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425.

Wir Götter in der Verbannung! — Durch Irrthümer über ihre Herkunft, ihre Einzigkeit, ihre Bestimmung, und durch Anforderungen, die auf Grund dieser Irrthümer gestellt wurden, hat sich die Menschheit hoch gehoben und sich immer wieder» selber übertroffen«: aber durch die selben Irrthümer ist unsäglich viel Leiden, gegenseitige Verfolgung, Verdächtigung, Verkennung, und noch mehr Elend des Einzelnen in sich und an sich in die Welt gekommen. Die Menschen sind leidende Geschöpfe geworden, in Folge ihrer Moralen: was sie damit eingekauft haben, das ist, Alles in Allem, ein Gefühl, als ob sie im Grunde zu gut und zu bedeutend für die Erde wären und nur vorübergehend sich auf ihr aufhielten.»Der leidende Hochmüthige «ist einstweilen immer noch der höchste Typus des Menschen.

426.

Farbenblindheit der Denker. — Wie anders sahen die Griechen in ihre Natur, wenn ihnen, wie man sich eingestehen muss, das Auge für Blau und Grün blind war, und sie statt des ersteren ein tieferes Braun, statt des zweiten ein Gelb sahen (wenn sie also mit gleichem Worte zum Beispiel die Farbe des dunkelen Haares, die der Kornblume und die des südländischen Meeres bezeichneten, und wiederum mit gleichem Worte die Farbe der grünsten Gewächse und der menschlichen Haut, des Honigs und der gelben Harze: sodass ihre grössten Maler bezeugtermaassen ihre Welt nur mit Schwarz, Weiss, Roth und Gelb wiedergegeben haben), — wie anders und wie viel näher an den Menschen gerückt musste ihnen die Natur erscheinen, weil in ihrem Auge die Farben des Menschen auch in der Natur überwogen und diese gleichsam in dem Farbenäther der Menschheit schwamm! (Blau und Grün entmenschlichen die Natur mehr, als alles Andere.) Auf diesem Mangel ist die spielende Leichtigkeit, welche die Griechen auszeichnet, Naturvorgänge als Götter und Halbgötter, das heisst als menschartige Gestalten zu sehen, grossgewachsen. — Diess sei aber nur das Gleichniss für eine weitere Vermuthung. Jeder Denker malt seine Welt und jedes Ding mit weniger Farben, als es giebt, und ist gegen einzelne Farben blind. Diess ist nicht nur ein Mangel. Er sieht vermöge dieser Annäherung und Vereinfachung Harmonien der Farben in die Dinge hinein, welche einen grossen Reiz haben und eine Bereicherung der Natur ausmachen können. Vielleicht ist diess sogar der Weg gewesen, auf dem die Menschheit den Genuss im Anblick des Daseins erst gelernt hat: dadurch, dass ihr dieses Dasein zunächst in einem oder zwei Farbentönen und dadurch harmonisirt vorgeführt wurde: sie übte sich gleichsam auf diese wenigen Töne ein, bevor sie zu mehreren übergehen konnte. Und noch jetzt arbeitet sich mancher Einzelne aus einer theilweisen Farbenblindheit in ein reicheres Sehen und Unterscheiden hinaus: wobei er aber nicht nur neue Genüsse findet, sondern immer auch einige der früheren aufgeben und verlieren muss.

427.

Die Verschönerung der Wissenschaft. — Wie die Rococo-Gartenkunst entstand, aus dem Gefühl» die Natur ist hässlich, wild, langweilig, — auf! wir wollen sie verschönern (embellir la nature)!«— so entsteht aus dem Gefühl» die Wissenschaft ist hässlich, trocken, trostlos, schwierig, langwierig, — auf! lasst uns sie verschönern!«immer wieder Etwas, das sich die Philosophie nennt. Sie will, was alle Künste und Dichtungen wollen, — vor Allem unterhalten: sie will diess aber, gemäss ihrem ererbten Stolze, in einer erhabeneren und höheren Art, vor einer Auswahl von Geistern. Für diese eine Gartenkunst zu schaffen, deren Hauptreiz wie bei jener» gemeineren «die Täuschung der Augen ist (durch Tempel, Fernblicke, Grotten, Irrpfade, Wasserfälle, um im Gleichnisse zu reden), die Wissenschaft in einem Auszuge und mit allerlei wunderbaren und plötzlichen Beleuchtungen vorzuführen und so viel Unbestimmtheit, Unvernunft und Träumerei in sie einzumischen, dass man in ihr» wie in der wilden Natur «und doch ohne Mühsal und Langeweile wandeln könne, — das ist kein geringer Ehrgeiz: wer ihn hat, träumt sogar davon, auf diese Art die Religion entbehrlich zu machen, welche bei den früheren Menschen die höchste Gattung von Unterhaltungskunst abgegeben hat. — Diess geht nun seinen Gang und erreicht eines Tages seine hohe Fluth: jetzt schon beginnen die Gegenstimmen gegen die Philosophie laut zu werden, welche rufen» Rückkehr zur Wissenschaft! Zur Natur und Natürlichkeit der Wissenschaft!«— womit vielleicht ein Zeitalter anhebt, das die mächtigste Schönheit gerade in den» wilden, hässlichen «Theilen der Wissenschaft entdeckt, wie man seit Rousseau erst den Sinn für die Schönheit des Hochgebirges und der Wüste entdeckt hat.

428.

Zwei Arten Moralisten. — Ein Gesetz der Natur zum ersten Male sehen und ganz sehen, also es nachweisen (zum Beispiel das der Fallkraft, der Licht- und Schallreflexion) ist etwas Anderes und die Sache anderer Geister, als ein solches Gesetz erklären. So unterscheiden sich auch jene Moralisten, welche die menschlichen Gesetze und Gewohnheiten sehen und aufzeigen — die feinohrigen, feinnasigen, feinäugigen Moralisten — durchaus von denen, welche das Beobachtete erklären. Die letzteren müssen vor Allem erfinderisch sein und eine durch Scharfsinn und Wissen entzügelte Phantasie haben.

429.

Die neue Leidenschaft. — Warum fürchten und hassen wir eine mögliche Rückkehr zur Barbarei? Weil sie die Menschen unglücklicher machen würde, als sie es sind? Ach nein! Die Barbaren aller Zeiten hatten mehr Glück: täuschen wir uns nicht! — Sondern unser Trieb zur Erkenntniss ist zu stark, als dass wir noch das Glück ohne Erkenntniss oder das Glück eines starken festen Wahnes zu schätzen vermöchten; es macht Pein, uns solche Zustände auch nur vorzustellen! Die Unruhe des Entdeckens und Errathens ist uns so reizvoll und unentbehrlich geworden, wie die unglückliche Liebe dem Liebenden wird: welche er um keinen Preis gegen den Zustand der Gleichgültigkeit hergeben würde; — ja, vielleicht sind wir auch unglücklich Liebende! Die Erkenntniss hat sich in uns zur Leidenschaft verwandelt, die vor keinem Opfer erschrickt und im Grunde Nichts fürchtet, als ihr eigenes Erlöschen; wir glauben aufrichtig, dass die gesammte Menschheit unter dem Drange und Leiden dieser Leidenschaft sich erhabener und getrösteter glauben müsste als bisher, wo sie den Neid auf das gröbere Behagen, das im Gefolge der Barbarei kommt, noch nicht überwunden hat. Vielleicht selbst, dass die Menschheit an dieser Leidenschaft der Erkenntniss zu Grunde geht! — auch dieser Gedanke vermag Nichts über uns! Hat sich denn das Christenthum je vor einem ähnlichen Gedanken gescheut? Sind die Liebe und der Tod nicht Geschwister? Ja, wir hassen die Barbarei, — wir wollen Alle lieber den Untergang der Menschheit, als den Rückgang der Erkenntniss! Und zuletzt: wenn die Menschheit nicht an einer Leidenschaft zu Grunde geht, so wird sie an einer Schwäche zu Grunde gehen: was will man lieber? Diess ist die Hauptfrage. Wollen wir für sie ein Ende im Feuer und Licht oder im Sande? —

430.

Auch heldenhaft. — Dinge vom übelsten Geruche thun, von denen man kaum zu reden wagt, die aber nützlich und nöthig sind, — ist auch heldenhaft. Die Griechen haben sich nicht geschämt, unter die grossen Arbeiten des Herakles auch die Ausmistung eines Stalles zu setzen.

431.

Die Meinungen der Gegner. — Um zu messen, wie fein oder wie schwachsinnig von Natur auch die gescheutesten Köpfe sind, gebe man darauf Acht, wie sie die Meinungen ihrer Gegner auffassen und wiedergeben: dabei verräth sich das natürliche Maass jedes Intellectes. — Der vollkommene Weise erhebt, ohne es zu wollen, seinen Gegner in's Ideal und macht dessen Widerspruch frei von allen Flecken und Zufälligkeiten: erst wenn dadurch aus seinem Gegner ein Gott mit leuchtenden Waffen geworden ist, kämpft er gegen ihn.

432.

Forscher und Versucher. — Es giebt keine alleinwissendmachende Methode der Wissenschaft! Wir müssen versuchsweise mit den Dingen verfahren, bald böse, bald gut gegen sie sein und Gerechtigkeit, Leidenschaft und Kälte nach einander für sie haben. Dieser redet mit den Dingen als Polizist, jener als Beichtvater, ein Dritter als Wanderer und Neugieriger. Bald mit Sympathie, bald mit Vergewaltigung wird man ihnen Etwas abdringen; Einen führt Ehrfurcht vor ihren Geheimnissen vorwärts und zur Einsicht, Einen wiederum Indiscretion und Schelmerei in der Erklärung von Geheimnissen. Wir Forscher sind wie alle Eroberer, Entdecker, Schifffahrer, Abenteuerer von einer verwegenen Moralität und müssen es uns gefallen lassen, im Ganzen für böse zu gelten.

433.

Mit neuen Augen sehen. — Gesetzt, dass unter Schönheit in der Kunst immer die Nachbildung des Glücklichen zu verstehen ist — und so halte ich es für die Wahrheit — , je nachdem eine Zeit, ein Volk, ein grosses in sich selber gesetzgeberisches Individuum sich den Glücklichen vorstellt: was giebt dann der sogenannte Realismus der jetzigen Künstler über das Glück unserer Zeit zu verstehen? Es ist unzweifelhaft seine Art von Schönheit, welche wir jetzt am leichtesten zu erfassen und zu geniessen wissen. Folglich muss man wohl glauben, das jetzige uns eigene Glück liege im Realistischen, in möglichst scharfen Sinnen und treuer Auffassung des Wirklichen, nicht also in der Realität, sondern im Wissen um die Realität? So sehr hat die Wirkung der Wissenschaft schon Tiefe und Breite gewonnen, dass die Künstler des Jahrhunderts, ohne es zu wollen, bereits zu Verherrlichern der wissenschaftlichen» Seligkeiten «an sich geworden sind!

434.

Fürsprache einlegen. — Für die grossen Landschaftsmaler sind die anspruchslosen Gegenden da, die merkwürdigen und seltenen Gegenden aber für die kleinen. Nämlich: die grossen Dinge der Natur und Menschheit müssen für alle die Kleinen, Mittelmässigen und Ehrgeizigen unter ihren Verehrern Fürsprache einlegen, — aber der Grosse legt Fürsprache für die schlichten Dinge ein.

435.

Nicht unvermerkt zu Grunde gehen. — Nicht Einmal, sondern fortwährend bröckelt es an unserer Tüchtigkeit und Grösse; die kleine Vegetation, welche zwischen Allem hineinwächst und sich überall anzuklammern versteht, diese ruinirt Das, was gross an uns ist, — die alltägliche, stündliche übersehene Erbärmlichkeit unserer Umgebung, die tausend Würzelchen dieser oder jener kleinen und kleinmüthigen Empfindung, welche aus unserer Nachbarschaft, aus unserem Amte, unserer Geselligkeit, unserer Tageseintheilung herauswächst. Lassen wir diess kleine Unkraut unbemerkt, so gehen wir an ihm unbemerkt zu Grunde! — Und wollt ihr durchaus zu Grunde gehen, so thut es lieber auf einmal und plötzlich: dann bleiben vielleicht von euch erhabene Trümmer übrig! Und nicht, wie jetzt zu befürchten steht, Maulwurfshügel! Und Gras und Unkraut auf ihnen, die kleinen Siegreichen, bescheiden wie vordem, und zu erbärmlich selbst zum Triumphiren!