Выбрать главу
344.

Feinheit im Fehlgreifen. — Wenn Homer, wie man sagt, bisweilen geschlafen hat, so war er klüger als alle die Künstler des schlaflosen Ehrgeizes. Man muss die Bewunderer zu Athem kommen lassen, dadurch dass man sie von Zeit zu Zeit in Tadler verwandelt; denn Niemand hält eine ununterbrochen glänzende und wache Güte aus; und statt wohlzuthun, wird ein Meister der Art zum Zuchtmeister, den man hasst, während er vor uns hergeht.

345.

Unser Glück ist kein Argument für und wider. — Viele Menschen sind nur eines geringen Glückes fähig: es ist ebenso wenig ein Einwand gegen ihre Weisheit, dass diese ihnen nicht mehr Glück geben könne, als es ein Einwand gegen die Heilkunst ist, dass manche Menschen nicht zu curiren und andere immer kränklich sind. Möge Jeder mit gutem Glück gerade die Lebensauffassung finden, bei der er sein höchstes Maass von Glück verwirklichen kann: dabei kann sein Leben immer noch erbärmlich und wenig neidenswerth sein.

346.

Weiberfeinde. — »Das Weib ist unser Feind«— wer so als Mann zu Männern spricht, aus dem redet der ungebändigte Trieb, der nicht nur sich selber, sondern auch seine Mittel hasst.

347.

Eine Schule des Redners. — Wenn man ein Jahr lang schweigt, so verlernt man das Schwätzen und lernt das Reden. Die Pythagoreer waren die besten Staatsmänner ihrer Zeit.

348.

Gefühl der Macht. — Man unterscheide wohclass="underline" wer das Gefühl der Macht erst gewinnen will, greift nach allen Mitteln und verschmäht keine Nahrung desselben. Wer es aber hat, der ist sehr wählerisch und vornehm in seinem Geschmack geworden; selten, dass ihm Etwas noch genugthut.

349.

Nicht gar so wichtig. — Bei einem Sterbefalle, dem man zusieht, steigt ein Gedanke regelmässig auf, den man sofort, aus einem falschen Gefühl der Anständigkeit, in sich unterdrückt: dass der Act des Sterbens nicht so bedeutend sei, wie die allgemeine Ehrfurcht behauptet, und dass der Sterbende im Leben wahrscheinlich wichtigere Dinge verloren habe, als er hier zu verlieren im Begriffe steht. Das Ende ist hier gewiss nicht das Ziel. —

350.

Wie man am besten verspricht. — Wenn ein Versprechen gemacht wird, so ist es nicht das Wort, welches verspricht, sondern das Unausgesprochene hinter dem Worte. Ja, die Worte machen ein Versprechen unkräftiger, indem sie eine Kraft entladen und verbrauchen, welche ein Theil jener Kraft ist, die verspricht. Lasst euch also die Hand reichen und legt dabei den Finger auf den Mund, — so macht ihr die sichersten Gelöbnisse.

351.

Gewöhnlich missverstanden. — Im Gespräche bemerkt man den Einen bemüht, eine Falle zu legen, in welche der Andere fällt, nicht aus Bosheit, wie man denken sollte, sondern aus Vergnügen an der eignen Pfiffigkeit: dann wieder Andre, welche den Witz vorbereiten, damit der Andre ihn mache, und welche die Schleife knüpfen, damit Jener den Knoten daraus ziehe: nicht aus Wohlwollen, wie man denken sollte, sondern aus Bosheit und Verachtung der groben Intellecte.

352.

Centrum. — Jenes Gefühclass="underline" »ich bin der Mittelpunct der Welt!«tritt sehr stark auf, wenn man plötzlich von der Schande überfallen wird; man steht dann da wie betäubt inmitten einer Brandung und fühlt sich geblendet wie von Einem grossen Auge, das von allen Seiten auf uns und durch uns blickt.

353.

Redefreiheit. — »Die Wahrheit muss gesagt werden, und wenn die Welt in Stücke gehen sollte!«— so ruft, mit grossein Munde, der grosse Fichte! — Ja! Ja! Aber man müsste sie auch haben! — Aber er meint, Jeder solle seine Meinung sagen, und wenn Alles drunter und drüber gienge. Darüber liesse sich mit ihm noch rechten.

354.

Muth zum Leiden. — So wie wir jetzt sind, können wir eine ziemliche Menge von Unlust ertragen, und unser Magen ist auf diese schwere Kost eingerichtet. Vielleicht fänden wir ohne sie die Mahlzeit des Lebens fade: und ohne den guten Willen zum Schmerze würden wir allzu viele Freuden fahren lassen müssen!

355.

Verehrer. — Wer so verehrt, dass er den Nichtverehrenden kreuzigt, gehört zu den Henkern seiner Partei, — man hütet sich, ihm die Hand zu geben, selbst wenn man auch von der Partei ist.

356.

Wirkung des Glückes. — Die erste Wirkung des Glückes ist das Gefühl der Macht: diese will sich äussern, sei es gegen uns selber oder gegen andere Menschen oder gegen Vorstellungen oder gegen eingebildete Wesen. Die gewöhnlichsten Arten, sich zu äussern, sind: Beschenken, Verspotten, Vernichten, — alle drei mit einem gemeinsamen Grundtriebe.

357.

Moralische Stechfliegen. — Jene Moralisten, denen die Liebe zur Erkenntniss abgeht und welche nur den Genuss des Wehethuns kennen — haben den Geist und die Langeweile von Kleinstädtern; ihr ebenso grausames, als jämmerliches Vergnügen ist, dem Nachbar auf die Finger zu sehen und unvermerkt eine Nadel so zu stecken, dass er sich daran sticht. In ihnen ist die Unart kleiner Knaben rückständig, welche nicht munter sein können ohne etwas Jagd und Misshandlung von Lebendigem und Todtem.

358.

Gründe und ihre Grundlosigkeit. — Du hast eine Abneigung gegen ihn und bringst auch reichliche Gründe für diese Abneigung vor, — ich glaube aber nur deiner Abneigung, und nicht deinen Gründen! Es ist eine Schönthuerei vor dir selber, Das, was instinctiv geschieht, dir und mir wie einen Vernunftschluss vorzuführen.

359.

Etwas gut heissen. — Man heisst die Ehe gut, erstens weil man sie noch nicht kennt, zweitens weil man sich an sie gewöhnt hat, drittens weil man sie geschlossen hat, — das heisst fast in allen Fällen. Und doch ist damit Nichts für die Güte der Ehe überhaupt bewiesen.

360.

Keine Utilitarier. — »Die Macht, der viel Böses angethan und angedacht wird, ist mehr werth, als die Ohnmacht, der nur Gutes widerfährt«, — so empfanden die Griechen. Das heisst: das Gefühl der Macht wurde von ihnen höher geschätzt, als irgend ein Nutzen oder guter Ruf.

361.

Hässlich scheinen. — Die Mässigkeit sieht sich selber als schön; sie ist unschuldig daran, dass sie im Auge des Unmässigen rauh und nüchtern, folglich als hässlich erscheint.

362.

Verschieden im Hasse. — Manche hassen erst, wenn sie sich schwach und müde fühlen: sonst sind sie billig und übersehend. Andre hassen erst, wenn sie die Möglichkeit der Rache sehen: sonst hüten sie sich vor allem heimlichen und lauten Zorn, und denken, wenn es Anlässe dazu giebt, daran vorbei.

363.

Menschen des Zufalls. — Das Wesentliche an jeder Erfindung thut der Zufall, aber den meisten Menschen begegnet dieser Zufall nicht.

364.

Wahl der Umgebung. — Man hüte sich, in einer Umgebung zu leben, vor der man weder würdig schweigen, noch sein Höheres mitzutheilen vermag, sodass unsere Klagen und Bedürfnisse und die ganze Geschichte unserer Nothstände zur Mittheilung übrig bleiben. Dabei wird man mit sich unzufrieden, und unzufrieden mit dieser Umgebung, ja, nimmt den Verdruss, sich immer als Klagenden zu empfinden, noch zu dem Nothstande hinzu, der uns klagen macht. Sondern dort soll man leben, wo man sich schämt, von sich zu reden, und es nicht nöthig hat. — Aber wer denkt an solche Dinge, an eine Wahl in solchen Dingen! Man redet von seinem» Verhängniss«, stellt sich mit breitem Rücken hin und seufzt» ich unglückseliger Atlas!»

365.

Eitelkeit. — Die Eitelkeit ist die Furcht, original zu erscheinen, also ein Mangel an Stolz, aber nicht nothwendig ein Mangel an Originalität.

366.

Verbrecher-Kummer. — Man leidet als entdeckter Verbrecher nicht am Verbrechen, sondern an der Schande oder am Verdruss über eine gemachte Dummheit oder an der Entbehrung des gewohnten Elementes, und es bedarf einer Feinheit, die selten ist, hierin zu unterscheiden. Jeder, der viel in Gefängnissen und Zuchthäusern verkehrt hat, ist erstaunt, wie selten daselbst ein unzweideutiger» Gewissensbiss «anzutreffen ist: um so mehr aber das Heimweh nach dem alten bösen geliebten Verbrechen.

367.

Immer glücklich seinen. — Als die Philosophie Sache des öffentlichen Wetteifers war, im Griechenland des dritten Jahrhunderts, gab es nicht wenige Philosophen, welche glücklich durch den Hintergedanken wurden, dass Andere, die nach anderen Principien lebten und sich dabei quälten, an ihrem Glücke Ärger haben müssten: sie glaubten, mit ihrem Glücke jene am besten zu widerlegen, und dazu genügte es ihnen, immer glücklich zu scheinen: aber dabei müssten sie auf die Dauer glücklich werden! Diess war zum Beispiel das Loos der Cyniker.

368.

Grund vieler Verkennung. — Die Moralität der zunehmenden Nervenkraft ist freudig und unruhig; die Moralität der abnehmenden Nervenkraft, am Abende oder bei Kranken und alten Leuten, ist leidend, beruhigend, abwartend, wehmüthig, ja nicht selten düster. Je nachdem man von dieser oder jener hat, versteht man die uns fehlende nicht, und dem Andern legt man sie oft als Unsittlichkeit und Schwäche aus.

369.

Sich über seine Erbärmlichkeit zu heben. — Das sind mir stolze Gesellen, die, um das Gefühl ihrer Würde und Wichtigkeit herzustellen, immer erst Andere brauchen, die sie anherrschen und vergewaltigen können: Solche nämlich, deren Ohnmacht und Feigheit es erlaubt, dass Einer vor ihnen ungestraft erhabene und zornige Gebärden machen kann! — sodass sie die Erbärmlichkeit ihrer Umgebung nöthig haben, um sich auf einen Augenblick über die eigene Erbärmlichkeit zu heben! — Dazu hat Mancher einen Hund, ein Andrer einen Freund, ein Dritter eine Frau, ein Vierter eine Partei und ein sehr Seltener ein ganzes Zeitalter nöthig.

370.

Inwiefern der Denker seinen Feind liebt. — Nie Etwas zurückhalten oder dir verschweigen, was gegen deinen Gedanken gedacht werden kann! Gelobe es dir! Es gehört zur ersten Redlichkeit des Denkens. Du musst jeden Tag auch deinen Feldzug gegen dich selber führen. Ein Sieg und eine eroberte Schanze sind nicht mehr deine Angelegenheit, sondern die der Wahrheit, — aber auch deine Niederlage ist nicht mehr deine Angelegenheit!