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281.

Das Ich will Alles haben. — Es scheint, dass der Mensch überhaupt nur handelt, um zu besitzen: wenigstens legen die Sprachen diesen Gedanken nahe, welche alles vergangene Handeln so betrachten, als ob wir damit Etwas besässen (»ich habe gesprochen, gekämpft, gesiegt«: das ist, ich bin nun im Besitze meines Spruches, Kampfes, Sieges). Wie habsüchtig nimmt sich hierbei der Mensch aus! Selbst die Vergangenheit sich nicht entwinden lassen, gerade auch sie noch haben wollen!

282.

Gefahr in der Schönheit. — Diese Frau ist schön und klug: ach, wie viel klüger aber würde sie geworden sein, wenn sie nicht schön wäre!

283.

Hausfrieden und Seelenfrieden. — Unsere gewöhnliche Stimmung hängt von der Stimmung ab, in der wir unsere Umgebung zu erhalten wissen.

284.

Das Neue als alt vorbringen. — Viele erscheinen, gereizt, wenn man ihnen eine Neuigkeit erzählt, sie empfinden das Übergewicht, welches die Neuigkeit Dem giebt, der sie früher weiss.

285.

Wo hört das Ich auf? — Die Meisten nehmen eine Sache, die sie wissen, unter ihre Protection, wie als ob das Wissen sie schon zu ihrem Eigenthum mache. Die Aneignungslust des Ichgefühls hat keine Gränzen: die grossen Männer reden so, als ob die ganze Zeit hinter ihnen stünde und sie der Kopf dieses langen Leibes seien, und die guten Frauen rechnen sich die Schönheit ihrer Kinder, ihrer Kleider, ihres Hundes, ihres Arztes, ihrer Stadt zum Verdienste und wagen es nur nicht, zu sagen» das Alles bin ich«. Chi non ha, non sagt man in Italien.

286.

Haus- und Schoossthiere und Verwandtes. — Giebt es etwas Ekelhafteres, als die Sentimentalität gegen Pflanzen und Thiere, von Seiten eines Geschöpfes, das wie der wüthendste Feind von Anbeginn unter ihnen gehaust hat und zuletzt bei seinen geschwächten und verstümmelten Opfern gar noch auf zärtliche Gefühle Anspruch erhebt! Vor dieser Art» Natur «geziemt dem Menschen vor Allem Ernst, wenn anders er ein denkender Mensch ist.

287.

Zwei Freunde. — Es waren Freunde, aber sie haben aufgehört, es zu sein, und sie knüpften von beiden Seiten zugleich ihre Freundschaft los, der Eine, weil er sich zu sehr verkannt glaubte, der Andere, weil er sich zu sehr erkannt glaubte — und Beide haben sich dabei getäuscht! — denn Jeder von ihnen kannte sich selber nicht genug.

288.

Komödie der Edlen. — Die, welchen die edle herzliche Vertraulichkeit nicht gelingt, versuchen es, ihre edle Natur durch Zurückhaltung und Strenge und eine gewisse Geringschätzung der Vertraulichkeit errathen zu lassen: wie als ob das starke Gefühl ihres Vertrauens Scham hätte, sich zu zeigen.

289.

Wo man Nichts gegen eine Tugend sagen darf. — Unter den Feiglingen ist es von schlechtem Tone, etwas gegen die Tapferkeit zu sagen, und erregt Verachtung; und rücksichtslose Menschen zeigen sich erbittert, wenn Etwas gegen das Mitleiden gesagt wird.

290.

Eine Vergeudung. — Bei erregbaren und plötzlichen Naturen sind die ersten Worte und Handlungen meisthin unbezeichnend für ihren eigentlichen Charakter (sie werden durch die Umstände eingegeben und sind gleichsam Nachahmungen vom Geiste der Umstände), aber weil sie einmal gesprochen und gethan sind, so müssen die später nachkommenden eigentlichen Charakterworte und Charakterhandlungen häufig im Ausgleichen oder im Wieder-gut- oder — vergessen-Machen daraufgehen.

291.

Anmaassung. — Anmaassung ist ein gespielter und erheuchelter Stolz; dem Stolze aber ist gerade eigenthümlich, dass er kein Spiel, keine Verstellung und Heuchelei kann und mag, — insofern ist die Anmaassung die Heuchelei der Unfähigkeit zur Heuchelei, etwas sehr Schweres und meist Misslingendes. Gesetzt aber, dass er sich, wie gewöhnlich geschieht, dabei verräth, so erwartet den Anmaassenden eine dreifache Unannehmlichkeit: man zürnt ihm, weil er uns betrügen will, und zürnt ihm, weil er sich über uns hat erhaben zeigen wollen, — und zuletzt lacht man noch über ihn, weil ihm Beides missrathen ist. Wie sehr ist also von der Anmaassung abzurathen!

292.

Eine Art Verkennung. — Wenn wir Jemanden sprechen hören, so genügt oft der Klang eines einzigen Consonanten (zum Beispiel eines r), um uns einen Zweifel über die Ehrlichkeit seiner Empfindung einzuflössen: wir sind diesen Klang nicht gewöhnt und würden ihn machen müssen, mit Willkür, — er klingt uns» gemacht«. Hier ist ein Gebiet der gröbsten Verkennung: und das Selbe gilt vom Stile eines Schriftstellers, der Gewohnheiten hat, welche nicht aller Welt Gewohnheiten sind. Seine» Natürlichkeit «wird nur von ihm als solche empfunden, und gerade mit dem, was er selber als» gemacht «fühlt, weil er damit einmal der Mode und dem sogenannten» guten Geschmacke «nachgegeben hat, gefällt er vielleicht und erregt Zutrauen.

293.

Dankbar. — Ein Gran dankbaren Sinnes und Pietät zu vieclass="underline"  — und man leidet daran wie an einem Laster und geräth mit seiner ganzen Selbständigkeit und Redlichkeit unter das böse Gewissen.

294.

Heilige. — Die sinnlichsten Männer sind es, welche vor den Frauen fliehn und den Leib martern müssen.

295.

Feinheit des Dienens. — Innerhalb der grossen Kunst des Dienens gehört es zu den feinsten Aufgaben, einem unbändig Ehrgeizigen zu dienen, der zwar der stärkste Egoist in Allem ist, aber durchaus nicht dafür gelten will (es ist diess gerade ein Stück seines Ehrgeizes), dem Alles nach Willen und Laune geschehen muss und doch immer so, dass es den Anschein hat, als ob er sich aufopferte und selten für sich selber Etwas wollte.

296.

Das Duell. — Ich erachte es als einen Vortheil, sagte Jemand, ein Duell haben zu können, wenn ich durchaus eines nöthig habe; denn es giebt allezeit brave Kameraden um mich. Das Duell ist der letzte übrig gebliebene, völlig ehrenvolle Weg zum Selbstmord, leider ein Umschweif, und nicht einmal ein ganz sicherer.

297.

Verderblich. — Man verdirbt einen Jüngling am sichersten, wenn man ihn anleitet, den Gleichdenkenden höher zu achten, als den Andersdenkenden.

298.

Der Heroen-Cultus und seine Fanatiker. — Der Fanatiker eines Ideals, welches Fleisch und Blut hat, ist gewöhnlich so lange im Rechte, als er verneint, und er ist furchtbar darin: er kennt das Verneinte so gut wie sich selber, aus dem einfachsten Grunde, dass er von dorther kommt, dort zu Hause ist und sich im Geheimen immer fürchtet, dorthin noch zurückzumüssen, — er will sich die Rückkehr unmöglich machen, durch die Art, wie er verneint. Sobald er aber bejaht, macht er die Augen halb zu und fängt an zu idealisiren (häufig auch nur, um den zu Hause Gebliebenen damit wehe zu thun — ); man nennt diess wohl etwas Künstlerisches, — gut, aber es ist auch etwas Unredliches daran. Der Idealist einer Person stellt sich diese Person so in die Ferne, dass er sie nicht mehr scharf sehen kann — und nun deutet er, was er noch sieht, in's» Schöne «um, das will sagen: in's Symmetrische, Weichlinienhafte, Unbestimmte. Da er sein in der Ferne und Höhe schwebendes Ideal nunmehr auch anbeten will, so hat er, zum Schutze vor dem profanum vulgus, nöthig, einen Tempel für seine Anbetung zu bauen. Hierhin bringt er alle ehrwürdigen und geweihten Gegenstände, die er sonst noch besitzt, damit deren Zauber auch noch dem Ideal zu Gute komme und es in dieser Nahrung wachse und immer göttlicher werde. Zuletzt hat er wirklich seinen Gott fertig gemacht, — aber wehe! es giebt Einen, der darum weiss, wie das zugegangen ist, sein intellectuelles Gewissen, — und es giebt auch Einen, der dagegen, ganz unbewusst, protestirt, nämlich der Vergöttlichte selber, der nunmehr, in Folge von Cultus, Lobgesang und Weihrauch, unausstehlich wird und augenscheinlich in abscheulicher Weise sich als Nicht-Gott und All-zu-sehr-Mensch verräth. Hier bleibt nun einem solchen Fanatiker nur noch Ein Ausweg: er lässt sich und seines Gleichen geduldig misshandeln und interpretirt das ganze Elend auch noch in majorem dei gloriam, durch eine neue Gattung von Selbstbetrug und edler Lüge: er nimmt gegen sich Partei und empfindet, als Gemisshandelter und als Interpret, dabei Etwas wie ein Martyrium, — so steigt er auf den Gipfel seines Dünkels. — Menschen dieser Art lebten zum Beispiel um Napoleon: ja vielleicht ist gerade er es, der die romantische dem Geiste der Aufklärung fremde Prostration vor dem» Genie «und dem» Heros «unserem Jahrhundert in die Seele gegeben hat, er, vor dem ein Byron sich nicht zu sagen schämte, er sei ein» Wurm gegen solch ein Wesen«. (Die Formeln einer solchen Prostration sind von jenem alten anmaasslichen Wirr- und Murrkopfe, Thomas Carlyle, gefunden worden, der ein langes Leben darauf verwendet hat, die Vernunft seiner Engländer romantisch zu machen: umsonst!)

299.

Anschein des Heroismus. — Sich mitten unter die Feinde werfen, kann das Merkmal der Feigheit sein.

300.

Gnädig gegen den Schmeichler. — Die letzte Klugheit der unersättlich Ehrgeizigen ist, ihre Menschenverachtung nicht merken zu lassen, welche der Anblick der Schmeichler ihnen einflösst: sondern gnädig auch gegen sie zu erscheinen, wie ein Gott, der nicht anders als gnädig sein kann.

301.

«Charaktervoll«. —»Was ich einmal gesagt habe, das thue ich«— diese Denkweise gilt als charaktervoll. Wie viele Handlungen werden gethan, nicht weil sie als die vernünftigsten ausgewählt worden sind, sondern weil sie, als sie uns einfielen, auf irgend welche Art unsere Ehrsucht und Eitelkeit gereizt haben, sodass wir dabei verbleiben und sie blindlings durchsetzen! So mehren sie bei uns selber den Glauben an unseren Charakter und unser gutes Gewissen, also, im Ganzen, unsere Kraft: während das Auswählen des möglichst Vernünftigen die Skepsis gegen uns und dermaassen ein Gefühl der Schwäche in uns unterhält.

302.

Einmal, zweimal und dreimal wahr! — Die Menschen lügen unsäglich oft, aber sie denken hinterher nicht daran und glauben im Ganzen nicht daran.

303.

Kurzweil des Menschenkenners. — Er glaubt mich zu kennen und fühlt sich fein und wichtig, wenn er so und so mit mir verkehrt: ich hüte mich, ihn zu enttäuschen. Denn ich würde es zu entgelten haben, während er mir jetzt wohlwill, da ich ihm ein Gefühl der wissenden Überlegenheit verschaffe. — Da ist ein Anderer: der fürchtet sich, dass ich mir einbilde, ihn zu kennen, und sieht sich dabei erniedrigt. So beträgt er sich schauerlich und unbestimmt und sucht mich über sich in die Irre zu führen, — um sich über mich wieder zu erheben.