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371.

Das Böse der Stärke. — Die Gewaltthätigkeit als Folge der Leidenschaft, zum Beispiel des Zornes, ist physiologisch als ein Versuch zu verstehen, einem drohenden Erstickungsanfall vorzubeugen. Zahllose Handlungen des Übermuths, der sich an anderen Personen auslässt, sind Ableitungen eines plötzlichen Blutandranges durch eine starke Muskel-Action gewesen: und vielleicht gehört das ganze» Böse der Stärke «unter diesen Gesichtspunct. (Das Böse der Stärke thut dem Andern wehe, ohne daran zu denken, — es muss sich auslassen; das Böse der Schwäche will wehe thun und die Zeichen des Leidens sehen.)

372.

Zur Ehre der Kenner. — Sobald Einer, ohne Kenner zu sein, doch den Urtheiler Spielt, soll man sofort protestiren: ob es nun Männlein oder Weiblein sei. Schwärmerei und Entzücken für ein Ding oder einen Menschen sind keine Argumente: Widerwillen und Hass gegen sie auch nicht.

373.

Verrätherischer Tadel. — »Er kennt die Menschen nicht«— das heisst im Munde des Einen:»er kennt die Gemeinheit nicht«, im Munde des Andern:»er kennt die Ungewöhnlichkeit nicht und die Gemeinheit zu gut«.

374.

Werth des Opfers. — Je mehr man den Staaten und Fürsten das Recht aberkennt, die Einzelnen zu opfern (wie bei der Rechtspflege, der Heeresfolge u. s. w.), um so höher wird der Werth der Selbst-Opferung steigen.

375.

Zu deutlich reden. — Man kann aus verschiedenen Gründen zu deutlich articulirt sprechen: einmal, aus Misstrauen gegen sich, in einer neuen ungeübten Sprache, sodann aber auch aus Misstrauen gegen die Anderen, wegen ihrer Dummheit oder Langsamkeit des Verständnisses. Und so auch im Geistigsten: unsere Mittheilung ist mitunter zu deutlich, zu peinlich, weil Die, welchen wir uns mittheilen, uns sonst nicht verstehen. Folglich ist der vollkommne und leichte Stil nur vor einer vollkommenen Zuhörerschaft erlaubt.

376.

Viel schlafen. — Was thun, um sich anzuregen, wenn man müde und seiner selbst satt ist? Der Eine empfiehlt die Spielbank, der Andere das Christenthum, der Dritte die Electricität. Das Beste aber, mein lieber Melancholiker, ist und bleibt: viel schlafen, eigentlich und uneigentlich! So wird man auch seinen Morgen wieder haben! Das Kunststück der Lebensweisheit ist, den Schlaf jeder Art zur rechten Zeit einzuschieben wissen.

377.

Worauf phantastische Ideale rathen lassen. — Dort, wo unsere Mängel liegen, ergeht sich unsere Schwärmerei. Den schwärmerischen Satz» liebet eure Feinde!«haben Juden erfinden müssen, die besten Hasser, die es gegeben hat, und die schönste Verherrlichung der Keuschheit ist von Solchen gedichtet worden, die in ihrer Jugend wüst und abscheulich gelebt haben.

378.

Reine Hand und reine Wand. — Man soll weder Gott noch den Teufel an die Wand malen. Man verdirbt damit seine Wand und seine Nachbarschaft.

379.

Wahrscheinlich und unwahrscheinlich. — Eine Frau liebte heimlich einen Mann, hob ihn hoch über sich und sagte sich im Geheimsten hundert Male:»wenn mich ein solcher Mann liebte, so wäre diess wie eine Gnade, vor der ich im Staube liegen müsste!«— Und dem Manne gieng es ganz ebenso, und gerade in Bezug auf diese Frau, und er sagte sich im Geheimsten auch gerade diesen Gedanken. Als endlich einmal Beiden die Zunge sich gelöst hatte und sie alles das Verschwiegene und Verschwiegenste des Herzens einander sagten, entstand schliesslich ein Stillschweigen und einige Besinnung. Darauf hob die Frau an, mit erkälteter Stimme:»aber es ist ja ganz klar! wir sind Beide nicht Das, was wir geliebt haben! Wenn du Das bist, was du sagst und nicht mehr, so habe ich mich umsonst erniedrigt und dich geliebt; der Dämon verführte mich so wie dich.«— Diese sehr wahrscheinliche Geschichte kommt nie vor, — wesshalb?

380.

Erprobter Rath. — Von allen Trostmitteln thut Trostbedürftigen Nichts so wohl, als die Behauptung, für ihren Fall gebe es keinen Trost. Darin liegt eine solche Auszeichnung, dass sie wieder den Kopf erheben.

381.

Seine» Einzelheit «kennen. — Wir vergessen zu leicht, dass wir im Auge fremder Menschen, die uns zum ersten Male sehen, etwas ganz Anderes sind, als Das, wofür wir uns selber halten: meistens Nichts mehr, als eine in die Augen springende Einzelheit, welche den Eindruck bestimmt. So kann der sanftmüthigste und billigste Mensch, wenn er nur einen grossen Schnurrbart hat, gleichsam im Schatten desselben sitzen, und ruhig sitzen, — die gewöhnlichen Augen sehen in ihm den Zubehör zu einem grossen Schnurrbart, will sagen: einen militärischen, leicht aufbrausenden, unter Umständen gewaltsamen Charakter — und benehmen sich darnach vor ihm.

382.

Gärtner und Garten. — Aus feuchten trüben Tagen, Einsamkeit, lieblosen Worten an uns, wachsen Schlüsse auf wie Pilze: sie sind eines Morgens da, wir wissen nicht woher, und sehen sich grau und griesgrämig nach uns um. Wehe dem Denker, der nicht der Gärtner, sondern nur der Boden seiner Gewächse ist!

383.

Die Komödie des Mitleidens. — Wir mögen noch so sehr an einem Unglücklichen Antheil nehmen: in seiner Gegenwart spielen wir immer etwas Komödie, wir sagen Vieles nicht, was wir denken und wie wir es denken, mit jener Behutsamkeit des Arztes am Bette von Schwerkranken.

384.

Wunderliche Heilige. — Es giebt Kleinmüthige, welche von ihrem besten Werke und Wirken Nichts halten und es schlecht zur Mittheilung oder zum Vortrage bringen: aber aus einer Art Rache halten sie auch Nichts von der Sympathie Anderer oder glauben gar nicht an Sympathie; sie schämen sich, von sich selber hingerissen zu erscheinen und fühlen ein trotziges Wohlbehagen darin, lächerlich zu werden. — Diess sind Zustände aus der Seele melancholischer Künstler.

385.

Die Eiteln. — Wir sind wie Schauläden, in denen wir selber unsere angeblichen Eigenschaften, welche Andere uns zusprechen, fortwährend anordnen, verdecken oder in's Licht stellen, — um uns zu betrügen.

386.

Die Pathetischen und die Naiven. — Es kann eine sehr unedle Gewohnheit sein, keine Gelegenheit vorbei zu lassen, wo man sich pathetisch zeigen kann: um jenes Genusses willen, sich den Zuschauer dabei zu denken, der sich an die Brust schlägt und sich selber jämmerlich und klein fühlt. Es kann folglich auch ein Zeichen des Edelsinns sein, mit pathetischen Lagen Spott zu treiben und in ihnen sich unwürdig zu benehmen. Der alte kriegerische Adel Frankreich's hatte diese Art Vornehmheit und Feinheit.

387.

Probe einer Überlegung vor der Ehe. — Gesetzt, sie liebte mich, wie lästig würde sie mir auf die Dauer werden! Und gesetzt, sie liebte mich nicht, wie lästig würde sie erst da mir auf die Dauer werden! — Es handelt sich nur um zwei verschiedene Arten des Lästigen: — heirathen wir also!

388.

Die Schurkerei mit gutem Gewissen. — Im kleinen Handel übervortheilt zu werden, — das ist in manchen Gegenden, zum Beispiel in Tyrol, so unangenehm, weil man das böse Gesicht und die grobe Begierde darin, nebst dem schlechten Gewissen und der plumpen Feindseligkeit, welche im betrügerischen Verkäufer gegen uns entsteht, noch obendrein in den schlechten Kauf bekommt. In Venedig dagegen ist der Prellende von Herzen über das gelungene Schelmenstück vergnügt und gar nicht feindselig gegen den Geprellten gestimmt, ja geneigt, ihm eine Artigkeit zu erweisen und namentlich mit ihm zu lachen, falls er dazu Lust haben sollte. — Kurz, man muss zur Schurkerei auch den Geist und das gute Gewissen haben: das versöhnt den Betrogenen beinahe mit dem Betruge.

389.

Etwas zu schwer. — Sehr brave Leute, die aber etwas zu schwer sind, um höflich und liebenswürdig zu sein, suchen eine Artigkeit sofort mit einer ernsthaften Dienstleistung oder mit einem Beitrag aus ihrer Kraft zu beantworten. Es ist rührend anzusehen, wie sie ihre Goldstücke schüchtern heranbringen, wenn ein Anderer ihnen seine vergoldeten Pfennige geboten hat.

390.

Geist verbergen. — Wenn wir Jemanden dabei ertappen, dass er seinen Geist vor uns verbirgt, so nennen wir ihn böse: und zwar um so mehr, wenn wir argwöhnen, dass Artigkeit und Menschenfreundlichkeit ihn dazu getrieben haben.

391.

Der böse Augenblick. — Lebhafte Naturen lügen nur einen Augenblick: nachher haben sie sich selber belogen und sind überzeugt und rechtschaffen.

392.

Bedingung der Höflichkeit. — Die Höflichkeit ist eine sehr gute Sache und wirklich eine der vier Haupttugenden (wenn auch die letzte): aber damit wir uns einander nicht mit ihr lästig werden, muss Der, mit dem ich gerade zu thun habe, um einen Grad weniger oder mehr höflich sein, als ich es bin, — sonst kommen wir nicht von der Stelle, und die Salbe salbt nicht nur, sondern klebt uns fest.

393.

Gefährliche Tugenden. — »Er vergisst Nichts, aber er vergiebt Alles.«— Dann wird er doppelt gehasst, denn er beschämt doppelt, mit seinem Gedächtniss und mit seiner Grossmuth.

394.

Ohne Eitelkeit. — Leidenschaftliche Menschen denken wenig an Das, was die Anderen denken, ihr Zustand erhebt sie über die Eitelkeit.

395.

Die Contemplation. — Bei dem einen Denker folgt der dem Denker eigene beschauliche Zustand immer auf den Zustand der Furcht, bei einem andern immer auf den Zustand der Begierde. Dem ersten scheint demnach die Beschaulichkeit mit dem Gefühl der Sicherheit verbunden, dem andern mit dem Gefühl der Sättigung — das heisst: jener ist dabei muthig, dieser überdrüssig und neutral gestimmt.

396.

Auf der Jagd. — Jener ist auf der Jagd, angenehme Wahrheiten zu haschen, dieser — unangenehme. Aber auch der Erstere hat mehr Vergnügen an der Jagd, als an der Beute.