclass="underline" er sieht etwas Grosses in alle Dinge und Personen hinein und zu ihnen hinzu, indem er nur Typen sieht; was hätte auch die ganze Nachwelt, der er sein Werk weiht, mit dem zu schaffen, was nicht typisch wäre! So kommt in ihm, dem Menschen-Denker, jene Cultur der unbefangensten Weltkenntniss zu einem letzten herrlichen Ausblühen, welche in Sophokles ihren Dichter, in Perikles ihren Staatsmann, in Hippokrates ihren Arzt, in Demokrit ihren Naturforscher hatte: jene Cultur, welche auf den Namen ihrer Lehrer, der Sophisten, getauft zu werden verdient und leider von diesem Augenblicke der Taufe an uns auf einmal blass und unfassbar zu werden beginnt, — denn nun argwöhnen wir, es müsse eine sehr unsittliche Cultur gewesen sein, gegen welche ein Plato mit allen sokratischen Schulen kämpfte! Die Wahrheit ist hier so verzwickt und verhäkelt, dass es Widerwillen macht, sie aufzudröseln: so laufe der alte Irrthum (error veritate simplicior) seinen alten Weg!

169.

Das Griechische uns sehr fremd. — Orientalisch oder Modern, Asiatisch oder Europäisch: im Verhältniss zum Griechischen ist diesem Allem die Massenhaftigkeit und der Genuss an der grossen Quantität als der Sprache des Erhabenen zu eigen, während man in Pästum, Pompeji und Athen und vor der ganzen griechischen Architektur so erstaunt darüber wird, mit wie kleinen Massen die Griechen etwas Erhabenes auszusprechen wissen und auszusprechen lieben. — Ebenfalls: wie einfach waren in Griechenland die Menschen sich selber in ihrer Vorstellung! Wie weit übertreffen wir sie in der Menschenkenntniss! Wie labyrinthisch aber auch nehmen sich unsere Seelen und unsere Vorstellungen von den Seelen gegen die ihrigen aus! Wollten und wagten wir eine Architektur nach unserer Seelen-Art (wir sind zu feige dazu!) — so müsste das Labyrinth unser Vorbild sein! Die uns eigene und uns wirklich aussprechende Musik lässt es schon errathen! (In der Musik nämlich lassen sich die Menschen gehen, weil sie wähnen, es sei Niemand da, der sie selber unter ihrer Musik zu sehen vermöge.)

170.

Andere Perspective des Gefühles. — Was ist unser Geschwätz von den Griechen! Was verstehen wir denn von ihrer Kunst, deren Seele — die Leidenschaft für die männliche nackte Schönheit ist! — Erst von da aus empfanden sie die weibliche Schönheit. So hatten sie also für sie eine völlig andere Perspective, als wir. Und ähnlich stand es mit ihrer Liebe zum Weibe: sie verehrten anders, sie verachteten anders.

171.

Die Ernährung des modernen Menschen. — Er versteht Vieles, ja fast Alles zu verdauen, — es ist seine Art Ehrgeiz: aber er würde höherer Ordnung sein, wenn er diess gerade nicht verstünde; homo pamphagus ist nicht die feinste Species. Wir leben zwischen einer Vergangenheit, die einen verrückteren und eigensinnigeren Geschmack hatte, als wir, und einer Zukunft, die vielleicht einen gewählteren haben wird, — wir leben zu sehr in der Mitte.

172.

Tragödie und Musik. — Männer in einer kriegerischen Grundverfassung des Gemüths, wie zum Beispiel die Griechen in der Zeit des Aschylus, sind schwer zu rühren, und wenn das Mitleiden einmal über ihre Härte siegt, so ergreift es sie wie ein Taumel und gleich einer» dämonischen Gewalt«, — sie fühlen sich dann unfrei und von einem religiösen Schauder erregt. Hinterher haben sie ihre Bedenken gegen diesen Zustand; so lange sie in ihm sind, geniessen sie das Entzücken des Ausser-sichseins und des Wunderbaren, gemischt mit dem bittersten Wermuth des Leidens: es ist das so recht ein Getränk für Krieger, etwas Seltenes, Gefährliches und Bittersüsses, das Einem nicht leicht zu Theil wird. — An Seelen, die so das Mitleiden empfinden, wendet sich die Tragödie, an harte und kriegerische Seelen, welche man schwer besiegt, sei es durch Furcht, sei es durch Mitleid, welchen es aber nütze ist, von Zeit zu Zeit erweicht zu werden: aber was soll die Tragödie Denen, welche den» sympathischen Affectionen «offen stehen wie die Segel den Winden! Als die Athener weicher und empfindsamer geworden waren, zur Zeit Plato's, — ach, wie ferne waren sie noch von der Rührseligkeit unserer Gross- und Kleinstädter! — aber doch klagten schon die Philosophen über die Schädlichkeit der Tragödie. Ein Zeitalter voller Gefahren, wie das eben beginnende, in welchem die Tapferkeit und Männlichkeit im Preise steigen, wird vielleicht allmählich die Seelen wieder so hart machen, dass tragische Dichter ihnen noth thun: einstweilen aber waren diese ein Wenig überflüssig, — um das mildeste Wort zu gebrauchen. — So kommt vielleicht auch für die Musik noch einmal das bessere Zeitalter (gewiss wird es das bösere sein!), dann, wenn die Künstler sich mit ihr an streng persönliche, in sich harte, vom dunklen Ernste eigener Leidenschaft beherrschte Menschen zu wenden haben: aber was soll die Musik diesen heutigen allzubeweglichen, unausgewachsenen, halbpersönlichen, neugierigen und nach Allem lüsternen Seelchen des verschwindenden Zeitalters?

173.

Die Lobredner der Arbeit. — Bei der Verherrlichung der» Arbeit«, bei dem unermüdlichen Reden vom» Segen der Arbeit «sehe ich den selben Hintergedanken, wie bei dem Lobe der gemeinnützigen unpersönlichen Handlungen: den der Furcht vor allem Individuellen. Im Grunde fühlt man jetzt, beim Anblick der Arbeit — man meint immer dabei jene harte Arbeitsamkeit von früh bis spät — , dass eine solche Arbeit die beste Polizei ist, dass sie jeden im Zaume hält und die Entwickelung der Vernunft, der Begehrlichkeit, des Unabhängigkeitsgelüstes kräftig zu hindern versteht. Denn sie verbraucht ausserordentlich viel Nervenkraft und entzieht dieselbe dem Nachdenken, Grübeln, Träumen, Sorgen, Lieben, Hassen, sie stellt ein kleines Ziel immer in's Auge und gewährt leichte und regelmässige Befriedigungen. So wird eine Gesellschaft, in welcher fortwährend hart gearbeitet wird, mehr Sicherheit haben: und die Sicherheit betet man jetzt als die oberste Gottheit an. — Und nun! Entsetzen! Gerade der» Arbeiter «ist gefährlich geworden! Es wimmelt von» gefährlichen Individuen«! Und hinter ihnen die Gefahr der Gefahren — das individuum!